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Sascha Gutzeit

Tot ist tot,
und Schnaps ist Schnaps

Sascha Gutzeit, geboren 1972, ist Sänger, Schauspieler, Autor und Entertainer. Seit 1993 macht er CDs mit eigenen Songs und schreibt auch Musiktheaterstücke, in denen er alle Rollen selber spielt – unter anderem die Krimikomödie Der Mörder ist immer der Täter. Er ist Mitgründer des Vollplaybacktheaters, nahm ein Duett mit Wolfgang Niedecken auf, komponierte Filmmusik, arbeitet als Sprecher und vertonte u.a. Kai Meyers Buchreihe Die Sieben Siegel.

Er liebt Tomate mit Mozzarella und isst nachts heimlich Nutella mit dem Löffel. Wenn er nicht gerade durch die Lande tourt, lebt er zusammen mit Frau und Hund in der Vulkaneifel. Tot ist tot, und Schnaps ist Schnaps ist nach der Grusel-Groschenromansatire Doktor Schock sein zweites Buch.

www.SaschaGutzeit.de

Sascha Gutzeit

Tot ist tot,
und Schnaps ist Schnaps

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Originalausgabe
© 2013 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlagfoto: © Christoph Müller
Umschlaggestaltung: Thorsten Anders
Szenenfotos: © Jan Wiesemann
Print-ISBN 978-3-95441-138-2
E-Book-ISBN 978-3-95441-148-1

Für meinen Freund Gerhard.
Und für meine Tochter Greta.
Macht’s gut da oben!

»Ich zitiere mich gerne selber, wenn ich sage,
dass ein begangener Mord nichts anderes ist, als der gescheiterte
Versuch, einen Mord nicht zu begehen.«

Kommissar Heinz Engelmann

Inhalt

Achtung, Achtung

Die Leiche, die sich aus dem Anzug haute

Gebrechen lohnt sich nicht

Der Mord zum Sonntag

Die Frau, die zu wenig wusste

Abgrundtief tot

Tot ist tot, und Schnaps ist Schnaps!

Achtung, Achtung!

Jetzt passt mal auf, ich bin Polente
Ich ermittele knallhart, nicht nur al dente
und jeden, der dichthält wie Fensterkitt
den lass ich hochgehen wie Dynamitt
und löse alle Fälle, bis auf die, die man nicht lösen kann.

Achtung, Achtung!
Ich bin Kommissar Heinz Engelmann.

Wer braucht Sherlock Holmes und Kommissar Maigret,
wenn der Engelmann auf der Matte steht?
Hab keinen Lolli wie Kojak, hab ’ne Kippe am Zahn,
ich sauf wie Erik Ode und hab nie ein’n im Kahn
und löse alle Fälle, bis auf die, die man nicht lösen kann.

Achtung, Achtung!
Ich bin Kommissar Heinz Engelmann.

Mein Dienst ist so trocken, dass ich immer Cognac brauch
Und nach Feierabend trink ich Cognac natürlich auch
ich bin geschmeidig wie ein Geier,
der sich in die Lüfte schraubt
ich bin polizeier als die Polizei erlaubt!

Vergesst Poirot, Brunetti, Derrick und Wallander
Ich bin der coolste Bulle, der mit dem rosaroten Panda
Und ich muss mich auch nicht dumm stellen wie der Columbo
Denn ich bin von Natur aus so.

Also quatsch mich bloß nicht blöd von der Seite an,
bin nicht so sexy wie Miss Marple, doch ich arbeite dran
und ich stoße alle Gauner vor den Kopf wie Zinedine Zidane.

Achtung, Achtung!
Ich bin Kommissar Heinz Engelmann!

Die Leiche, die sich aus dem Anzug haute

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»Dieser Fall war ein Fall für sich. Dass Mord kein Kinderteller war, wusste ich ja, doch wenn sich Tote selbstständig machen, dann hört der Spaß auf! Seltsame Enthüllungen, eine Beerdigung mit Zwischenfällen und Leichen, die ihr letztes Hemd hergaben, machten die Ermittlungen so spannend, dass ich fast vom Fleisch fiel.«

Kapitel 1

Ein markerschütternder Schrei schallte über den ganzen Friedhof. Es folgte ein dumpfes Poltern und Holz splitterte, als der Sarg zu Boden krachte. Schreibers Erwin hielt sich das Kreuz und die gesamte Trauergemeinde den Atem an.

Warum ausgerechnet der Erwin den Sarg mittragen musste, war allen ein Rätsel. Seit Jahr und Tag hatte er es doch ganz schlimm an der Bandscheibe. Aber er hatte drauf bestanden, denn die Ommi Schneider, deren Beerdigung das hier werden sollte, hatte ihn großgezogen wie einen eigenen Sohn, nachdem seine Eltern vor vielen Jahren bei einer Tretbootfahrt in Bad Ems von Möwen attackiert, gekentert und dann in den Untiefen der Lahn verschollen waren. Die beiden sind übrigens nie wieder aufgetaucht. Auch nicht aus dem Wasser. Jedenfalls hatte die Ommi den kleinen Erwin bei sich aufgenommen.

Vor fünf Tagen war die achtundneunzigjährige Dame dann beim Glühbirnewechseln friedlich eingeschlafen. Na gut, ganz so friedlich war das nicht gewesen, die Ommi war schon noch durch das ganze Wohnzimmer geflogen, weil sie statt der neuen Birne ihre Finger in die Fassung geschraubt hatte. Dabei hat sie dann selbige verloren – und ihr Leben auch.

Heute sollte nun also die Beisetzung sein, vormittags um elf Uhr auf dem hiesigen Friedhof direkt neben der Kirche.

Zusammen mit Krügers Volker, Bauers Jochen und Lischpers Uwe hatte Schreibers Erwin den Sarg geschultert gehabt und ihn, dem Pfarrer folgend und mit der Trauergemeinde im stillen Schlepptau, den Kiesweg entlang zu Ommi Schneiders letzter Ruhestätte tragen wollen. Bis Erwins böse Bandscheibe für einen Vorfall sorgte, der seinesgleichen suchte.

Als ihn der grässliche Schmerz durchzuckte, hatte Erwin sich schreiend gewunden und natürlich Besseres zu tun gehabt, als die Totenkiste länger festzuhalten. Entsprechend war der Sarg, Erwins Ecke voran, mit Karacho auf den Kiesweg gepoltert und hatte Krügers Volker, Bauers Jochen und Lischpers Uwe mit sich gerissen.

Doch das war ja alles nicht tragisch im Vergleich zu dem, was noch kam. Die Kiste, offenbar ein billiges Modell aus Nussbaumimitat, war im Zuge der abrupten Niederkunft kaputtgegangen. Die Trauergemeinde inklusive des Pfarrers war ruckartig stehen geblieben und stieß im Chor ein erschrockenes Raunen aus, denn in diesem Augenblick flog der Sargdeckel auf! Die Menge stob schreiend auseinander, und es gab ein ganz schönes Gedränge, weil der Friedhof rappelvoll war. Die meisten der hiesigen Einwohner waren nämlich zu Ommi Schneiders Beerdigung gekommen, denn zum einen war Hiesig ein kleines Nest, zum anderen hatte jeder die tote Ommi gekannt und fast jeder hatte sie lieb gehabt.

Ich bahnte mir meinen Weg durchs geschockte Getümmel, das nun entsetzt entgegengesetzt zum Friedhofsausgang drängte, und half Schreibers Erwin, der winselnd vor Rücken neben dem geknackten Sarg in den Holzsplittern kauerte wie ein kaputtes Klappmesser, in die stabile Seitenlage. Stöhnend hielt er sich mit der einen Hand die ausgeleierte Bandscheibe und mit der anderen deutete er auf den aufgesprungenen Sarg.

Mein Blick folgte Erwins Fingerzeig, und ich zuckte zügig zusammen! Du liebe Güte, wie war das denn möglich? Mit einem Schlag war mir völlig klar, warum sich die Trauerprozession vom Acker gemacht hatte …

Oh, da sind Sie ja schon, liebe Leser! Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt habe.

Mein Name ist Engelmann. Kommissar Engelmann. Kommissar Heinz Engelmann, um genau zu sein, und ich bin Leiter der hiesigen Mordkommission. Ich habe ein schönes, heruntergekommenes Büro im Polizeipräsidium, durch dessen schmierige Fenster die vergilbte Sonne scheint, wenn ich meinen Dienst zeitig mit einem Cognac beginne, weil es für Kaffee meistens viel zu früh ist. Ich trage Hut und Trenchcoat, fahre einen rosaroten Panda und rauche gerne die eine oder andere Schachtel Overstolz, denn Overstolz schmeckt reif und würzig. Meine attraktive Assistentin, Polizeimeisterin Liesel Weppen, hilft mir meistens bei meinen Ermittlungen, wälzt Akten und reicht mir auch schon mal den nächsten Cognac an.

Hiesig ist, wie erwähnt, ein kleines Nest, in dem fast nie etwas passiert, doch wenn etwas geschieht, dann aber hallo! Gut und Böse liegen halt auch in einem Kaff wie diesem so dicht beieinander wie Paola und Kurt Felix. Und eh man sich versieht, laufen einem hier Mord, Totschlag und anderes Gelumpe über den Weg wie räudige Straßenkater, und ich gerate an Kriminalfälle, die spannender sind als das wahre Leben. Und bekloppter.

So wie der Fall, der just seinen Lauf nahm. Nämlich als ich auf dem Friedhof stand, in Ommi Schneiders Sarg starrte und mich doch sehr wundern musste! Denn die Ommi Schneider lag gar nicht drin! Nur ihr leeres Totenhemd war noch da und wurde nun vom Wind erfasst und aus dem Sarg geweht. Es wirbelte durch die Luft, und ich konnte das Leinenleibchen der Ommi bis rauf zur hiesigen Kirchturmspitze flattern sehen.

Schreibers Erwin bekam von dem Schauspiel allerdings nichts mit, er war auf dem Kiesweg in stabiler Seitenlage vor lauter Erschöpfung eingepennt. Es war wohl alles etwas viel für ihn gewesen, aber kein Wunder, der Erwin wurde ja jetzt auch schon bald dreiundachtzig.

Mein kriminalistischer Spürsinn sagte mir, dass ich glaubte, aus dem Augenwinkel einen Schatten zu sehen, also riss ich den Kopf herum.

Der Pfarrer stand unweit des aufgesprungenen Sarges, kreidebleich und reglos wie eine katholische Vogelscheuche. Hätte ich nicht gewusst, dass dieser Mann Gottes lebte, wäre ich fest davon ausgegangen, er wäre tot. Offenbar hatte er das schauderhafte Schauspiel auch verfolgt und blickte fassungslos zur Kirchturmspitze empor, wo der Wind das Totenhemdchen der Achtundneunzigjährigen wie eine Piratenflagge gehisst hatte.

Ich persönlich hatte allerdings keine Zeit, so blöd rumzustehen, denn als Kripobeamter wusste ich genau, dass nun gehandelt werden musste! Also verpasste ich dem Mann eine ordentliche Backpfeife und hielt ihm meine Zehnerkarte fürs Freibad hin, da ich meinen Dienstausweis mal wieder zu Hause vergessen hatte. »Ich bin’s, Kommissar Engelmann von der Schmiere!«

»Ja wo ist denn die Ommi hin?«, fragte der Pfaffe tonlos.

»Das will ich ja gerade herausfinden, verdammte Hacke!«, rief ich. »Ich muss die Fahndung einleiten. Dürfte ich bei Ihnen mal schnell telefonieren?«

Der greise Geistliche machte ein Gesicht wie Buster Keaton. »Nee, mein Sohn, schon vor Jahren haben wir beim Ausheben eines Grabes versehentlich die Leitung gekappt. Aber der nächstgelegene Apparat ist beim Fleischmann gleich um die Ecke.«

Ich rannte los, über den Friedhof, durch das gusseiserne Törchen und hinaus auf die Straße.

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Da in Hiesig alles sehr nah beieinander lag, sprang ich schon nach einer Minute durch die Ladentür von der Metzgerei Fleischmann. »Tach auch!«, rief ich schon, als die Ladenglocke noch bimmelte.

Ein Mann so um die Mitte fünfundvierzig mit schütterem Haar polierte gerade einen Schinkenhobel und sah zu mir auf. »Hallo, äh … Kommissar Engelmann.« Herbert Fleischmann wirkte etwas überarbeitet.

»Herr Fleischmann, dürfte ich mal bitte Ihren Apparat benutzen?«

»Sicher doch«, meinte der Metzgermeister verdutzt und reichte mir den Schinkenhobel.

»Nein«, wehrte ich ab. »Ich meine doch Ihren Telefonapparat.«

»Ach so, ja natürlich.« Er holte den Fernsprecher von neben der Kasse weg und stellte ihn vor mich auf die Fleischtheke hin.

»Danke«, nickte ich und ließ die Fingerchen genau dreimal durch die Wählscheibe fliegen. Kurz, kurz, lang.

Nach einigem Geratter und Getute meldete sich meine attraktive Assistentin am anderen Ende des Drahts.

»Hier Ihr Chef«, legte ich sofort los, denn ich hatte das Gefühl, dass wir bei diesem Fall keine Sekunde verlieren durften. »Liesel, hören Sie, bei der Beerdigung von der Ommi Schneider ist etwas Schreckliches passiert. Leiten Sie bitte die Fahndung ein. Nach wem? – Na, nach der Ommi Schneider natürlich! – Ja, mir geht es gut, den Schreibers Erwin musste ich allerdings in die stabile Seitenlage klappen, und das Totenhemd der Ommi baumelt jetzt oben beim Wetterhahn. Ich weiß, das klingt alles etwas komisch, ist aber so. Seien Sie doch so lieb und machen sich auf den Weg zum Café Inkontinental, denn dahin hat sich die Trauergemeinde zum vorgezogenen Leichenschmaus verpieselt, weil auf dem Friedhof alles so furchtbar war. Wir kennen zwar alle Leutchen in unserem Kaff, aber es kann trotzdem nicht schaden, wenn Sie die Personalien aufnehmen und die Alibis überprüfen. Wir sehen uns dann später im Präsidium, dann erzähle ich Ihnen alles ausführlich, abgemacht? Tschüssi.« Ich legte auf und lächelte. »Vielen Dank, dass ich telefonieren durfte, Herr Fleischmann.«

»Macht zwanzig Pfennig.«

Arschgesicht. »Sie waren also nicht bei der Beerdigung?«, fragte ich nun, ohne zu lächeln, und schob vier Fünfpfennigstücke auf die Theke.

»Nee, Herr Kommissar.«

»Und wieso nicht, wenn man mal fragen darf?«

»Ich fand die Ommi immer doof. Die war Vegetarierin.«

»Verstehe«, sagte ich. »Es tut mir leid, Herr Fleischmann, aber ich muss Sie das fragen: Wo waren Sie eben?«

»Na hier, wo sonst? Ich bin ja ganz allein und einer muss den Laden ja schmeißen«, entgegnete er entrüstet. »Was genau ist denn Schreckliches auf dem Friedhof passiert?«

»Der Schreibers Erwin hatte einen Bandscheibenvorfall und der Sarg ist runtergefallen. Ach so, ja, und die Ommi ist verschwunden!«

»Och!«, meinte der Metzgermeister irritiert und steckte die Telefongebühren ein.

»Da sagen Sie was«, fuhr ich fort, »Ich hatte auch fest angenommen, dass sie tot war, weil sie ja auch beerdigt werden sollte, aber man lernt ja nie aus.«

»Ganz schön kniffliger Fall, was, Kommissar Engelmann?«

»Allerdings. Puh, auf den Schrecken brauche ich jetzt erst mal ein lecker Mettbrötchen.«

»Tut mir leid, Kommissar Engelmann, geht nicht.«

»Wie bitte?« Jetzt schlug es aber zwölf! Also, um die Ecke im Kirchturm schlugen die Glocken zwölfmal an und machten Mittag. »Lecker Mettbrötchen geht nicht, Herr Fleischmann?«

Er schüttelte den Kopf.

»Na gut, dann ein lecker Mettbrötchen mit Zwiebeln bitte.«

»Ähem, das geht leider auch nicht. Es ist kein Mett mehr da.« Traurig blickte Herbert in seine Auslage. »Und auch sonst ist nix! Weder geschnitten, noch am Stück!«

Jetzt fiel es mir auch auf. Alles alle alle! Die Vitrinen, Kühlregale und die Fleischtheke waren komplett leergefegt. Tolle Wurst! »Wow, da scheint Ihr Laden ja ganz schön zu brummen, was?«, staunte ich, hatte aber trotzdem auch einen Hals, weil ich kein Mettbrötchen bekam.

»Nun«, begann Fleischmann, »ich … äh … musste ja den Leichenschmaus für die Ommi Schneider im Café Inkontinental ausrichten. Mit Cervelatwurstschnecken, Mettigel, Roastbeefröschen und so weiter … ein Riesenbuffet. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell da meine ganzen Fleischwaren leer waren.«

»Tja, Pech für mich, Herr Fleischmann«, sagte ich und tippte an meinen Hut. »Ich muss jetzt aber los und ermitteln. Schönen Tach noch.«

Als ich die Metzgerei verließ, fiel mein Blick auf das Schildchen, das über der Ladentür hing. Lieber Wurstfinger als Knoblauchzehen stand darauf, doch ich war anderer Meinung.

Dann trat ich hinaus auf die Straße, und es war fünf nach zwölf.

Kapitel 2

Von der Zeit her war es mittlerweile halb drei, und ich saß an meinem Schreibtisch im Polizeipräsidium. Ich brauchte jetzt dringend einen Cognac. Wenn ich doch nur wüsste, wo die tote Ommi hingekommen war. Es hätte so eine schöne Beerdigung werden können. Aus der Dienstpulle, die immer neben dem Telefon beim Aschenbecher stand, machte ich mir einen Drei- bis Vierstöckigen klar, weil ich solch einen Hunger hatte.

»Und?«, fragte ich Liesel Weppen, die unterdessen im Büro auf und ab ging. »Hat die Fahndung was ergeben?«

»Nein, Chef«, erwiderte meine attraktive Assistentin und schüttelte bedröppelt ihre blonde Mähne. »Die verschwundene Leiche wurde nach ihrem Tod nirgends mehr gesehen.«

»Hätte ja sein können«, zuckte ich mit den Schultern und saugte mein Glas in einem Zug leer. »Was war denn eigentlich los beim Leichenschmaus im Café Inkontinental

Das Café Inkontinental war mein Stammlokal und lag direkt gegenüber dem Präsidium. Es war ein gemütliches Café mit Holzvertäfelung, Plüschsesseln und netter Bedienung. Dort hob ich gerne mal einen oder aß einen Happen. Das hausgemachte Ragout Fin im Blätterteig mit Worchestersoße war ein Gedicht. Aufgrund der Trauerfeier war das Café heute allerdings für die Öffentlichkeit geschlossen.

»Ach, es war brechend voll in der Hütte«, berichtete Liesel. »Alle haben auf Ommi Schneider angestoßen, die Erna Fadenstrick, die das Woll- und Häkellädchen am Marktplatz hat, hielt eine kleine Rede, und dann hat die ganze Mannschaft dieses Beerdigungslied gesungen.«

»Welches Beerdigungslied?«

»Ein Stein, der deinen Namen trägt

»Geile Nummer.«

»Oh ja. Wie Sie wollten, habe ich danach die Personalien aufgenommen und festgestellt, dass bis auf vier Personen ganz Hiesig da war. Es fehlten nur der Metzger Fleischmann, der Pfarrer, Schreibers Erwin … und Sie, Herr Kommissar.«

»Die hatte ich alle im Blick, Liesel. Der Pfarrer stand doof rum, Erwin ratzte im Kies und der Fleischmann hat seinen Laden geschmissen.«

Meine Mitarbeiterin nickte. »Die ganze Trauergemeinde hat übrigens auch ein wasserdichtes Alibi, Chef.«

»Hab ich mir schon gedacht«, murmelte ich und fummelte die Zigarettenschachtel aus meiner Trenchcoattasche. Dann zog ich eine gute Overstolz aus der Packung und ließ ein Streichholz aufflammen. Ich atmete den traumhaften Rauch ein und spürte sofort, dass bei meiner Hausmarke der Geschmack im Genuss lag. »Tja, Liesel, ich denke, wir haben es hier mit einem ganz sargenhaften Fall zu tun.« Nachdenklich blies ich dann den Qualm zur vergilbten Zimmerdecke hoch. »Haben Sie eine Theorie, liebe Liesel?«

Meine hübsche Assistentin strahlte über beide Backen. »Hab ich, Chef!«

»Na, dann raus damit!«, forderte ich sie auf und schenkte mir noch Cognac nach.

»Also, vielleicht hatte Ommi Schneider ja eine Nussholzallergie, von der niemand wusste und ist im Sarg zu Staub zerfallen.«

»Interessante These«, nickte ich und drückte den Overstolz- Stummel in den Aschenbecher, der immer bei der Cognacflasche am Telefon stand. »Aber erstens bekommt man Allergien nur, bevor man tot ist, und zweitens hätte die Rappelkiste von innen ja total staubig sein müssen.«

»Stimmt, Chef.«

»War sie aber nicht!«

»Und was ist, wenn das überhaupt nicht Ommi Schneiders Sarg war?«, merkte Liesel an und hatte damit gleich die nächste Theorie auf Lager. »Man hat den Sarg mit einem leeren vertauscht und die Ommi liegt jetzt noch ganz gemütlich in der Leichenhalle!«

Kopfschüttelnd nippte ich an meinem Getränk. »Ich wünschte, es wäre so, liebe Liesel, aber ich habe das Monogramm O.S., das ins Totenhemdchen gestickt war, genau gesehen, als es aus der Klamottenkiste und an mir vorbeigeflattert kam.«

Liesel starrte vor sich hin. »Ach Kacke!«

»Tja, ich fürchte, diese Hypothese ist auch voll die Sackgasse.«

Doch Fräulein Weppen hatte wohl noch was in petto, denn mit einem Mal legte sie los: »Dann kann es eigentlich nur noch eins sein!«

Meine Güte, sie machte es aber wirklich spannend! »Was denn, Liesel?«

»Ich trau es mich kaum auszusprechen«, sprudelte es aus ihr heraus, »aber unter diesen Umständen deutet alles darauf hin, dass die Ommi zu einem Zombie geworden ist!«

»Und ist aus ihrem Sarg geklettert und spaziert jetzt durch die Gegend«, ergänzte ich.

»Genau, Chef!«

Ich gab Liesels Worten ein paar Sekündchen Gelegenheit, in meinem Ermittlergehirn Anschluss zu finden, doch sie waren wie dicke, hässliche Mädels bei einer Singleparty. »Aber dann hätte sie doch gesehen worden sein müssen«, meinte ich dann und nahm noch ein Schlückchen Cognac. »Überlegen Sie doch mal … Hiesig ist ein so kleines Nest, da fallen achtundneunzigjährige Zombies direkt auf.«

Jetzt war es Liesel, die den Kopf schüttelte. »Nicht, wenn die Straßen wie ausgestorben sind, weil Sie beim Metzger sind und sich alle anderen beim Leichenschmaus die Bäuche vollschlagen.«

»Geschenkt, Liesel. Aber nichtsdestotrotz wäre ich bei Zombies gar nicht zuständig. Ich bin die Mordkommission und kein Geisterjäger oder Zombiekiller. Außerdem ist das hier doch kein Groschenheft, dieses Buch erscheint immerhin beim KBV-Verlag!«

Liesel Weppen sah enttäuscht zu Boden.

Ich erhob mich vom Schreibtisch, ging auf meine Mitarbeiterin zu und tätschelte tröstend eines ihrer Bäckchen. »Nun werfen Sie nicht gleich das Handtuch ins Korn, liebe Liesel, wir werden den Fall schon aufklären.« Als ich so in ihrem hübschen Gesicht herumfummelte, bemerkte ich plötzlich das weißliche, cremige Zeug, das sich an ihrer Oberlippe befand und wich zurück. »Sagen Sie, hatten Sie das da immer schon?«

»Was denn, Herr Kommissar?«

»Nun …«, druckste ich. »Das Zeugs da an Ihrer Schnute.«

»Ach so, das … Ich denke, das ist …«

Das Telefon klingelte!

»Verdammte Hacke, ausgerechnet jetzt«, sagte ich, setzte mich zurück an den Schreibtisch und nahm den Hörer ab. »Ja? Hier Kommissar Engelmann von der hiesigen Mordkommission.«

»Guten Tag, Kommissar.«

Die Stimme am anderen Ende klang aufgeregt.

»Wer spricht denn da?«, wollte ich natürlich wissen.

»Hier ist Knips.«

»Ach, hallo Knips. Was gibt’s?«

Rainer »Knips« Asmussen war der hiesige Fotograf. Er hatte sein Atelier in der hiesigen Innenstadt. Dort arbeitete er, machte aber auch Ausstellungen. Seine Spezialität waren Landschaftsaufnahmen und Fotos von Sehenswürdigkeiten, die er bei seinen vielen Reisen um den Globus vor die Linse bekommen hatte. Und manchmal nahm er auch für das Hiesige Käseblatt den einen oder anderen Auftrag an.

»Es ist eine Katastrophe, Herr Kommissar!«, japste Knips nun aufgelöst in den Hörer. »Ich bin beraubt worden, und man hat bei mir eingebrochen! Oder andersrum!«

»Aber Knips, jetzt mal ganz locker«, beruhigte ich den erregten Fotografen, holte mir die nächste Overstolz aus meiner Schachtel und sah, dass es leider die letzte war. »Und wer ist ermordet worden?«, fragte ich fachmännisch, steckte mir die Zigarette ins Gesicht und setzte sie in Brand.

Ich hörte, wie sich Knips Asmussen zusammenriss, um nicht loszuheulen. »Niemand, Kommissar Engelmann, aber ich war bei dem Leichenschmaus von der Ommi Schneider und komme gerade wieder hier in mein Fotostudio zurück, da merke ich, dass die Tür aufgebrochen worden ist. Das Schloss wurde einfach geknackt! Da kriege ich schon den ersten Schreck, doch dann sehe ich auch noch, dass … also … die Wände … sind leer, Herr Kommissar!«

Ich sog an meinem leckeren Glimmstängel und ließ meinen kriminologischen Grips kreisen. »Wirklich höchst interessant«, kombinierte ich und brauchte dringend einen Cognac, während der Fotograf weiterwimmerte.

»Meine ganze Ausstellung fehlt! Wunderbauten dieser Welt. Insgesamt zig Bilder. Klar, ich hab die Negative und kann die Dinger jederzeit noch mal entwickeln, aber darum geht’s ja nicht!«

»Man hat Ihnen also Bilder stibitzt, Knips?«

»Ja!«, jaulte er, »Ist das nicht schrecklich?«

Ich rollte innerlich mit den Augen. »Und wegen so einem Popelskram rufen Sie an?«, seufzte ich empört und blies eine Ladung Qualm durch mein Büro. »Ohne eine vernünftig abgemurkste Leiche müssen Sie uns hier bei der Mordkommission gar nicht kommen!«

»Ach so«, zitterte Asmussens Stimme durch die Leitung. »Wer zum Henker ist denn dann für mich zuständig?«

Ich überlegte. Hmmm, eigentlich niemand. Das hiesige Präsidium war so schnuckelig klein, dass wir hier nur mit einem Verkehrspolizisten, dem Staatsanwalt, der Pathologie und uns hier von der MoKo ausgestattet waren.

»Lieber Knips«, wandte ich mich wieder dem Telefonat zu. »Vielleicht rufen Sie einfach morgen wieder an. Wir lösen hier gerade den Fall mit der tot verschwundenen Ommi, und eventuell hat ja demnächst jemand Gelegenheit, sich um Ihre Bilder zu kümmern, ja?«

»Aber … aber …«, stotterte Rainer Asmussen, genannt Knips, jetzt aufgebracht aus der Muschel, »Herr Kommissaaaargh!« Dann war es still im Hörer. Anscheinend hatte Knips sich etwas beruhigt.

»Hallo?«, fragte ich aber dennoch mal pro forma, als ich auch sieben Minuten später nichts von ihm gehört hatte.

»…«

»Hallööööchen?«

»…«

Ich lauschte weiterhin angestrengt der Stille in der Leitung und drückte dabei meine Kippe aus. »Knips? Sind Sie noch da?«

»…«

Vielleicht hatte der Fotograf ja längst aufgelegt. Allerdings wäre das nicht die feine hiesige Art, einzuhängen, ohne Tschö zu sagen.

»Herr Asmussen?«, versuchte ich es noch einmal. »Rainer?!«

Aus dem Hörer kam nichts als stilles Rauschen.

»Ich glaube, da ist was passiert, Chef!«, meinte Liesel und kräuselte ihre ansehnlichen Nasenflügel. »Oder jemand hat die Drähte durchgeschnitten.«

»Ich würde sogar noch weiter gehen!«, sagte ich ernst.

»Sie meinen …?«

Ich nickte noch ernster.

»Das heißt, wir sind jetzt doch für ihn zuständig?«

»Jawoll!«

»In diesem Fall hätten wir ja einen neuen Fall!«, kombinierte Liesel freudig.

»Auf alle Fälle.«

»Und der alte Fall?«

»Den lösen wir später. Die tote Ommi rennt uns nicht weg«, mutmaßte ich, sprang auf und drückte Liesel den Telefonhörer in die Hand.

»Sie halten hier die Stellung und horchen, ob der Knips vielleicht doch noch was sagt, und ich düse zum Atelier!« Und Knall auf Fall, wie der Speedy Gonzales unter den Ermittlern, war ich aus der Tür.

* * *

Ich konnte das Fotoatelier problemlos betreten, denn Gott sei Dank war die Tür aufgebrochen worden. Es war so düster wie die Zukunft eines aufrichtigen Versicherungsvertreters. Ich tastete neben dem Türrahmen über die Blindenschrift der Raufasertapete und fand den Lichtschalter.

Der Anblick, der sich mir dann bot, war deutlich zu sehen.

Da ich als abgehangener Kripobeamter stets genau wusste, was als Nächstes zu tun war, ging ich hinüber zum Schreibtisch und schraubte Knips Asmussen den Telefonhörer aus der Hand. »Hallo Liesel, ich bin’s. Hier ist alles unter Kontrolle. Am besten, Sie legen jetzt auf, damit es nicht so teuer wird. Leben Sie wohl.« Dann nahm ich den Hörer vom Ohr, folgte dem Verlauf des beigefarbenen Spiralkabels und wusste so nach einer Weile auch, wo sich der dazugehörige, beigefarbene Telefonapparat befand.

Nachdem ich Knips den Hörer wieder in die Hand geporkelt hatte, um am Tatort nichts zu verändern, blickte ich mich weiter um.

Inmitten der leeren Wände, an denen wohl tatsächlich einmal Bilder gehangen hatten, saß Asmussen auf dem Stuhl an seinem Schreibtisch. Er hatte den Oberkörper seitlich auf der Tischplatte abgelegt und seine Beine, die in einer blauen Bluejeans steckten, seltsam um die Stuhlbeine geklammert. In der einen Hand hielt er nichts, in der anderen einen beigefarbenen Telefonhörer. Ansonsten war er völlig tot. Ermordet, denn die Wahrscheinlichkeit, dass man sich das Leben nahm, während man telefonierte, war höchst unwahrscheinlich. Allein schon wegen der Gebühren. Und auf einen Unfall deutete auch nichts hin. Ganz klar hatte man Knips ausgeknipst. Seine weit aufgerissenen Augen waren fies hervorgequollen, und er hatte ein großes Loch in der Rückseite seines lindgrünen Dackelkragenhemds. Ich erkannte auch sofort, dass der im Atelier ausgebreitete Perserteppich Asmussens Blutgruppe hatte.

Der Anblick war so unappetitlich, dass sich plötzlich das fehlende Mettbrötchen in meinem Bauch bemerkbar machte. Wie immer bei Magenproblemen griff ich in meinen Trenchcoat und suchte nach den Kippen.

Verdammte Hacke! Ich hatte meine neue Schachtel Overstolz noch im Zigarettenautomaten!

Also verließ ich das Fotoatelier und lehnte die geknackte Tür hinter mir an, damit nicht gleich jeder Passant sehen konnte, was sich da drin abgespielt hatte. Dann eilte ich zu meinem rosaroten Panda, den ich im Rinnstein vor Knips’ Laden abgestellt hatte, und sprang hinein. Ich schmiss die Zündung an, gab Gas und jagte den Panda von 0 auf 22 in fünfzig Sekunden und dann die Straße entlang. Ich musste zusehen, dass ich flott was zu rauchen bekam. Außerdem wollte ich natürlich schnellstmöglich zum Tatort zurück, um dort weiterzuermitteln.

Etwa fünf Minuten später hatte ich mir am hiesigen Zigarettenautomaten, der drei Straßen weiter neben der Pension Luxemburg angebracht war, eine Schachtel Overstolz gezogen und war dann mit aufheulendem Motor und ganzen 26 km/h zurückgefahren. Im Rückwärtsgang, denn die meisten Straßen waren hier zu schmal zum Wenden.

Jetzt kam ich mit quietschenden Reifen wieder vor Asmussens Atelier zum Stehen. Mit meinem Feuerzeug im Anschlag sprang ich aus dem Wagen und steckte mir endlich die leckere Zigarette an. Nachdem ich aufgeraucht hätte, würde ich ganz gewissenhaft den Tatort auf Fingerabdrücke und andere Spuren untersuchen. Und danach würde ich die Anna Lühse von der Pathologie verständigen müssen, denn Frau Doktor Lühse kannte sich super mit der Analyse von toten Leichen aus. Da der langjährige Leiter und einzige Mitarbeiter des hiesigen Polizeilabors, Doktor Tom Brose, vor einer Weile am Bahnhof ermordet worden war, als er gerade zu seiner Omma fahren wollte, hatte die aparte Frau Doktor vor ein paar Wochen seine Nachfolge angetreten.

Ich nahm einen tiefen Zug von der Zichte, doch meine Lungenflügel fackelten nicht lange, denn mir fiel die frisch entzündete Overstolz vor Schreck sofort wieder aus der Fresse. Die Tür des Fotoateliers war nämlich nicht mehr angelehnt, sie stand jetzt sperrangelweit offen!

Ich schlug den Mantelkragen hoch und betrat leichtfüßig wie ein elegantes Erdmännchen den Tatort. Der blutdurchtränkte Perserteppich schmatzte unter meinen Schuhsohlen, und ich ahnte sofort, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Der Schreibtisch war noch da, ebenso das Telefon mit dem Hörer und Asmussens Bluejeans. Auch das lindgrüne Dackelkragenhemd mit dem klaffenden Loch fand ich vor, aber … Knips Asmussen selbst war nicht mehr da!

Ich schluckte und ein mulmiges Gefühl packte meine Knochen am Schlafittchen. Zwar war ich kein Gerichtsmediziner, aber so flott ging doch selbst in diesen schnelllebigen Zeiten keine Verwesung vonstatten! Nein, es half alles nichts: Ich musste den Tatsachen ins Auge sehen. Und jetzt endlich mal eine durchziehen. Dieser Fall hatte weder Hand noch Fuß, und zum zweiten Mal an diesem Tag hatte sich eine Leiche in Luft aufgelöst! Doch wie? Und warum weshalb wieso?

Ich trat auf der Stelle. Das merkte ich daran, dass ich keinerlei Anhaltspunkte hatte, und auch an dem Geräusch, das meine Schuhe auf dem blutigen Perserteppich machten.

Kapitel 4

Es war jetzt früher Abend. Allerdings drei Tage später. In der Zwischenzeit war nichts passiert. Absolut gar nichts. Nada, um genau zu sein, deshalb habe ich das dritte Kapitel auch übersprungen.

Ich saß an meinem Schreibtisch im Büro, starrte müde auf die Risse in der vergilbten Wand und nippte an meinem siebten Cognac. Liesel hockte mir gegenüber auf einem Stuhl und schmökerte in einer alten Zeitung. Noch immer gab es keine Spur von den verschollenen Leichen, und noch immer hatte ich nichts gegessen. Mein Magen knurrte mittlerweile wie ein opiumsüchtiger Grizzly mit Entzugserscheinungen und das auch noch so laut, dass ich seit zwei Nächten nicht hatte schlafen können. Zu gerne wäre ich mal nach Hause gefahren und hätte für ein paar Stündchen das eine oder andere Auge zugemacht und mir danach was Leckeres gekocht. Oh ja, ich kochte nämlich gerne, hatte sogar im Laufe der Jahre eine tolle Rezeptsammlung angelegt. Ich seufzte bei dem Gedanken an eine große Portion Maisgrieß-Polente oder Bagatelle mit Parmesan in Tomaten-Cognac-Soße ganz tief in mich hinein.

Doch dafür war jetzt wirklich keine Zeit, denn die Ermittlungen in diesem Fall liefen zu sehr auf Hochtouren. Weder Ommi Schneider noch Knips Asmussen waren wieder aufgetaucht, und wir tappten völlig im Dunkeln, obwohl es draußen noch hell war.

Wissen Sie, Liesel«, begann ich schließlich und stellte mein leeres Cognacglas ab, »es ist ja nicht nur ein Rätsel, was die ganze Leichenklauerei überhaupt soll, es stellt sich auch die Frage, warum die Verblichenen ohne ihre Klamotten entwendet wurden. Das lindgrüne Hemd vom Knips alleine brächte auf dem Flohmarkt mindestens fünfzig Pfennig.«

Meine Assistentin ließ ihr hübsches Köpfchen hinter der vergilbten Zeitung auftauchen. »Tja, wenn wir das wüssten, wären wir der richtigen Spur schon ein ganzes Stück näher, ne?«, meinte sie und blickte nachdenklich drein. »Oder es waren Organspender am Werk!«

»Sie meinen Organhändler, Liesel.«

»Kann sein«, räumte meine Assistentin ein, ermittelte aber sofort in eine andere Richtung weiter. »Vielleicht haben wir es ja auch mit einem Serientäter zu tun, Chef.«

»Das kann man jetzt noch nicht sagen«, gab ich ihr zu bedenken und schüttete mir das Glas erneut randvoll. »Serientäter ist man immer erst ab dreimal.«

»Das heißt, das würden wir erst dann wissen, wenn die nächste Leiche verschwindet.«

»So ist es«, nickte ich und leckte mir einen Schluck Cognac von den Lippen. »So lange müssen wir uns wohl noch gedulden.«

Polizeimeisterin Weppen steckte die Nase wieder in ihre Zeitung, ich stierte weiter an die Wand und zählte die Risse, die ein bisschen aussahen wie verrenkte Hausspinnen.

»Oder wir haben es doch mit Zombies zu tun«, murmelte Liesel, während sie weiterlas. »Angenommen, die Ommi ist tatsächlich untot herumgelaufen und hat den Asmussen in den Rücken gebissen. Und als Sie, Herr Kommissar, nur mal eben Zigaretten holen waren, sind die beiden zusammen nach Zombieland abgehauen.«

Nachdem ich ausgiebig den Kopf geschüttelt hatte, rückte ich meinen Hut zurecht und fuhr mir durch die unrasierten Bartstoppeln. »Lassen Sie uns lieber zum zigsten Mal überlegen, was die beiden gestohlenen Leichen gemeinsam haben, Liesel«, murrte ich. »Sind beide Leichen männlich? Nein. Sind beide Vegetarier? Nein. Sind beide Fotografen? Auch nicht.« Ich seufzte herzhaft. Es war zum Verzweifeln. Das Einzige, was Ommi Schneider und Knips Asmussen gemeinsam hatten, war, dass sie beide tot waren und Menschen aus Fleisch und Blut gewesen waren, als sie noch gelebt hatten.

So viele Sackgassen musste ich sacken lassen, also kippte ich mir zu diesem Zweck ganz in Ruhe mein Getränk in den Hals, als Liesel Weppen plötzlich mit lautem Geknister die Zeitung runterriss. »Das ist doch nicht möglich!«, rief sie aufgeregt.