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Jacques Berndorf
Magnetfeld des Bösen

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Mords-Eifel (Hg.)
Der letzte Agent

Requiem für einen Henker
Der Bär

Tatort Eifel (Hg.)
Tatort Eifel 2 (Hg.)
Mond über der Eifel
Die Nürburg-Papiere
Die Eifel-Connection
Eifel-Bullen

Eifel-Krieg

Der König der Eifel

Jacques Berndorf ist das Pseudonym des 1936 in Duisburg geborenen Journalisten, Sachbuch- und Romanautors Michael Preute. Sein erster Eifel-Krimi, Eifel-Blues, erschien 1989. In den Folgejahren entwickelte sich daraus eine deutschlandweit überaus populäre Romanserie mit Berndorfs Hauptfigur, dem Journalisten Siggi Baumeister. Dessen bislang jüngster Fall, Eifel-Krieg, erschien 2013 als Originalausgabe bei KBV.

Berndorf setzte mit seinen Romanen nicht nur die Eifel auf die bundesweite Krimi-Landkarte, er avancierte auch zum erfolgreichsten deutschen Kriminalschriftsteller mit mehrfacher Millionen-Auflage. Sein Roman Eifel-Schnee wurde im Jahr 2000 für das ZDF verfilmt. Drei Jahre später erhielt er vom »Syndikat«, der Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autoren, den »Ehren-Glauser« für sein Lebenswerk.

Jacques Berndorf

Magnetfeld
des Bösen

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Die Originalausgabe erschien 1969
als Fortsetzungsroman im Stern
und 1970 in Buchform
im C. Bertelsmann Verlag.

© 2016 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von: © Tupungato - www.fotolia.de
Print-ISBN 978-3-95441-289-1
E-Book-ISBN 978-3-95441-303-4

Jacques Berndorfs erster Kriminalroman

»Dieser Tag ist wichtig, ungeheuer wichtig sogar. Denn an diesem Tag begaben sich sechs Menschen in die düstere, eklige Welt des Verbrechens. Fünf von ihnen, ohne es zu ahnen, einer mit festem Vorsatz.«

Den Journalisten Michael Preute, aus dem später einmal der Romanautor Jacques Berndorf werden sollte, der irgendwann die große Welt gegen die kleine Eifel eintauschte, verband eine recht kurze berufliche Zusammenarbeit mit dem Stern. Für das Hamburger Magazin übernahm er für ein Jahr den Posten des NRW-Büros mit Sitz in Düsseldorf. Er war damals etwa dreißig Jahre alt, und dieser Job war einer der letzten in Festanstellung, bevor er sich schließlich als Freier Journalist auf unsicheres Terrain wagte.

Trotzdem brach der Kontakt zum Stern nicht ganz ab. Neben seinen engagierten Reportagen, für die er mittlerweile von Kontinent zu Kontinent hetzte, pflegte er seine wachsende Leidenschaft für spannende Romanstoffe. Schon mit Mitte Zwanzig hatte er für den Duisburger General-Anzeiger einen Fortsetzungsroman verfasst, und dann, im Jahr 1969, erzählte er im Stern, aufgeteilt auf mehrere Ausgaben, die Geschichte des Kölner Industriellen Friedrich Kraft, der eines Tages zu erkennen glaubt, dass der Mord an seinem Schwager für ihn der einzige Ausweg aus seiner beruflichen und privaten Misere zu sein scheint. Die Tat, die er folgen lässt, und die tragischen Verstrickungen, die sich in der Folge entwickeln, werden mit beeindruckender Nüchternheit und erschreckender Härte erzählt.

Als Buch erschien »Magnetfeld des Bösen« dann im Jahr 1970 und ist somit der erste von Jacques Berndorf veröffentlichte Kriminalroman, der heute, nach mehr als 40 Jahren, nun endlich wieder in gedruckter Form vorliegt.

Die Details seiner Geschichte hat der Autor dem wirklichen Leben abgeguckt. Die Typen, ihre Psyche, die Ermittlungen, die Justiz – er hat all diese Erfahrungen umsortiert und vor dem Hintergrund der zu Ende gehenden unruhigen 60er Jahre zu einem hochspannenden Drama wieder neu zusammengesetzt. »Magnetfeld des Bösen« transportiert das Lebensgefühl und die Ängste einer vergangenen Epoche und ist trotzdem in seiner brillanten Erzählweise zeitlos. Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen.

Ralf Kramp, Verleger

Prolog

Ich habe das Ausmaß der Tragödie jetzt begriffen, aber es fällt mir schwer, sie niederzuschreiben. Gleichgültig, ob man eine Figur des mörderischen Spiels war oder, wie ich, nur Sachbearbeiter: Bei der Aufzeichnung der Ereignisse muss höchste Sorgfalt angewandt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass man von Gefühlen mitgerissen wird.

Ich bin Staatsanwalt, nicht Erster Staatsanwalt, nicht Oberstaatsanwalt. Ich werde auch nicht die Anklage vertreten. Das wird der rotgesichtige, arrogante Fiedler tun. Er hat erklärt, er brauche bei diesem »menschlich so interessanten Fall« drei junge Dachse, die ihm die Kleinarbeit abnehmen. Er hat mir den Bereich Motive der Frauen zugeteilt. Ich habe amtlich-artig geantwortet: »Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt!« Und bin sofort krank geworden. Fiedler hat für so etwas sehr viel Verständnis, weil er leberkrank ist. Er trinkt zu viel und motiviert das mit gesellschaftlichen Verpflichtungen. Als ich ihm sagte, ich würde den Fall trotz meiner Grippe zu Hause bearbeiten, war er höchst zufrieden.

Er weiß nicht, dass ich zwei der Mörder kannte, und er wird es auch nie erfahren. Er weiß auch nicht, dass ich versuchen will, den ganzen Fall zu erklären, nicht nur die Motive der Frauen.

Ich frage mich, warum ich das tue. Warum mache ich mir die Mühe, spiele krank und schreibe auf, was war?

Wahrscheinlich, weil ich befürchte, dass irgendjemand Unrecht getan werden könnte. Ich weiß es nicht genau.

Ich muss versuchen, den Toten und Lebenden gegenüber gerecht zu sein. Man kann auch dem Mörder Unrecht tun. Und dem Mörder des Mörders. Und Mörder Nr. 3.

Einige Sätze, einige Gedanken, Gesten sind erfunden.

Ich musste sie erfinden, weil ich nicht die Möglichkeit habe, Tote zu fragen. Zugleich muss ich aber szenisch denken, muss Verbindungen schaffen, muss die Bühne bauen, auf der das alles abrollte.

Es wird schwer sein, leidenschaftslos zu berichten. Ich sehe das erste Opfer vor mir, wie es mit verzerrtem Gesicht, schlaff wie ein Gallertklumpen, im blaugrünen Wasser des Mittelmeeres hin und her schwappt.

27. Juli

Dieses Datum ist wahrscheinlich objektiv falsch. Niemand wird je herausfinden, an welchem Tag, zu welcher Stunde der Tod des ersten Opfers endgültig geplant wurde. Ich bin sogar sicher, dass nicht einmal die Jahreszahl bestimmbar ist.

Sie lag nackt auf dem Bett, die Beine leicht gespreizt, und summte Michelle vor sich hin. Michelle war ein Schlager, den in diesen Monaten jeder summte.

»Es ist sieben«, sagte sie heiser. Morgens war sie immer heiser, weil sie zu viele Gauloises rauchte und abends Korn trank. Aber schon morgens war sie hübsch mit ihrem langen dunklen Haar, ihren großen dunklen Augen und dem großen sinnlichen Mund. Sie sah niemals aus, als habe sie gerade geschlafen.

Kraft stand vor dem Spiegel und band eine Krawatte. Er drehte sich leicht zur Seite und betrachtete sie mit dem heiteren Stolz des Besitzers. Er sagte: »Es ist schamlos, wie du daliegst.« Tatsächlich war er stolz darauf, dass sie so war. In den ersten Monaten ihrer Ehe hatte ihn das irritiert, aber das war nun drei Jahre her, und er hatte begriffen, dass sie ihn mit ihrer Schamlosigkeit reizen wollte und dass sie ihm vorbehalten war.

Sie richtete sich seufzend auf und griff nach den Zigaretten auf dem Lederkissen neben ihrem Bett. »Ich bin nicht schamlos.« Sie hustete. »Ich mag das so.« Sie starrte auf seinen breiten Rücken, schloss die Augen und fragte mit einer Spur von Ungeduld: »Wie lange wirst du in der Fabrik bleiben müssen?« Sie hörte, wie er die Schranktür aufschloss. Jetzt nahm er sein Jackett heraus und zog es mit den ihm eigenen, schnellen, energischen Bewegungen an. Er antwortete nicht, er antwortete nie auf diese Frage, obwohl sie sie nahezu jeden Morgen stellte.

»Es ist sieben«, sagte sie. »Und du hast noch eine Stunde Zeit. Es ist viel zu früh.«

»Ich stehe doch gern früh auf«, sagte er leichthin. »Ich will mich an den Schreibtisch setzen und ein bisschen nachdenken.«

Sie lächelte. »Natürlich über Schumacher«, murmelte sie. »Und ob er dir heute wieder etwas zwischen die Beine werfen wird.«

»Das auch.« Er gab es nur widerwillig zu, aber es hatte keinen Sinn zu lügen. Sie wusste ohnehin sehr genau, wie es um ihn und Schumacher stand.

Während sie die Beine aus dem Bett schwang, betrachtete er sie aufmerksam. Sie war jetzt neunundzwanzig, aber ihr Körper war noch der einer Zwanzigjährigen. Nicht einmal die Brüste hatten an ihren Ansätzen diese verräterisch gekräuselte Haut. Sie standen noch immer steil herausgereckt wie Waffen. Er lächelte bei dem Gedanken.

»Was lachst du?«

»Ich habe dich angesehen.«

»Das habe ich gemerkt. Man merkt es auf der Haut.« Sie sah aufmerksam an sich herunter. »Ist irgendwo etwas auszusetzen?«

Er sah auf das dunkle Dreieck zwischen ihren Beinen und schüttelte den Kopf. »Ich könnte dein Vater sein«, sagte er.

Er sagte das häufig, und sie glaubte, er wolle dann Komplimente hören. Also murmelte sie: »Sei nicht albern, du bist großartig.«

Er lächelte und wusste, dass das nicht stimmte. Vielmehr war sie großartig, und er schwamm begierig in ihrem Kielwasser. Es war ihm noch nicht bewusst, dass er sein Alter immer häufiger erwähnte. Nur Melancholie spürte er manchmal, einen sanften Druck, vor dem er sich fürchtete.

Laut rief er hinunter: »Therese! Ist das Frühstück fertig?«

Und sofort kam von unten Thereses Stimme: »In zwanzig Minuten!«

Kraft nickte, sah seine Frau gedankenverloren an und fuhr mit der rechten Hand über die glattgelackte Fläche des Türrahmens. Das Buch war unten.

Es gab Dinge, die getan werden mussten, und dies war so eine Sache. Er wehrte sich schon lange nicht mehr dagegen. Er spürte auch nie die Versuchung, Rita etwas davon zu sagen, und der Gedanke an ihre mögliche Reaktion erheiterte ihn derart, dass er sich schnell abwandte und die Treppe hinunterging. Nach vier Stufen erreichte ihn ihre Stimme.

»Ich gehe in die Sauna und zur Massage. Holst du mich ab?«

»Es wird nicht gehen«, antwortete er. »Schumacher macht Dampf, viel Dampf.« Er hörte noch, wie sie unwillig mehrere Male »Schumacher, Schumacher« murmelte, dann erreichte er die Tür zum Wohnzimmer und starrte durch den mattdunklen Raum auf das große helle Viereck des Fensters zur Terrasse. Er ging schnell an das wandhohe Regal mit den vielen Büchern, von denen er höchstens zehn gelesen hatte.

Bevor er das Buch herausnahm, zog er die Klappe des Plattenspielers auf und suchte bedächtig zwischen den grellfarbenen Hüllen nach Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band. Er mochte die Beatles, und er war stolz darauf, zu den Leuten zu gehören, die fünfzig Jahre alt sind und die Beatles mögen.

Er nahm jetzt das Buch heraus und legte es auf den Schreibtisch. Er begann nicht sofort zu lesen, sondern stellte sich an das große Glasfenster zur Veranda.

Er starrte hinüber zu den Türmen des Domes. »Gloria in excelsis Deo …«

Es würde immer wieder so sein. Sie würden zusammen in das Hochamt gehen, formiert wie eine kleine private Prozession. Schumacher voran, dann er mit Rita, dann Andreas mit Chris. Sie würden knien und stehen, irgendeine endlose Predigt hören, an der nichts neu war, und die Kommunion empfangen. Schumacher würde, ebenso wie er und Andreas, einen Hundertmarkschein in den Klingelbeutel werfen, sie würden sich bekreuzigen und gehen. Und irgendwo in ihrer Nähe würde Ilse Winter sich bewegen, Schumachers Geliebte. Sie würde herausfordernd auf den Stufen des Portals stehen, dann dicht an Schumacher vorbeigehen, ihm irgendetwas zuflüstern und im Gewirr auf dem Domplatz verschwinden. Schumacher würde ihnen gleichgültig zunicken und einen schönen Sonntag wünschen. Dann würde auch er verschwunden sein.

Und in dieser so selbstsüchtig frömmelnden Stadt wohnt ein Mann, der töten wird, kühl und gezielt töten. Kraft dachte, dass man das in bestimmten Kreisen für ganz selbstverständlich halten mochte. Aber in der guten Gesellschaft von Köln am Rhein?

Er wandte sich um und ging zum Schreibtisch.

Das Buch trug den Titel Das Jahrhundert der Detektive. Er wusste nichts über den Autor, aber er war ihm fast überschwänglich dankbar für den Fingerzeig, den er ihm gegeben hatte. Das Buch war 571 Seiten stark, und Kraft hatte das wichtige Kapitel durch einen reinen Zufall entdeckt. Zunächst hatte er nicht begriffen, was er las, er hatte das Buch fortgelegt, um Stunden später ganz plötzlich zu begreifen.

Ihn interessierten nur ein paar Seiten, und er kannte beinahe jede Zeile auswendig. Auf Seite 230 stand die Passage, die ihn am meisten beschäftigte: Auch auf dem Gebiet des Todes im Wasser war es also gelungen, vielerlei diagnostische Möglichkeiten zu schaffen, soweit es sich um die Untersuchung von Todesfällen handelte, die kurz oder relativ kurz zuvor eingetreten waren. Viel schwieriger war es festzustellen, ob ein Toter zwar noch lebend, aber gewaltsam ins Wasser gestürzt oder unter Wasser gedrückt worden war. Es gab Möglichkeiten, tödliche Verletzungen nachzuweisen, wenn dem Sturz ins Wasser ein Mord voraufgegangen war. Doch beim Tod durch gewaltsames Ertränken stellte die Untersuchung besondere Probleme. Hier gab es nur einen die Diagnose erleichternden Umstand: Die Opfer gewaltsamen Ertränkens setzten sich im Todeskampf unverhältnismäßig heftig zur Wehr. Sie zwangen ihre Mörder, fest zuzupacken, mit oft verzweifelter Kraft, sodass Quetschungen und Kratzwunden entstanden.

Kraft zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen das Fenster. Dann schlug er die Seite 241 auf. Dort war ein Bild des englischen Ehepaares Smith. Dieser George Smith faszinierte Kraft. Auf dem Foto stand er im Gehrock neben einer auf einem Stuhl sitzenden Frau, und sein Gesicht unter dem Zylinder war voller Schatten, nichtssagend. Unter dem Foto waren zwei Zeichnungen. Eine zeigte eine nackte Frauenleiche in einer mit Wasser gefüllten Badewanne. Die zweite zeigte diese Wanne von oben mit den verschiedenen, gestrichelt angedeuteten Tiefen der Wanne. Der Textblock daneben gehörte zum festen Repertoire Krafts. Er hatte ihn so oft gelesen, dass er ihn hätte aufsagen können wie Kinder ein Geburtstagsgedicht.

Der Erste Weltkrieg verhinderte, dass der Fall des Engländers G. J. Smith, der zwischen 1911 und 1914 drei von ihm geheiratete Frauen in Badewannen ertränkte, zu einer kriminalistischen Sensation der Weltpresse wurde. Die Toten zeigten keine Spur von Gewaltanwendung. Das Bild zeigt ihn mit einem seiner Opfer, Bessie, geb. Mundy. Spilsbury gelang der Nachweis, dass Smith seine ahnungslosen Opfer im Bad bei den Füßen gepackt und die Füße in die Höhe gerissen hatte. Der Oberkörper glitt unter Wasser, das in Mund und Nase eindrang und einen Schocktod herbeiführte.

Rita rief von irgendwoher: »Ich suche meine Handcreme.«

Therese schrie etwas zurück, was Kraft nicht verstand. Er starrte auf das Foto und dachte, dass die Polizei damals in England sehr lange geglaubt hatte, die drei Frauen seien ertrunken. Und er war sicher, dass kein Gelehrter wie Spilsbury auftauchen würde, um ihm einen Mord nachzuweisen.

Kraft war ein überaus vorsichtiger Mann, ein wirklich guter Mörder.

Er klappte das Buch zu, stand auf und stellte es zurück zwischen die anderen. Er wusste nicht genau, woher er dieses Buch hatte. Vermutlich war es ein Geburtstagsgeschenk von einem der Leute in der Firma, von der Planungsabteilung oder seinem Sekretariat. Bücher interessierten ihn nicht.

Er stellte den Plattenspieler ab und rief: »Ich möchte Kaffee!«

Flüchtig glitt sein Blick über den Schrank mit den Jagdwaffen, und er dachte beschämt, dass er vor Monaten in Erwägung gezogen hatte, sein Opfer mit einer dieser Waffen zu erschießen. Es war unglaublich, wie dumm man sein konnte, wenn man jemanden hasste.

Therese glitt wie ein Schatten durch die Diele zum Esszimmer hin.

»Guten Morgen, altes Haus!«, sagte Kraft heiter.

Die Alte tauchte wieder in seinem Blickfeld auf und nickte einmal kurz. Es war ihre Art, Zuneigung zu zeigen, und Kraft amüsierte das immer aufs neue.

Rita stand auf der Treppe in einem sehr knappen Bikini. Sie liebte derartige Überraschungen, und er ging mit viel Verständnis darauf ein.

»Was soll das?«

Sie lachte, ließ einen Augenblick die Hüften kreisen, und ihre langen dunklen Haare bewegten sich träge wie ein schwerer Vorhang. »Ich werde ihn tragen.«

»Dann bekomme ich Konkurrenz.«

Sie sprang die letzten Stufen herunter und stellte sich so dicht vor ihn, dass er ihre Brüste spürte.

»Für dich gibt es keine Konkurrenz.«

»Nein.«

Er wusste, dass es so war, und er kannte den Grund. Er hatte jetzt die Möglichkeit, zynisch zu werden. Zum Beispiel könnte er sagen: »Du wirst nicht so dumm sein und dich auf ein Abenteuer einlassen, weil ich alles habe, was du brauchst. Geld, gesellschaftliche Stellung und dergleichen.« Er könnte es sagen, aber er würde es niemals tun. Denn zwischen ihnen war alles so klar: Sie liebten sich nicht mit der Hitze Unbesonnener, aber sie mochten sich sehr und konnten sich aufeinander verlassen. Sie waren klug gekuppelt worden, und sie ließen keine Traurigkeit aufkommen, solange ihr Leben in Ordnung war und angenehm verlief. Und das war bisher der Fall.

Es gab einen weiteren Grund, warum Kraft niemals etwas derart Törichtes sagen würde: Er wollte sich nicht bloßstellen, auf keine Weise, nicht einmal vor seiner Frau.

Therese kam aus dem Esszimmer zurück und sah Rita vor Kraft stehen. Sie fragte aggressiv, und die vielen Jahre in diesem Haus gaben ihr das Recht dazu: »Wollen Sie so frühstücken?«

Rita sagte zufrieden glucksend: »Ja.«

Therese verschwand, ohne den Kopf zu schütteln, aber mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Sie ist deine erste Frau gewohnt!«

»Schumachers Schwester war nicht schlecht«, murmelte Kraft. »Nur ganz anders.«

»Trug sie rosa Büstenhalter?«

»Nein. Ich weiß nicht mehr.«

»Vielleicht strickte sie sie selber?« Rita begann zu lachen.

Sie machten sich gelegentlich über Krafts erste Frau lustig, die vor vier Jahren gestorben war. Sie fanden nichts dabei, denn in ihren Augen waren die Scherze harmlos und nur allzu berechtigt.

Kraft spürte keinerlei Bindung mehr an diese gestorbene Emmi Schumacher, deren Tod für ihn eine Erlösung gewesen war. Mit mattem Ekel erinnerte er sich an ihre leiernde Frömmigkeit und mit Belustigung an die wenigen Nächte, in denen er zu ihr gegangen war. Sie hatte sich danach wochenlang als Sünderin gefühlt und es vermutlich sogar gebeichtet.

Kraft hatte sie geheiratet, um an die Fabrik zu kommen, wenn ihr Bruder einmal sterben würde, und er war bereit gewesen, dafür seinen Preis zu zahlen: eine lebenslange Gemeinschaft mit dieser Frau. Er war dankbar, als sie starb, und es muss hier eingefügt werden, dass er nichts mit ihrem Tod zu tun hatte. Sie starb an Unterleibskrebs.

Kraft hatte das Trauerjahr eingehalten, ehe er Rita heiratete, und er empfand es als eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Ilse Winter, die Geliebte des Bruders seiner verstorbenen Frau, ihm Rita zugeführt hatte gemäß der seriösen und unverhüllten Zeremonie der Kuppelei, die sie mithilfe des ihr von Schumacher eingerichteten Schönheitsinstitutes betrieb.

Er lächelte auf seine Frau hinunter und schob sie sanft von sich. »Du willst mich verführen!«

»Ich will immer verführen, wenn ich müde und faul bin.«

Sie löste sich von ihm und ging vor ihm her in das Esszimmer. »Du bist unersättlich.«

»Natürlich.«

»Bist du eine Nymphomanin?«

»Vermutlich.«

»Mein Kaffee ist zu stark.«

»Dann gieß dir Wasser zu.«

»Steht etwas Besonderes in der Zeitung?«

»Ich habe noch nicht reingesehen.«

Es war wie immer. Belanglose Frivolitäten, belanglose Bemerkungen, träge Zufriedenheit. Kraft wusste, dass Rita noch einmal ins Bett gehen würde, wenn er losgefahren war. Er fand das selbstverständlich, denn was sollte eine Frau um diese Zeit Besonderes tun?

»Es ist der letzte Tag«, sagte er. Dabei stand er auf und stellte seinen Stuhl sorgfältig zurück an den Tisch. »Wann wirst du packen?«

»Heute Abend, wenn du mir hilfst. Allein packen macht keinen Spaß.« Auch sie stand auf.

Er ging hinaus in die Diele und hörte hinter sich ihre nackten Fußsohlen auf dem Marmorboden. »Fahr zu Chris und hilf ihr. Sie hat immer Reisefieber gehabt. Schon als kleines Kind.«

»Deine Tochter ist einundzwanzig und hat einen Mann«, sagte sie. Es widersprach ihrem Temperament, jemandem bei einer solchen Lächerlichkeit wie der Vorbereitung einer Urlaubsreise zu helfen.

»Sie war schon als Kind so«, sagte er.

»Wann fahren wir?«

»Heute Nacht. Gegen vier Uhr. Dann ist die Autobahn leer. Wir sind morgen Abend an der Küste.«

»An welcher Küste?«

»Am Mittelmeer. Aber das weißt du doch.«

»Ich höre gern, wenn man sagt ›an der Mittelmeerküste‹.«

Sie lachte flüchtig und küsste ihn. Als er die Treppe hinunter in den Vorgarten ging und die Garage beinahe schon erreicht hatte, rief sie ihm nach: »Ruf mich in einer Stunde an und weck mich.«

Er nickte und sah flüchtig, wie im Haus gegenüber jemand die Gardine beiseiteschob und seine Frau anstarrte, die frühmorgens um acht Uhr im Bikini in der Haustür stand. Er dachte flüchtig, dass ihn das vor vier Jahren noch schockiert hätte. Jetzt stimmte es ihn heiter, und er leistete sich den Scherz, freundlich zu dem Fenster hinüberzuwinken. Er wusste, dass da dieser picklige Student mit den dicken Brillengläsern stand. Vermutlich hatte der Junge jetzt feuchte Hände.

Kraft setzte das Auto, einen sehr auffälligen signalroten Lancia, rückwärts aus der Garage und ließ den Motor einen Augenblick warmlaufen, ehe er losfuhr. Er verspürte nicht die geringste Lust zu arbeiten und nahm sich vor, die Fabrik so früh wie möglich zu verlassen, um irgendwo ein Bier zu trinken. Am besten in der Sonne. Außerdem war er sicher, dass Schumacher diesen Tag nicht vergehen lassen würde, ohne ihn erneut zu demütigen. Schumacher dosierte die Behandlung sehr sorgfältig. Und der Tag vor Beginn der Betriebsferien war gewöhnlich der quälendste des Jahres. Aber Kraft lächelte, denn er hatte gut und sorgfältig geplant, und das machte ihn stolz und ließ ihn sogar an die Unerträglichkeit Schumachers mit Gelassenheit denken.

Als er über die Brücke fuhr, stellte er das Radio an. Es gab Musik, zu deren Takt er auf das Lenkrad klopfte. Er fuhr in den starken Verkehr der Innenstadt, fuhr rücksichtslos und selbstsicher, hielt einmal an, um sich Zigaretten zu kaufen, und setzte dann seinen Weg in den Norden fort. Als er in die Straße einbog, als er die schwere Kupferplatte Maschinenbau Gustav Schumacher neben dem Pförtnerhaus sehen konnte, als das Tor beiseite glitt und ihn die Leute devot grüßten, dachte er heiter an einen Mord und sein Publikum.

So unglaublich es klingt: Für seinen Mord brauchte er ein bestimmtes Publikum.

Ich schreibe diese Geschichte nieder, um Klarheit über das zu erlangen, was geschehen ist. Ich muss Fehler vermeiden, über die man sich in der Presse und bei den Zuhörern amüsieren könnte. Ich bin einfach zu empfindlich, ich kann Spott nicht ertragen.

Der Tatbestand ist klar: Wir haben drei Leichen, und wir wissen, wer wen tötete. Aber obwohl es drei Mörder gibt, wird nur einer auf der Anklagebank sitzen, und schon da beginnen die Schwierigkeiten. Denn es stellt sich die beklemmende Frage, ob dieser eine überhaupt ein Mörder ist. Der Oberstaatsanwalt ist versessen darauf, Anklage wegen vorsätzlichen Mordes zu erheben. Weiß er, was er tut? Es gibt so viele Fragen.

Der Regen draußen ist in Schnee übergegangen. Ich werde diesen Tag, die Nacht und die folgenden Stunden benutzen, alles aufzuzeichnen. Wahrscheinlich werde ich darüber einschlafen, aber ich habe das Gefühl, dass dieses Unternehmen wichtig ist. Es ist wohl besser, mein Zimmer abzuschließen, damit die Kinder nicht hereinkommen und mich stören. Ich will allein sein.

Dieser 27. Juli, an dessen Morgen Kraft zum letzten Male in das Buch sah, um dann geradezu arrogant gelöst an den Mord zu gehen, ist ein wichtiger Tag, obwohl er bei der Gerichtsverhandlung mit Sicherheit kaum erwähnt werden wird. Ich kenne die Oberflächlichkeit gewisser Gerichte gut genug, um das behaupten zu können.

Der Vorsitzende wird irgendwann gelangweilt die Bemerkung machen: »Also der 27. Juli war der letzte Arbeitstag. Dann ging die Firma Schumacher für drei Wochen in Betriebsferien. Nun ja, das ist nicht weiter wichtig. Uns interessiert vielmehr …«

O nein, Herr Vorsitzender, Sie irren! Dieser Tag ist wichtig, ungeheuer wichtig sogar. Denn an diesem Tag begaben sich sechs Menschen in die düstere, eklige Welt des Verbrechens. Fünf von ihnen, ohne es zu ahnen, einer mit festem Vorsatz. Zwei würden wenig später auch morden. Wissen Sie eigentlich genau, Herr Vorsitzender, warum? Sie glauben es zu wissen, aber ich fürchte, dass Sie lediglich die bequemste Möglichkeit annehmen. Vielleicht wollen Sie die Sitzung auch nur kurz machen, damit nicht allzu viel vom Lack der guten Gesellschaft abspringt, der Sie selbst angehören? Das alles möchte ich sagen, aber ich kann es nicht, es ist nicht mein Amt.

Ich bin auch ziemlich sicher, dass Sie, meine Herren Richter, den Ausführungen der Psychiater nur unaufmerksam folgen werden, ganz abgesehen von den Geschworenen. Ihre gelangweilte Weisheit lässt Sie immer wieder glauben, die Menschen bereits zu kennen. Außerdem misstrauen Sie Psychiatern, obwohl mit Sicherheit einige von Ihnen jene Pillen in der Tasche tragen, die Ihnen über Depressionen und Angstzustände hinweghelfen.

Doch ich will weiterschreiben, ehe ich mich aus Zorn völlig nutzlos über einen Zustand aufrege, den ich gern als ein Krankheitssymptom unserer Gesellschaft bezeichne.

Kraft betrat um genau acht Uhr dreißig das glatte, marmorne Hochhaus der Firma Schumacher, ein schlanker großer Mann mit grauen Fäden im dunkelbraunen Haar und einem von Höhensonne gelblich braun getönten Gesicht, das als ›markant‹ oder ›scharf‹ zu bezeichnen ist.

Er durchquerte mit einem freundlichen »Guten Morgen« die Empfangshalle, die er insgeheim »das Krematorium« nannte, und hörte hinter sich die Stimme der hübschen dunkelhaarigen Frau, die als Empfangsdame fungierte und in Krafts Augen eine völlig sinnlose Dekoration war.

»Guten Morgen, Herr Direktor. Herr Schumacher ist noch nicht eingetroffen. «

Das sagte sie jeden Morgen, obwohl Kraft sich nicht daran erinnern konnte, jemals gefragt zu haben, ob Schumacher bereits eingetroffen sei. Vermutlich sagte sie es nicht nur ihm, sondern auch allen Abteilungsleitern und bestimmt mit dem Zusatz: »Herr Kraft und Herr Schumacher sind noch nicht eingetroffen.«

Kraft drehte sich am Lift um und nickte ihr freundlich zu, sie errötete und nickte zaghaft zurück. Auch das war jeden Morgen das gleiche.

Im Lift drückte er auf den Knopf zum dreizehnten Stockwerk und stellte sich nicht allzu intensiv die Frage, ob er es nicht doch allein versuchen solle. Er hatte diesen Punkt schon vor einiger Zeit mit äußerster Gewissenhaftigkeit untersucht und beantwortet. Es allein zu tun, war wegen gewisser technischer Finessen zu riskant. Er war zwar sicher, sein Ziel auch allein erreichen zu können, aber mithilfe seines Werkzeugs würde er nicht nur den äußersten Grad von Sicherheit erreichen, sondern auch das Gefühl haben, nicht ganz allein auf der Bühne zu stehen. Es ist bezeichnend für Kraft, dass er immer »Werkzeug« dachte und niemals einen Namen damit verband.

Der Lift hielt mit einem sanften Schnurren, und die Torflügel glitten zur Seite. Er trat hinaus auf den weinroten Läufer und hörte das heitere Geschwätz der Sekretärinnen.

»Trinkt ihr etwas?«

In der Tür zum Büro seines Schwiegersohnes erschien die Blondine, die sie alle nur Susie nannten, obwohl sie einen ganz anderen Namen hatte.

»Ob ihr etwas trinkt, habe ich gefragt.« Er lächelte sie an. Sie war hübsch, sehr hübsch sogar, und angeblich schlief sie mit dem Leiter der Werbeabteilung.

»Wir trinken Sekt. Herr Schumacher kommt erst um elf.«

»Das ist gut. Ist Kognak da?«

»Nicht hier, aber in Ihrem Zimmer.« Sie lächelte verschwörerisch. »Ich sage Anneli Bescheid.« Und dann ausgelassen wie im Karneval: »Anneli, Herr Direktor Kraft möchte einen Kognak!«

»Nicht nur einen«, murmelte Kraft und ging auf sein Büro zu. Hinter sich hörte er die hastigen Atemzüge Annelis.

»Entschuldigung, wir haben nur etwas …«

»Aber was macht das?« Er drückte die Tür auf und ging zu seinem Schreibtisch. »Ihr trinkt Sekt, ich trinke Kognak.«

»Natürlich«, sagte sie, und er wunderte sich darüber, dass sie in den fünf Jahren, die sie ihn schon betreute, noch immer nicht ihre Scheu verloren hatte.

Sie war dunkelhaarig und grazil. Kraft hatte sie sehr sorgfältig ausgewählt, und er wusste, dass sie noch immer in ihn verliebt war.

»Gieß mir einen Doppelten ein. Besser einen Dreifachen. Das Glas voll.«

»Ja.«

»Und weck meine Frau um neun Uhr.«

Er hörte sie hinter sich mit der Flasche hantieren. »Wohin fährst du?«

»Nach Ibiza.«

»Allein?«

»Ja.«

»Warum?«

»Mit wem soll ich denn fahren?«

»Mir irgendeinem Mann.«

»Ich mag das nicht.« Sie beugte sich über seine rechte Schulter und stellte das Glas auf die Lederplatte des Tisches.

»Du riechst gut.« Er lachte.

»Es ist Worth. Ich benutze es immer.« Obwohl sie fast auf ihn fallen musste, blieb sie so stehen, den Körper über ihn gebeugt, die Hand mit den langen, sehr schmalen Fingern am Stiel des Glases auf der Lederplatte.

»Wann war das eigentlich?« Er starrte aus dem Fenster.

»Das letzte Mal?«

»Das letzte Mal.«

»Das war vor drei Jahren, bevor Sie heirateten.«

»Warum sagst du nicht ›du‹, wenn wir allein sind?«

»Das ist gefährlich!«

»Vielleicht. Müssen wir heute noch Post machen? Ist viel gekommen?«

»Nicht viel. Es müssten drei Briefe diktiert werden.«

»Das machen wir nach dem Essen, nicht eher.« Er trank das Glas mit einem Zug aus. »Wie alt bist du jetzt?«

»Siebenundzwanzig.«

»Und du hast keinen Mann?«

»Nichts Bestimmtes.«

Er lachte leicht. »Wo ist mein Schwiegersohn?«

»Andreas ist in Halle eins.«

Andreas? Wieso sagte sie nicht Herr Lorenz? War da etwas?

»Duzt du Andreas?«

»Nein, natürlich nicht. Wir sagen alle immer nur Andreas.«

Sicher, so war es. Er musste sich hüten, misstrauisch zu werden.

»Ihr mögt ihn, nicht wahr?«

»Ja.« Sie löste sich von ihm und fragte: »Darf ich auch einen Kognak trinken?«

»Natürlich.« Er wusste, dass sie eine gewisse Bildung besaß und äußerst sensibel war. Auf keinen Fall konnte man sie mit anderen Sekretärinnen vergleichen. Sie war klug. Also behandelte er sie, als sei sie etwas sehr Wertvolles. Er behandelte überhaupt alle Menschen seiner Umgebung mit einem beinahe erschreckenden Maß an Fingerspitzengefühl.

Sie sagte »Zum Wohl« und dann lächelnd: »Auf dein Wohl!«

Sie tranken und sahen sich an.

»Wenn ich morgens trinke, bin ich schnell beschwipst. Wohin fährst du?«

»Wir machen eine Familienreise.« Er verzog angewidert den Mund, als sei ihm das sehr unangenehm. »Wir fahren zu viert. Wir wissen noch nicht, wohin. Es ist das beste, man fährt einfach drauflos. Wir wollen ans Mittelmeer.«

Sie setzte sich in den breiten schwarzen Lederstuhl vor seinem Schreibtisch und schlug die Beine übereinander, sodass ihre Oberschenkel sichtbar wurden.

»Ich habe deine Frau gesehen.«

»So?« Er wusste, dass nach normalen Maßstäben ein solches Verhältnis gefährlich wäre, aber bei Anneli war es etwas anderes, sie brauchte diesen persönlichen Kontakt.

»Sie war bei der Winter zur Massage.«

Er begann schallend zu lachen. »Gehst du auch dorthin?«

Sie lachte nicht: »Manchmal, wenn ich genügend Geld habe.«

Das war ihm peinlich. Er erwiderte nichts darauf, sondern trank einen Schluck.

»Sie ist hübsch«, sagte sie. Es klang kühl und objektiv.

»Ja«, sagte er. »Wir sind glücklich.«

»Natürlich.« Sie stand auf und stellte ihr Glas auf den Tisch.

»Du wolltest die Sache mit Heinemann heute Morgen erledigen.«

»Ach ja. Verbinde mich bitte mit ihm.«

Er hörte, wie sie in ihren Nebenraum ging.

»Wie viele Kinder hat er?«

»Drei, soviel ich weiß.«

»Glückliche Ehe?«

»Ja«, sagte sie. »Aber natürlich weiß man nicht alles.«

»Warum will Schumacher eigentlich, dass ich ihn hinauswerfe?«

Sie erschien wieder in der Tür. »Sie sollen ihn hinauswerfen, weil Herr Schumacher ihn nicht mag. Das ist alles.«

»Hat Heinemann Schumacher beleidigt?«

»Nein.« Sie lächelte ironisch. »Man sagt, sie wären neulich zusammen zufällig im gleichen Lift gefahren, und da hätte Schumacher Heinemanns Gesicht nicht sympathisch gefunden.«

Kraft verwahrte sich nicht dagegen, dass sie so verächtlich von Schumacher sprach, er wusste, dass sie ihn nicht mochte. Und sie wusste, dass er ihre Verachtung teilte.

»Also, verbinde mich mit Heinemann. Nein, warte, schick ihn herauf. «

»Jawohl, Herr Direktor.« Das war kein Spott, private und dienstliche Dinge trennte sie mit kindlicher Gewissenhaftigkeit.

Es war, als habe dieser Heinemann, von dem Kraft nur wusste, dass er ein leidlich guter technischer Zeichner war, auf die Vorladung gewartet. Es dauerte nicht einmal zwei Minuten, bis er vor Krafts Schreibtisch stand.

»Mögen Sie einen Kognak?«

Heinemann hatte eine dickliche, tollpatschig wirkende Figur und einen Hang zu grellen, blumigen Krawatten und Diskussionen über Marx und Mao.

Er fragte ruhig: »Werde ich einen gebrauchen können?«

Kraft nickte. Intelligente Leute versuchte er nie plump anzugehen. »Sie werden einen gebrauchen können.«

Der Dicke setzte sich umständlich in den Sessel, und Anneli kam aus ihrem Zimmer, um Kognak einzugießen. Nachdem sie gegangen war, scharrte Kraft mit beiden Füßen über den Teppich. Er sagte: »Ihr Vertrag läuft Ende des Jahres ab.«

»Ja.«

»Haben Sie etwas Neues in Aussicht?«

»Nein. Ich habe mich um nichts gekümmert.« Die Antworten des Mannes kamen selbstsicher, als wisse er genau, was kommen würde, und als habe er sich längst damit abgefunden.

»Ich glaube, Ihr Vertrag wird nicht verlängert.« Kraft lächelte. »Ich halte es nur für fair, Sie darüber zu informieren. Frühzeitig genug, damit Sie sich etwas Neues suchen können.«

Der Dicke trank von dem Kognak, dann grinste er breit. Es war, als spreche er zu sich selbst. »Ich weiß, wann es war. Donnerstag vor vierzehn Tagen. Ich fuhr mit Herrn Schumacher im Lift.« Er lachte leise. »Ich trug einen hellbraunen Cordsamtanzug, wissen Sie? Und dazu eine hellblaue geblümte Krawatte. Lauter Vergissmeinnicht. War es das?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Kraft, und es klang einigermaßen glaubwürdig.

»An meiner Arbeit ist nichts auszusetzen, nicht wahr?«

»Sie bekommen ein sehr gutes Zeugnis.«

»Ja, gut. Also danke schön für den Hinweis.« Er stand auf und ging langsam vor Kraft her zur Tür. Es war unvermeidlich, dass er sich in der Tür noch einmal umwandte, um sein Verständnis und seine Intelligenz auszuspielen. »Es ist merkwürdig, dass solch fossile Erscheinungen wie Schumacher noch leben«, murmelte er heiter. »Man sollte eine Art Reservation für sie einrichten.«