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Die Krimi-Cops
Bluthunde

Vom Autoren-Team bisher bei KBV erschienen:

Stückwerk
Teufelshaken
Umgelegt

Die Krimi-Cops sind: Carsten »Casi« Vollmer, Jahrgang 1967, aus Düsseldorf, Ingo »Inge« Hoffmann, Jahrgang 1978, aus Hilden, Carsten »Rösbert« Rösler, Jahrgang 1977, aus Düsseldorf, Martin Niedergesähs, Jahrgang 1977, aus Herongen und Klaus »Stickel« Stickelbroeck, Jahrgang 1963, aus Kerken. In ihren Büchern verarbeiten die Polizisten nach Feierabend mal komische, mal härtere Einsätze der zurückliegenden Schichten. Mit »Bluthunde« haben sie nun bereits den vierten witzig-spannenden Kriminalroman um den Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Pit »Struller« Struhlmann und seinen Praktikanten Jensen verfasst. www.krimicops.de

Die Krimi-Cops

Bluthunde

Ein Struller- und Jensen-Krimi

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»Keine Angst! Der tut nix …«

1. Tag

Polizeioberkommissar »Hucki« ter Huuk schnaufte und nickte durch die Windschutzscheibe des Streifenwagens. »Ob das mit den beiden Süßen da was gibt?«

»Hm?«, fragte sein Kollege, den alle nur Krabba riefen. Krabba hatte denselben Dienstrang wie Hucki, aber einen Nachnamen, den man nicht aussprechen konnte. Müde blinzelte er Richtung Uhr im Armaturenbrett. Viertel nach acht am frühen Sonntagmorgen. Nach der gewonnenen Partie am Vortag in Frankfurt war er in Gedanken die restlichen Begegnungen seiner Düsseldorfer Fortuna durchgegangen, hatte den Heimsieg gegen Nürnberg fest eingeplant und war vor dem 35. Spieltag kurz eingenickt. »Wo?«

»Na, die beiden da vorne am VW Bus. Junges Glück!«

Krabba ruckelte sich in seinem Sitz hoch und suchte mit schlaftränigem Blick die Umgebung ab. Dann sah auch er das Pärchen. Eine blonde Sie, um die zwanzig Jahre alt, im hellblauen Kleidchen, hielt einen jungen Ihn in Jeans und mit wilder Brit-Pop-Frisur fest umschlungen. Was auch nötig war. Denn zwar knutschten die beiden wie wild, aber der Schönling knickte in den Knien immer wieder ein und wäre ohne stützende Hilfe seiner Gefährtin sicher längst zu deren Füßen gesunken.

»Wo kommen die um diese Uhrzeit denn her?«

»Sind übrig geblieben, nehme ich mal an. Irgendwo geht immer was.«

Krabba lachte und beobachtete, wie der junge Mann erneut mächtig ins Sacken gekommen war. Im letzten Moment bekam sie seinen Gürtel zu packen und ruckelte ihn wieder hoch. Jetzt versuchte er mit spitzem Mund einen Knutscher, verfehlte aber ihre Lippen und setzte einen Schmatzer mitten auf ihre Nase.

»Na ja, ein bisschen was geht noch. Aber nicht mehr viel!«

»Küss mich, wie mich noch keiner geküsst hat«, zitierte Hucki aus einem Filmklassiker.

Im Funk vor ihnen knirschte es. »Von Düssel an die Fahrzeuge der Wache Bilk. Steht irgendwer Nähe 4004.«

Hucki schnappte sich den Peiker. Die Diskothek lag gleich um die Ecke. »Düssel, der 13/34.«

»Fahrt mal zum Eingang. Ein Taxifahrer meldet, dass da eine Tür weit offen steht. Der Taxifahrer hat einen Kunden aufgenommen und ist weitergefahren.«

Krabba verdrehte genervt die Augen. Hinweise von Taxifahrern hatten in der jüngeren Vergangenheit fast nie was getaugt und waren eigentlich immer Scheiße, aber Kollege Hucki hatte den Wagen schon gestartet.

»Klingt spannend«, frohlockte er.

»Tut es nicht«, knurrte Krabba, warf einen letzten Blick auf das schwankende Pärchen und seufzte.

Hucki gab Gummi, denn sie standen wirklich mehr als günstig. Nur einmal die Gladbacher Straße runter und dann in die Franziusstraße. Gleich vor dem grauen Betonbau krallten sich die Reifen des Autos auf dem Kopfsteinpflaster in den Stand. Der Eingang lag ein kurzes Stück die abgepollerte, gepflasterte Auffahrt runter auf der rechten Seite.

»Da«, deutete Krabba auf eine schwere, braune Eisentür, die tatsächlich einen Spalt weit offen stand.

»Die ist sonst immer verschlossen«, erinnerte sich Hucki mit gerunzelter Stirn und zog beim Aussteigen den Einsatzschlagstock aus der Halterung im Seitenfach der Fahrzeugtür.

»Putzfrauen«, mutmaßte Krabba, als sie sich der Tür näherten.

»Hab ich da noch nie welche gesehen«, widersprach Hucki, als sie den Eingang erreicht hatten, und warf einen schnellen Blick ins Innere.

Nichts zu sehen. Muffiger Biergestank schlug ihnen entgegen. Krabba schob sich an seinem Kollegen vorbei und deutete nach oben. Eine Discokugel drehte sich sinn- und zwecklos an der Decke der menschenleeren Halle.

»Schon komisch.«

Hucki schob den Schlagstock in die Halterung und zog die Pistole, Krabba zückte seine Taschenlampe. Langsam glitten sie in die Disco.

»Verstärkung?«, fragte Hucki seinen Kollegen.

Krabba schüttelte den Kopf. »Lass uns erst mal gucken.«

Sie schlichen durch den ersten Raum, die Tanzhalle, aber die war leer. Hucki kontrollierte einige Glastüren, alle verriegelt. Auch der zweite Ein- und Ausgang der Diskothek, direkt zur Franziusstraße hin, war ordnungsgemäß verschlossen. Zu hören war lediglich das leise Summen der großen Discokugel, die flackernde Blitze stumm durch den Raum warf. Hucki schluckte. Merkwürdig, dass man die Stromverbindung zum Deckenbrummer nicht unterbrochen hatte. Der Motor gehörte doch ausgeschaltet.

»Hier«, zischte Krabba, der den Thekenbereich abgesucht und jetzt eine Tür gefunden hatte, die unverschlossen war.

Vorsichtig betraten beide ein Treppenhaus. Kein Licht. Von hier gingen zwei einander gegenüberliegende Stahltüren ab. Hucki öffnete die eine. Sie führte nach unten in einen Keller.

Krabba checkte die andere Tür und entdeckte im Lichtkegel seiner Taschenlampe einen kleinen Raum mit Schrubber, Besen, Eimer und Putzmitteln. »Hier ist nichts«, sagte er.

»Dann runter in den Keller.«

Jedes Geräusch vermeidend schlichen sie langsam die Stufen runter bis an eine weitere Eisentür. Hucki drückte vorsichtig die Klinke und stubste die schwere Tür auf. Eine große Halle, wieder kein Licht. Es roch beißend nach Benzin und Öl. Üble Luft kam kratzend in der Lunge an. Der Kellerraum war eine Parkhalle, deren Decke von mehreren Pfeilern gestützt wurde, die die freie Sicht durch die Halle unterbrachen.

»Gibt es hier denn kein vernünftiges Licht?«, fragte Krabba leise und ließ die Taschenlampe über die Wände streichen.

Die Halle schien leer zu sein. Weder Fahrzeuge noch Personen waren zu entdecken. Vorsichtig schritten die beiden Polizisten voran und umrundeten den ersten der dicken Pfeiler.

Plötzlich ein Schatten.

»Da …«, brüllte Hucki erschreckt.

Krabba zuckte zusammen und spürte gleichzeitig einen heftigen Stoß in den Rücken. Seine Taschenlampe kullerte scheppernd zu Boden. Er ruderte mit den Armen, verlor das Gleichgewicht und stürzte.

Hucki wirbelte herum, konnte aber ohne Licht nur schemenhaft erkennen, dass der Schatten Richtung Eingang huschte und die schwere Eingangstür von außen zugezogen wurde. »Verdammt.« Er hechtete los und riss am Türknauf. Nichts. Die Tür hatte einen Sicherheitsverschluss, der sich nur von der anderen Seite öffnen ließ. »So eine Scheiße!«

»Das kannste laut sagen. Der Kerl hat mich umgeschubst, und ich lande in dieser klebrigen Brühe hier«, fluchte Krabba. Er rappelte sich wieder auf und klopfte seine Uniform ab.

»Was ist das für ein komisches Zeug?«, maulte Hucki, friemelte seine Taschenlampe aus der Halterung und hielt den Kegel seiner Lampe auf Krabbas feuchte Uniform.

Es schnürte beiden die Kehle zu.

»Scheiße«, flüsterte Hucki. »Das ist Blut.«

Der Kegel seiner Lampe wanderte tiefer, und beide erkannten, dass Krabba mitten in einer Blutlache stand. In einer sehr großen Blutlache.

Panisch fing Krabba an zu schreien und versuchte erfolglos, sich seine blutverschmierten Hände an der Uniform abzuwischen.

Geistesgegenwärtig riss Hucki sein Handy aus der Jackentasche. Gott sei Dank: Empfang. »Ich ruf Verstärkung.«

»Die sollen sich beeilen, verflucht!«

Hucki warf noch einen schnellen Blick auf seinen blutverschmierten Partner und auf die rote Lache zu seinen Füßen. Verdammt, was war hier passiert?

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Struller reckte sich auf der Couch in seinem Wohnzimmer. Tiefenentspannt. Ganz. Tief. Entspannt. Das Telefon auf dem Beistelltisch mit gehäkeltem Deckchen schrillte.

Struller schnaufte. »Rufbereitschaft wird völlig überbewertet.«

Träge warf er einen müden Blick aufs grün blinkende Display und erkannte die Zahlenreihe. Oh, Krake. Der Anschluss des Aquariums, seiner Stammkneipe. Das konnte doch interessant sein. Möglicherweise eine spontane Happy Hour. Oder vielleicht galt es, Frikadellen vor dem Verfallsdatum für lau zu futtern. Besser mal rangehen. »Krake, was is?«

»Du hast gestern deinen Deckel nicht bezahlt«, erklang Krakes sonorer Bass.

Struller runzelte die Stirn. »Ja und?«

»Fünfundvierzig Euro.«

»Das ist doch nicht dein Ernst? Du rufst mich am heiligen Sonntag an, nur weil du noch ein paar Kröten von mir kriegst?«

»Ich mach grad Inventur und da hat sich in den letzten Wochen was angesammelt …«

»Bei mir sammelt sich auch grad was an! Bist du bekloppt? Ich werde mich wegen der verschisselten fünfundvierzig Euro schon nicht ins Ausland absetzen.«

»Wie gesagt, Pit, es sind ja nicht nur die fünfundvierzig Euro von gestern. Da kommt noch einiges hinzu, nämlich …«

»Krake, diese Gier wird dich irgendwann umbringen!«

Struller knallte den Hörer in die Schale und schnaufte. Hatte der noch alle Tassen im Schrank? Was fiel dem Knaller ein, wegen dieser paar Schleifen hinter ihm her zu telefonieren? Das Telefon schepperte ein weiteres Mal. Na warte! »Sag mal, du Pfosten, geht es noch?«, fauchte Struller.

»Äh … Kollege Struhlmann?«

Oh, dienstlich. Struller checkte das Display. Kriminalwache. »Am Apparat. Wolltest du mich sprechen?«

»Äh … Ja.«

»Dann hast du bis jetzt schon mal alles richtig gemacht, Sportsfreund.«

»Wir brauchen dich mal. Das 4004 ist eine Diskothek im Hafen …«

»Ist nur was für junge Leute, nicht meine Musik. Nur mit Pillen zu ertragen, nix für mich.«

»Kollege, die Diskothek hat eine Parkgarage. Dort gibt es eine riesige Blutlache.«

»Nur Blut? Keine Leiche?«

»Nur die Lache.«

»Ohne Leiche ist das nichts für die Mordkommission.«

»Äh … Da ist nicht nur ein bisschen Blut, sondern so viel, dass kein Mensch das hat überleben können. Außerdem haben die beiden Polizisten, die zum Einsatzort entsandt wurden, einen Schatten davonrennen sehen.«

»Schatten laufen nicht davon, sondern werden geworfen!«, korrigierte Struller.

»Ja. Aber deshalb gehen die Kollegen davon aus …«

Struller verdrehte resigniert die Augen und hörte gar nicht mehr hin. Wenn ein Fall schon so anfing. Ohne Leiche. Und mit einem davonrennenden Schatten … Ächzend hievte er seine müden, neunundvierzig Jahre alten, in rosa Kuschelsocken gepackten Füße von der Armlehne des Sofas. »Ich komme«, kürzte er seufzend den Sachvortrag des Kollegen ab, legte auf und wählte eine neue Nummer.

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Christian Jensen träumte. Schön. Richtig schön. Hier bei seiner Oma in Herongen am Niederrhein, wohin es ihn am Wochenende verschlagen hatte, träumte es sich immer schön. Gestern hatte es seine Fußballkumpel und ihn aufs Straelener Stadtfest verschlagen. Herrlich. Dort waren sie auf die Goldenen Zitronen gestoßen, einen weiblichen Doppelkopfclub aus Cloppenburg, und hatten grüne Getränke zu sich genommen. In den Cocktails war auch Alkohol drin gewesen. Sogar hauptsächlich. Als ihm »Doppelkopfclub Cloppenburg« nicht mehr so richtig flüssig über die Lippen kommen wollte, hatte er mit einem Taxi den Heimweg angetreten. Die anderen waren sicher noch Eierbraten gegangen. Oder irgendwo Schwimmen.

Egal. Ihm ging es gut. Er schlief tief, brav und fest. Er träumte und sah sich selbst mit selig geschlossenen Augen und einem breiten, zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Eine mildwarme Sommerbrise wehte ihm durchs vielleicht einen Tick zu lange, blonde Haar. Oh, er war richtig gut drauf. Der frische, erdige Duft von Laub und Wald stieg ihm in die Nase. Ganz in der Nähe hämmerte ein Specht seinen spitzen Schnabel in einen Baum.

Tack, tack.

Jensens dreijähriges Studium ging zu Ende. Vorgestern hatte er die Noten seiner schriftlichen Staatsprüfung erfahren. Edler Rahmen: im Hause der Bezirksregierung. Er hatte bestanden, sogar richtig gut. In einem Duisburger Yachtclub würde er in gut acht Wochen noch seine mündliche Prüfung ablegen müssen, aber das sollte kein Problem sein. Brabbeln konnte er gut. Ein schöner Sommer bahnte sich an.

Tack, tack, pockerte der Specht.

Die Tage bis zur Prüfung würde er mit ein wenig Urlaub und seinem Abschlusspraktikum füllen. Die Dienststelle hatte er sich aussuchen können. Kurz hatte er mit dem verlockenden Gedanken gespielt, sich bei der Duisburger Wasserschutzpolizei die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Oder ganz relaxt bei der Hubschrauberstaffel ein paar Rundflüge zu knattern. Überlegt hatte er auch, mal bei einer ganz anderen Behörde reinzuschnuppern. Das war alles möglich. Aber die Idee, im Klever Katasteramt Unterlagen abzuheften, bei der Stadt langweilige Angelscheine auszustellen oder bei der Staatsanwaltschaft rote Akten zu stapeln, hatte er wieder verworfen. Nein, es zog ihn noch einmal in die Landeshauptstadt nach Düsseldorf, zum KK 11, zur Mordkommission. Mord war doch immer noch das Schönste.

Tack, tack.

Und in Düsseldorf würde er wieder auf seinen alten Tutor treffen, auf Pit …

TACK!

Mann, das war aber ein riesiger Specht, der da mordsmäßige Löcher in den Baumstamm krachte. Gleich neben ihm. Jensen riss die Augen auf. »Was …?«

Da bollerte jemand gegen die Schlafzimmertür. »Christian, jetzt werd endlich wach!«, rief der Specht, nein, rief Oma Jensen mit kräftiger Stimme. »Telefon!«

Jensen verscheuchte sämtliches Vogelzeug, wuchtete sich aus dem Bett und riss die Tür auf.

Seine Oma begrüßte ihn mit zusammengekniffenen Lippen, einem strengen Blick und einer rosa geblümten Schürze. »Na endlich. Du schläfst wie ein Tscheche! Telefon für dich. Dieser komische Polizist aus Düsseldorf. Ich kann ihn nicht leiden. Den musst du abschütteln, Christian. Das ist ein Stalker!«

»Mach ich«, sagte Jensen und nahm das Telefon an sich, bei dem es sich keineswegs um ein Mobilteil handelte, sondern um eines mit Schnur. Mit einer langen Schnur. Jensen nahm an, dass sie problemlos von hier bis ins benachbarte Holland reichen würde, und er versuchte, sich nicht im Kabel zu verheddern.

»Und wieso hast du denn eine rote Unterhose an, Christian?«, fragte Oma Jensen verstört.

»Äh …«

»Hat das was … Spezielles zu bedeuten? Willst du mir irgendetwas sagen?«

»Nein, äh, die ist eben … rot.«

»Hm. Und außerdem: Deine Unterhosen werden immer knapper, du verkühlst dir die Nieren«, mahnte seine Oma und verschwand kopfschüttelnd ins Erdgeschoss.

Oha. Wenn Jensen da nicht schleunigst gegensteuerte, würde er in Kürze von seiner Oma ein paar Feingerippte bekommen, mindestens vier Nummern zu groß, damit man sie schön weit über die Nieren hochziehen konnte. In Weiß, mit Eingriff. Hu.

Jensen löschte hastig in seinem Kopf entstandene Bilder und räusperte in den Hörer. »Ja?«

»Endlich. Ich bin es, dein Boss!«

Jensen stutzte. Boss? Sicher, im Abschlusspraktikum war er Pit Struhlmann zugeteilt, aber er hatte sich eigentlich erst am Montag im Büro einzufinden. »Ich fang bei dir doch erst morgen an.«

»Der Sonntag gehört schon zum Montag. Mach dich auf. Hol mich ab. Wir haben eine Blutlache.«

Jensen strich sich durchs Gesicht. »Äh, Pit, das ist jetzt schlecht. Ich hab kein Auto.«

»Wie? Kein Auto?«

»Mein Mustang ist in der Werkstatt, und ich hab jetzt nur den Wagen von Christof, meinem Cousin, dem ich versprochen habe …«

»Also haste doch einen Wagen. Beeil dich! Hör auf deine Oma, denk an deine Nieren, zieh eine vernünftige Unterhose drunter und hau rein!«

»Aber …«, setzte Jensen an.

»Nix Abba, Abba ist eine Popgruppe«, raunzte Struller in den Hörer und legte auf.

Jensen seufzte. Dann musste er mit dem Wagen seines Cousins nach Düsseldorf. Das war nicht ganz … unkompliziert. Ächzend ließ er sich aufs Bett sinken, zuppelte an der roten Unterhose und kratzte sich unterm T-Shirt mit der Aufschrift In Strafrecht bin ich nur Deko. »Na ja. Kann man nichts machen.«

Und irgendwie … freute er sich.

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Eine gute Stunde später hatte Jensen in der Franziusstraße einen freien Parkplatz gefunden. Erfreulicherweise gleich neben dem grauen Betonklotz, in dem sich die Diskothek befand. Zufrieden würgte er den Motor ab. Struller öffnete die Beifahrertür und glitt vom Sitz nach draußen. Mit einem satten Plopp warf er die Tür hinter sich zu. Dann musterte er noch einmal den Wagen.

»Sei clever und nicht doof – kauf Bio frisch vom Stapperhof«, las Struller halblaut murmelnd den griffigen Werbeslogan vom weißen Kastenwagen ab und schüttelte den Kopf.

»Was ist?«, meldete sich Jensen von der anderen Seite. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich im Moment nur den Wagen meines Cousins habe.«

Struller quetschte eine Ernte aus der Kippenschachtel. »Du hast mir nicht gesagt, dass dein Cousin einen mobilen Gemüseladen hat. Meine ganzen Klamotten riechen nach Salat und Kohl.«

Jensen zuckte mit den Schultern. Strullers Klamotten hatten auch schon unangenehmer gerochen. »Mein Cousin liegt im Krankenhaus, Bein gebrochen. Da mache ich für ihn den Kunden - und Lieferservice, bis er einen Ersatzmann gefunden hat. Der Wagen ist doch klasse.«

»Die Federung ist ausgeleiert. Das war schlimmer als auf der Fähre in Kaiserswerth«, maulte Struller und nahm einen tiefen Zug auf Lunge, um seinen rebellierenden Magen zu beruhigen.

Jensen und er grüßten einen uniformierten Kollegen. »Morgen. Wo müssen wir hin?«

»Blutspenden?«, gibbelte der Kollege und fing sich einen gelangweilten Blick von Struller ein.

Der Polizist zog den Kopf ein. Wahrscheinlich hatte sich rumgesprochen, dass mit Struller nicht immer gut Kirschenessen war. Sonntags war ganz gefährlich! Vormittags sowieso.

Er deutete hinter sich: »Hier die Auffahrt entlang, fünfzehn Meter weiter rechts ist der Eingang.«

»Danke«, sagte Jensen, wie immer derjenige im Team, der um gute Stimmung bemüht war.

Sie folgten der Fingerspitze. Vorm Eingang drückte Struller an der Häuserwand die Kippe platt und schnippte sie in Richtung des Hafenbeckens, das der Diskothek gegenüberlag. Dann betraten sie den Vorraum zur Disco, wo ihnen ein zweiter Kollege den weiteren Weg wies. Durch einen schmucklosen Treppenbereich gelangten sie in die Parkhalle. Fette Strahler leuchteten die Szene grell aus. Mehrere Männer der Spurensicherung in weißen Overalls waren bereits vor Ort und taten ihr Werk.

»Vorsicht!«, rief ihnen Faserspuren-Harald entgegen, kaum dass sie den hellgrauen Betonboden der Halle betreten hatten.

Struller und Jensen stoppten. Gerade rechtzeitig. Direkt vor ihnen breitete sich eine angetrocknete, matt glänzende, auf den Beton verschmierte Blutlache aus. Keine geschlossene Lache, sondern kreuz und quer verschmierte Blutspuren.

»Oha, da ging es aber ordentlich zur Sache«, deutete Struller das beeindruckende Ausmaß des Spurenbildes.

»Das zieht sich über mindestens zehn bis fünfzehn Quadratmeter«, zeigte sich auch Jensen beeindruckt.

Schon eklig. In den für Parkhäuser üblichen muffig-abgestandenen Benzingeruch hatte sich metallischer Blutgeruch gemischt.

»Eine ganze Menge Blut«, sagte Struller und stellte sich neben Faserspuren-Harald, den Chef der Spurensicherung. Aber es war schon klar, dass hier keiner eine Flasche Nagellack umgekippt hatte. »Haste schon was?«

Faserspuren-Harald nickte. »Das ist so viel Blut, wir nennen das ›einen das Leben ausschließenden Blutverlust‹.«

»Nasenbluten kommt wohl nicht infrage?«

»So große Nasen gibt es nicht«, grinste der Spurensicherer.

»Thomas Gottschalk vielleicht?«, fragte Struller.

»Vergiss es!«

»Wenn es denn Menschenblut ist«, wechselte Struller unkend die Strategie.

Faserspuren-Harald schnalzte mit der Zunge. »Wir haben an mehreren Stellen mehrere Schnelltests gemacht. Hier wurde kein Schaf geschächtet, kein Huhn geköpft, kein Schwein erlegt. Das ist Menschenblut.«

»Von einer Person oder von mehreren?«

»Einen genauen Test macht Doc Stich morgen früh in der Gerichtsmedizin.«

Struller kratzte sich am Kopf. »Wie nennt man diese Kunsthappenings? Vernissage oder so. Vielleicht hat hier jemand Kunst gemacht?«

»Kann natürlich sein, aber das sieht nach einer ganz normalen Kampfszene aus. Ungewöhnlich ist nur die Menge des Blutes.«

Jensen hatte einen Schreibblock gezückt und schrieb mit.

»Die Eingangstür zur Diskothek?«, fragte Struller. »Ist die aufgebrochen worden?«

»Kollegen sind dran. Sieht aber nicht so aus«, brummte Harald.

Im Hintergrund machte Schröder Fotos. Er trug seine langen, dünnen Haare klätschig am Kopf klebend und ein weißes Polohemd mit schmalen, roten Querstreifen. Aber auch kaschierende Längsstreifen hätten Schröders Optik nicht retten können, der Fotograf wog um die zweihundert Kilo. Schröder sah aus wie eine Boje. Wenn er sich bewegte, wie ein Boje bei heftigem Seegang. Im Präsidium wurde gemunkelt, Schröder sei auf Diät. Dann war er brandgefährlich.

»Was fotografiert er da?«

»Einen Fußabdruck im Blut.«

»Aha?«, zeigte sich Struller interessiert.

»Geh jetzt nicht hin, Struller. Ist gut gemeint. Schröder ist heute gar nicht gut drauf. Ich schick dir das Ergebnis vorbei, aber geh … nicht … hin.«

»Okay. Wo sind die beiden Polizisten, die das Ganze hier gefunden haben? Toto und Harry?«

»Sie heißen Krabba und Hucki.«

»Wie kann man zwei Polizisten zusammen auf die Straße lassen, die so heißen?« Struller wandte sich Jensen zu. »Du hörst dir die Geschichte der beiden an und schreibst nachher einen Bericht. Haben sie irgendwas gesehen, gehört … all so was. Bau ein paar schauerliche Adjektive ein, damit es sich schön schrecklich liest. Das faxen wir an die Pressestelle, damit die auch mal was Spannendes haben. Die Oberbekleidung des Blutverschmierten stellst du sicher.«

Jensen hob die Augenbrauen. »Wozu soll ich die Oberbekleidung sicherstellen?«

Der Chef der Spurensicherung stöhnte gequält. Immer diese Anfänger, mochte er denken, erklärte aber: »Damit wir gegebenenfalls noch Faserspuren sichern können. Wenn das ganze Blut nicht einem, sondern mehreren gehört hat, dann will ich wissen, wer wo in welcher Reihenfolge und wie viel Liter verblutet hat.«

Jensen wurde rot. Richtig: Alles war wichtig.

Struller ging um die Blutlache herum und blickte sich um. Das war eine normale, typische Parkhalle, wie es sie dutzendweise hier im Hafen gab. Da die Diskothek selbst ein wenig höher gelegen war, musste man von dort aus über die Treppe eine Etage runter steigen. Nach hinten raus war die Halle ebenerdig. Er erkannte auf der gegenüberliegenden Seite des Raums ein dunkelgraues Parkgaragentor. Die Halle selbst war hellgrau gestrichen. Es befand sich kein Auto darin. Hinten links entdeckte er einen Notausgang.

»Notausgang«, murmelte Struller nachdenklich.

Warum war der Schattenmann, von dem die beiden berichtet hatten, vor den Kollegen nicht einfach durch den Notausgang geflüchtet? Kannte er sich hier nicht aus?

Zügig durchschritt Struller die Halle, erreichte die Tür und drückte die Klinke. Wie erwartet, ließ sich die Tür von innen problemlos öffnen. Er drückte sie ganz auf und trat hinaus. Dann stand er in der Verlängerung des gepflasterten Weges, der zur Eingangstür führte. Genau dem Hafenbecken gegenüber. Struller nutzte die Gelegenheit, um draußen ein paar Einheiten Frischluft durch die Lunge zu pumpen. Das Organ dankte es ihm. Struller hustete krachend und steckte sich schnell eine Ernte an. Sein Blick fiel nach gegenüber in das Hafenbecken und auf eine luxuriöse Yacht, die dort sanft schaukelnd vor Anker lag.

»Tanja B.«, las Struller auf dem strahlend weißen Rumpf des Bootes den in einem leuchtenden Rot schwungvoll aufgemalten Namen.

Struller trat ein paar Schritte an das Schiff heran. An Deck erkannte er leere Sektflaschen. Überall standen edle Sektkelche herum. Im hinteren Bereich entdeckte er die Reste eines Buffets. An den sicherlich verdorbenen, vor sich hinmüffelnden Resten hätten sich die Obdachlosen der Stadt drei Tage lang satt essen können. Jetzt fraßen sich dort Fliegen kugelrund. Missbilligend rümpfte Struller die Nase.

»Moment!« Yacht, Sektkelche, üppiges Buffet … In Gedanken fügte Struller dem dekadenten Ensemble einen Namen hinzu: Oliver Graminski.

Graminski. Natürlich: Dauergrinsender Plattenproduzent mit eigener Fernsehshow. Multimillionär. Zu Hause in der Playboy- und Partyszene. Der war doch früher auch mit diesem Dunkelhaarigen als Duo aufgetreten. Wie hieß denn der noch mal? Der hatte bei den Auftritten immer so eine Goldkette um den Hals. Norbert. Genau.

Struller kratzte sich das Haupthaar. Na klar. Der Kerl war bekannt für seine ausschweifenden Partys. Sternchen, Sportler, B-Promis und Fotomodelle. Und für alle, die nicht dabei waren, stellte er immer neidisch machende Fotos und Videos auf seiner Homepage ins Internet. Und hatte man auf einer dieser Partys nicht mal diesen Sportreporter beim Koksen gefilmt?

»Interessant«, murmelte Struller und ging zügig an Bord.

Unter seinen Füßen knirschte das teure Holz. Es schwankte ein bisschen, aber deutlich weniger als in Jensens Gemüsetransporter. Er hatte das Boot gerade betreten, da öffnete sich im Boden eine Klappe. Oder Luke. Oder wie auch immer das hieß.

»He«, beschwerte sich der Eigentümer. »Runter vom Boot! Das ist Privatbesitz.«

Struller erkannte Graminski sofort. Die Haare lagen nicht ganz so frisch gefönt wie sonst im Fernsehen, das breite Kinn schimmerte dunkler, aber er war es. Höchstpersönlich. Struller zückte seinen Dienstausweis. »Privatbesitz? Gut. Aber ich bin gar nicht privat hier. Ich arbeite bei der Mordkommission.«

»Ich lebe noch«, stellte Graminski klar.

»Das ist schön. Sonst hätten wir uns sicher schon früher kennen gelernt. Hier war gestern eine Party?«

»Ein gemütliches Zusammensein mit Freunden. Wir haben Schlag den Raab geguckt.«

»Spannend. Ich brauche den Film und die Fotos.«

»Welcher Film? Welche Fotos?«

»Die gestern beim Fernsehabend gemacht worden sind.«

»Kollege, tickst du noch ganz richtig? Ich geb dir doch nicht den Film, der gestern gemacht worden ist.«

»Den stellst du doch sowieso ins Internet.«

Graminski baute sich in voller Größe auf. Was nicht sehr imposant war. Er trug keine seiner üblichen Cowboystiefel und reichte Struller nur bis knapp unter die Brustnippel. »Was ich ins Internet stelle, entscheide ich ganz alleine! Und nicht ein dahergelaufener Polizist.«

Struller rümpfte die Nase. »Das Dahergelaufen nehme ich dir übel!«

»Das ist mir doch scheißegal. Jeder, der ohne Erlaubnis mein Boot betritt, ist für mich dahergelaufen!«

Struller kniff die Augen zusammen und hätte einräumen können, dass Graminskis Äußerung durchaus eine gewisse Logik in sich barg. Tat er aber nicht. Stattdessen deutete er auf ein kleines Klarsichttütchen, das unter einer der leeren Sektflaschen klemmte. »Ich dagegen überlege gerade, ob mir das Klarsichttütchen scheißegal ist, das dort unter der Sektflasche pappt. Das mit den weißen Krümelchen drin.«

»Da sind keine weißen Krümelchen drin!«

»Wetten, ich finde dort welche?«

Graminski kniff die Augen zusammen. »Ohne Durchsuchungsbeschluss und ohne meine Anwälte läuft hier gar nichts!«

»Sehe ich so aus, als würde ich mit einer Durchsuchung warten, bis ich einen Beschluss habe und die Anwälte da sind? Den Polizeihund hab ich schneller durchs Boot gejagt, als du ›Brother Louie‹ sagen kannst!«

Graminski war knallrot im Gesicht. Und grinste plötzlich. Ganz breit. Wie man es von ihm kannte. »Soll das hier ein Schwanzvergleich werden, Sheriff?«

Struller grinste zurück und zuckte lässig mit der Schulter. »Ich habe ein riesiges Teil.«

Graminski schniefte. »Mordkommission. Seit wann spielen die von der Mordkommission mit kleinen Hunden?«

»Nur, wenn es sein muss.«

»Was für ein Mord?«

Struller nickte nach hinten zur Parkhalle. »Da drinnen gibt es eine ziemlich große Blutlache.«

»Auf meiner Party hat niemand geblutet.«

»Kann sein, dass in der Halle jemand tot geblieben ist.«

»Meine Gäste leben alle noch.«

»Aus kriminalpolizeilicher Sicht war das dann eine eher langweilige Party. Mich interessiert übrigens nicht, wer mit wem rumgemacht hat oder wer sich ein Tütchen Ahoi Brause durch die Nase gezogen hat. Mich interessiert, was möglicherweise im Hintergrund dort an der Halle zu sehen ist. Am Ein- und Ausgang und am Garagentor.«

Graminski hatte sich sichtlich entspannt, griff eine Flasche Sekt beim Hals. »Auch ein Schlückchen?«

»Zu kribbelig.«

»Langweilige Beamte! Und was ist mit dem Diensthund?«

»Ich bin kein besonders großer Hundefreund und wäre heilfroh, auf den Einsatz wahlweise von Ghandi oder Caligula verzichten zu können.«

»So heißen die Hunde?«

»Ghandi ist ein besonders gefährliches Tier.«

»Ghandi ist gefährlich. Nee, is klar. Ich hol mir unten ein frisches Sektglas. Wenn ich die Kamera zufällig finde, bringe ich sie mit.« Oliver Graminski verschwand unter Deck.

Struller reckte sich die Anspannung aus den Schultern und blinzelte übers Hafenbecken in die frische Maisonne. Keine Wolke am Himmel. Nicht mal ein laues Lüftchen wehte. Eigentlich ganz sympathisch, dieser Graminski. Ein herrlicher Tag.

Zwanzig Sekunden später erschien der Plattenproduzent wieder auf Deck und schwenkte die Kamera: »Aber das Ding kriege ich zurück. Und keine Kopie, klar?«

»Klar«, nickte Struller und schob das kleine Teil in sein Jackett.

Graminski baute sich noch mal auf und … ja, jetzt trug er die Stiefel! »Wenn das Probleme gibt, für mich oder für einen meiner Gäste, Alter, dann kack ich dich so was von an, glaub es mir!«

Struller nickte. »Glaub ich dir, Captain. Tja, dann bin ich mal wieder weg. Schiff ahoi!«

Struller verließ die Tanja B., schritt gut gelaunt zurück ans Gebäude … und stockte. Er bückte sich und zupfte ein Stück Papier vom Boden.

»Eine Knolle.«

Falschparken. Struller nickte und checkte die Uhrzeit. 23.30 Uhr. Okay. Hier standen gestern Abend Fahrzeuge falsch und einer der Fahrer hatte offensichtlich keine Lust, das Ticket wegen Falschparkens zu zahlen. Struller versenkte den Zettel in seiner Jackentasche.

»Mist!«

Die Notausgangstür war zugefallen und ließ sich von außen nicht öffnen. Laut hämmerte er mit der Faust dagegen, bis endlich jemand öffnete. Struller erschrak. Es war der dicke Schröder, der ihn wortlos einließ, sich dann aber wegdrehte, ohne zuzubeißen.

Die Kollegen der Spurensicherung waren dabei, ihre starken Strahler abzubauen. Leuchtstoffröhren brummten unter der Decke. Am anderen Ende der Halle traf Struller auf Jensen und die beiden Streifenpolizisten. Krabba hatte sich eine Wolldecke umgewickelt.

»Ihr seid Krabba und Hucki? Tolle Spitznamen.«

»Struller ist auch ganz klasse«, blaffte Krabba zurück.

Jensen hustete. »Ich bin durch mit den beiden. Sie können die flüchtige Person nicht beschreiben. Es war dunkel und ging alles zu schnell. Der Typ hat hinter einem Pfeiler gestanden und sich versteckt. Als die beiden an ihm vorbeigegangen sind, hat er Krabba in die Lache geschubst und ist losgespurtet. Die Tür zum Treppenhaus hat er hinter sich zugezogen, die beiden konnten ihm nicht folgen und mussten das Eintreffen der Verstärkung abwarten. Die Fahndung lief dann nach knapp zwei Minuten an, schneller ging es nicht, aber der Typ blieb verschwunden.«

»Wann krieg ich meine Klamotten zurück?«, beschwerte sich Krabba.

»So schnell es geht. Jensen, gibt es sonst schon was Neues?«

»Geh mal zu Harald!«

Das tat Struller. Harald stand mit gesenktem Kopf neben der Blutlache und schien in ihr lesen zu wollen.

»Gefällt dir die Farbe?«, fragte Struller.

»Hier stimmt was nicht«, antwortete Faserspuren-Harald.

»Tja«, gab ihm Struller recht. »Hier ist wahrscheinlich einer tot geblieben.«

Der Chef der Spurensicherung ging in die Hocke. »Guck mal hier!« Er zog einen kleinen, dünnen Pinsel aus der Tasche seines Overalls. Dann wischte er vorsichtig einen Streifen durchs Blut und legte den darunterliegenden Betonboden frei. Und nicht nur den Boden …

Struller schnalzte mit der Zunge. »Hoppla.«

Fast ganz im Boden versenkt steckte ein Projektil im Beton.

»Das wollte ich dir noch kurz zeigen, bevor ich das Teil rauspuhle.«

Struller zupfte sich an der Nasenspitze. »Verdammt, was ist hier passiert? Warum ballert jemand auf eine Person, die ihr Blut schon auf mehrere Quadratmeter verteilt hat, die sowieso schon derartig saftet. Das macht doch gar keinen Sinn, die stirbt ja sowieso. Habt ihr die passende Hülse dazu gefunden?«

»Keine Hülse. Die hat der Schütze vermutlich mitgenommen. Für das Projektil fehlte wohl die Zeit. Und das ist noch nicht alles. Pass auf! Meine Jungs haben den ganzen Boden der Tiefgarage abgepinselt und nichts gefunden. Hier ist alles lupenrein sauber gewischt worden. Das war ein megatolles Besenkommando. Hier hat die gute Hausfrau gründlich sauber gemacht.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Pit, die ganze Halle ist gewischt wie geleckt. Da ist es sauberer als bei dir im Bad. Oder sogar bei mir. Nur damit hier Autos parken? Das ist doch nicht normal.«

»Ach so«, kratzte sich Struller das dunkel schimmernde Kinn.

»Tja, aber die riesige Blutlache, die hat keiner weggemacht. Sieht so aus, als wäre die entstanden, nachdem hier gründlich gewischt worden ist.«

»Ich verstehe. Die Frage ist dann: Warum wurde hier so gründlich sauber gemacht?«

»Und nachher nicht.«

»Nachher nicht, weil der Täter gestört wurde.«

»Genau. Ich werde mir die riesige Blutlache tropfenweise unters Mikroskop schieben. Ich wette, es gibt einen Zusammenhang zwischen der extremen Grundreinigung und dem Blutfleck.«

Struller nickte grinsend. »Aus dir wäre ein guter Polizist geworden. Wann weißt du mehr über das Projektil und den Fußabdruck?«

»Morgen. Im Laufe des Tages.«

»Mach es nicht so geheimnisvoll, Harald«, stöhnte Struller. »Vor- und Nachname des Schützen wären gut.«

»Is klar. Und ob der Träger des Schuhwerks Schweißfüße hat«, grunzte Harald.

»Auch fände ich es gut, wenn du Personen mit Hammerzeh ausschließen könntest!«

Strullers Hand ertastete die Kamera. Im Grunde genommen war er mit Informationsmaterial und Arbeit ausreichend eingedeckt. Sollte der alte Spurenschnüffler sich ruhig Zeit lassen. Hauptsache, seine Ergebnisse wären wie immer erstklassig.

Struller winkte seinen Abschlusspraktikanten heran. »Jensen, wir sind hier fertig. Bring du in Erfahrung, wem dieser Laden hier gehört. Wer hatte die Aufsicht über die Halle? Gibt es Kameras, die wir nicht kennen? Ich will wissen, wer Zugang zur Garage hatte. Irgendwie muss der geheimnisvolle Unbekannte hier ja reingekommen sein.«

»Mach ich.«

Struller klopfte sich auf die Jackentasche. »Ich lass mich von Krabba und Hucki ins Präsidium mitnehmen. Mein Bedarf an Gemüsetransportern ist gedeckt. Im Büro werde ich mir ein hoffentlich recht schlüpfriges Filmchen angucken. Wenn du fertig bist, darfst du gerne hinzustoßen.«

»Juhu«, freute sich Jensen.

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Zwei Stunden später saß Struller vor seinem Monitor und seufzte. Er hatte sich den Film zwei Mal angeguckt. Schon interessant, wer sich alles auf Graminskis Party um den Verstand gesoffen hatte. Und in welchem Tempo. Struller hatte vier Fußballprofis erkannt und drei Schauspieler, von denen zwei schon mal im Dschungelcamp gewesen waren. Dazu eine Landtagsabgeordnete, die ganz unfein ins Hafenbecken gekotzt hatte. Und noch eine Blondine, die er ob ihrer bemerkenswert prallen Oberweite mit hohem Wiedererkennungswert einem Pornofilm zuordnen konnte, den er sich mal versehentlich aus dem Internet runtergeladen hatte.

Struller warf einen Blick auf die GDP-Uhr an der Wand und tat einen weiteren tiefen Schnaufer. Er hatte im Hintergrund der Szenerie an den Ein- und Ausgängen der Halle nichts Verwertbares entdecken können. Plötzlich wurde die Bürotür mit einem kräftigen Ruck aufgestoßen. Struller rechnete mit Jensen. Aber es war:

»Bertie Spurtmann.«

»Hallo Pit«, grüßte der Kollege im grünen Pullunder zurück, als er seinen tropfenförmigen Körper zu Struller ins Büro schob. »Äh, ich war im Haus unterwegs und habe Licht gesehen.«

Struller verdrehte die Augen. »Das liegt an der Deckenbeleuchtung. Die ist eingeschaltet.«

»Ach so. Ich habe eine Nachricht, eine Bitte, äh, ich muss dich was fragen.«

Hm. Struller blieb locker. Spurtmann hatte eine neue Stelle bei den Fahrradcodierern angefangen, und sein Chef Hengstmann hatte ihm hoch und heilig versprochen, dass Spurtmann nicht mehr im KK 11 eingesetzt werden würde. Was sollte da jetzt kommen?

»Frag, Kollege!«

»Erst muss ich dir was erzählen.«

»Hast du Scheiße gebaut? Ich kenne ein paar Leute, die können alles geradebiegen. Weißt du aus dem Kopf wie die Landesvorwahl von Litauen ist?«

»Nein …«

»Egal, schieß erst mal los!«

Bertie räusperte sich. »Doris und ich, wir beide wollen heiraten.«

»Oh«, sagte Struller. Da konnten jetzt auch Litauische Kontakte nicht helfen. Killer vielleicht …

»Sie ist die Frau meines Lebens«, jubelte Spurtmann.

Ja, dachte Struller, wahrscheinlich die einzige. Aus Fleisch und Blut. »Dann ist doch gut.«

»Natürlich ist es gut. Und ich habe gedacht, also, ob du vielleicht unser Trauzeuge werden möchtest?«

»Ähm …«

»So wie du mich wieder aufgenommen hast. Letztens. Bei diesem Fall. So herzlich. So offen. Das hat mich sehr berührt. Das war ein gutes Omen. So möchte ich mich auch in der Ehe fühlen.«

»Also, ich weiß nicht, ich habe sehr viel um die Ohren.«

»Ich habe mit Doris darüber gesprochen, und sie war sofort begeistert. Ich habe doch sonst keine Freunde außer dir. Doris kennt dich zwar nicht, aber sie meinte, du würdest positives Karma versprühen. Seit ich mit dir zusammengearbeitet habe, sei ich ein viel lebensbejahenderer Mensch.«

»Aha. Das meint sie also? Über deinen Monolog habe ich ganz den ersten Teil deiner Frage vergessen.«

»Ob du mein Trauzeuge werden willst?«, fragte Spurtmann erneut.

Strullers Augenbraue hob sich. »Trauzeuge? Muss man da nicht Christ sein?«

»Nicht unbedingt.«

»Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten.«

»Das ist kein Problem.«

»Wie gesagt, ich habe viel zu tun und bin grad mit einem neuen Fall beschäftigt. Ich werd kaum frei bekommen.«

»Das würde der Hengstmann regeln.«

Struller schüttelte sich. »Aber grade ich? Bist du wahnsinnig?«

»Nicht heute, nicht morgen und sonst auch nicht«, lachte Spurtmann mit der entwaffnenden Leichtigkeit eines ahnungslosen Kleinkindes.

In Strullers Körper folgte eine Hitzewelle der nächsten. Trauzeuge? Junggesellenabschied. Brautstrauß fangen. Ringe. Und anzuziehen hatte er auch nichts!

»Das wäre so … schön. Du hast so eine sensible Seite«, gurrte Spurtmann.

»Sensibel? Ich? Suchst du Streit?«

»Nein.« Spurtmann rieb sich die Hände. »Das wird eine großartige Hochzeit.«

»Gibt es viel Licht?«, fragte Struller bissig.

»Natürlich.«

»Das dachte ich mir«, murmelte Struller.

Spurtmanns Auserwählte war eine Lichtheilerin. So richtig fehlten Struller die Worte. Bertie allerdings schien sein Schweigen als eine Zustimmung zu missdeuten, denn er fiel Struller um den Hals, drückte ihn und rannte wieder aus dem Büro hinaus.

»Das muss ich sofort Doris erzählen!«

»Moment …«, rief ihm Struller hinterher, aber da war Bertie schon auf den Flur verschwunden.

Was war das denn jetzt? War er jetzt Trauzeuge? Um Himmels willen! Wie kam er denn aus der Nummer wieder raus? Ihm musste etwas einfallen. Vielleicht irgendwas mit Gewalt? Oder eine ansteckende Krankheit …

Die Tür schwang wieder auf. Jensen trat ein, grüßte, warf die Tür des Büros hinter sich krachend in den Rahmen, ließ sich ächzend in einen der beiden Schreibtischstühle fallen und strich sich durchs Gesicht. »Meine Güte, war das mühselig.«

»Dienst ist keine Gefälligkeit.«

Jensen wagte es, seine hellblauen Augen zu verdrehen und murmelte: »Ich hab mir meinen freien Sonntag irgendwie anders vorgestellt. Die Parkhalle gehört zur darüber liegenden Diskothek. Beides gehört einem Tim Winters. Der lebt seit mehreren Jahren auf Ibiza und hat die Insel nachweislich seit mehreren Monaten nicht mehr verlassen.«

»Aha«, brummte Struller, der wusste, dass man jede Insel immer verlassen konnte. Mit einem Boot zum Beispiel.

»Ich hab ihn gecheckt, er war früher mal ein heißer Feger, kleinere Drogengeschichten und so was, aber seit über zehn Jahren ist er polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Geschäftsführer oder Hausmeister der genannten Diskothek ist ein Miro Pesic aus Kroatien. Total unauffälliger Typ. Er wird uns aber bestimmt ein paar Hintergrundinformationen geben können. Pesic hat in mehreren Strafverfahren aller Art umfassend als Zeuge ausgesagt, scheint seine Augen und Ohren überall zu haben. Mit dem hab ich für morgen Vormittag um elf einen Termin gemacht.«

»Gut«, behauptete Struller. »Dem werden wir mal auf die kroatischen Griffel klopfen.«

»Mir kam gerade der Spurtmann pfeifend entgegen«, wechselte Jensen das Thema. »Warum ist der denn so gut drauf?«

»Er heiratet.«

»Das ist ja schön. Und wieso bist du so blass?«

»Ich soll sein Trauzeuge sein.«

»Super, dass du das machst.«

»Ich mach das nicht!«

»Oh, das ist normalerweise Ehrensache«, gab Jensen vorsichtig zu bedenken.

»Ist es nicht!«

»Hast du ihm gesagt, dass du es nicht machst?«

»Fast. Ich will mit seiner Hochzeit nichts zu tun haben. Er heiratet eine Lichtheilerin.«

»Aber …«

»Auf keinen Fall! Doris, die Lichtheilerin, heiratet den größten Trottel des Präsidiums. Gar nicht auszudenken, dass die sich auch noch vermehren. Kinder, die direkt erleuchtet zur Welt kommen, gar nicht auszumalen dieser Gedanke. Außerdem: Ich habe einen Mord aufzuklären!«

»Überleg dir das genau, so was kann man eigentlich nicht ablehnen.«

»Ich kann alles ablehnen!«

»Und was hast du bezüglich des Falls Neues?«, fragte Jensen schnell.

Struller winkte ab. »Fehlanzeige. War nett, den Leutchen auf Graminskis Party beim Feiern zuzusehen. Gäste aus ganz Europa. Nur Berlusconi hat gefehlt. Aber wenn die Kollegen im Keller der Polizeiwache Bilk eine ihrer Mottopartys feiern, ist mehr los. Und im Hintergrund war nichts Brauchbares zu erkennen.«

»Schade«, flüsterte Jensen.

Struller tippte auf das geknitterte Knöllchen, das er vor dem Hallentor auf dem Boden gefunden hatte. »Ich lass morgen früh ein paar Kontakte spielen und guck mal, ob ich rausbekomme, wer da vor der Halle so alles falsch geparkt hat. Sind es halbstarke Jugendliche, dann werden sie Gäste der Diskothek gewesen sein. Allen anderen werden wir auf den Zahn fühlen. Die waren dann nämlich vielleicht in der Parkhalle und könnten für uns interessant sein.«

Jensen nickte, Struller klatschte abschließend in die Hände. »Für heute ist Schluss. Ich guck morgen bei Faserspuren-Harald vorbei, wie weit der mit seinen Spuren ist, und du hast morgen früh um acht eine Verabredung in der Gerichtsmedizin.«

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Das Gitter. Fast schon wütend umschlossen seine Hände die kalten Eisenstangen. Er drückte fest zu. Weiß zeichneten sich die Knöchel seiner Fingergelenke ab. Er hielt die Luft an und drückte und drückte und drückte.

»Mist!« Er fluchte durch seine zornig zusammengepressten Lippen. Diese verdammten Gitterstäbe, die ihn trennten von … von allem, was ihm früher einmal wichtig war. Alles, für das er gelebt, gearbeitet, geatmet hatte. Sich hingegeben hatte! »Alles«, flüsterte er heiser.

Er spürte, wie die Muskelspannung in seinen Fingern nachließ, wie sich seine Hände zitternd von den rostigen Eisenstäben lösten. Sein Blick glitt flackernd über eine gepflegte Rasenfläche in die Ferne und verfing sich dort in den vielen, symmetrischen Fenstern des gigantischen Gebäudekomplexes. Dort drüben hatte er gearbeitet, ganz links, von hier aus kaum zu sehen. Dort, in der Unfallchirurgie. Zehn lange Jahre. Zehn Jahre lang hatte er sich nichts Wesentliches zu Schulden kommen lassen. Zehn Jahre lang hatte er Doppelschichten gefahren, Überstunden gesammelt, sich die Seele aus dem Leib operiert.

»Und wofür?«

Dafür, dass er jetzt hier stand, nach billigem Fusel roch, von der Hand in den Mund lebte und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Und das nur, weil er einmal einen Fehler gemacht hatte. Einen richtig schlimmen Fehler, ja, das sah er natürlich ein. Aber er war doch auch nur ein Mensch. Ein Mensch, der einmal ein Glas zu viel getrunken hatte und dem dann ein Fehler passiert war, der eben nicht zu beheben, nicht zu vertuschen, nicht wiedergutzumachen war.

Er trat einen Schritt vom Gitterzaun zurück. Die eisernen Stangen trennten die Bürger vom Gelände, grenzten es ein, aber für ihn, für ihn bedeutete der Zaun mehr.

Sie hatten ihn entlassen. Sie hatten ein Hausverbot ausgesprochen, sie hatten ihm das Betreten des Geländes bei Strafe verboten. Sie hatten ihn angezeigt, verklagt, verurteilt … und er hatte seine Approbation verloren.

Das war das Schlimmste. Sie hatten ihn zum Teufel gejagt. Ihn, den jungen Starchirurgen. Den Mann mit den Zauberhänden. Den Händen, die irgendwann schon morgens vor der Schicht anfingen zu zittern und die nur mit Alkohol ruhig zu halten waren. Er blickte auf seine zarten, feingliedrigen Hände. Wenn sie zitterten, dann bemerkte er es nicht. Inzwischen war es ihm meistens egal.

Wieder legten sich die Zauberhände um die rostigen Stangen, und wieder spürte er diese Wut, diesen tiefen Zorn auf die Ungerechtigkeit. Das war alles so falsch, so dumm! Er wollte schreien, wollte …

Er bemerkte den Streifenwagen, der ganz langsam vom Merowinger Platz nach rechts in die Moorenstraße einbog.

Hastig versenkte er die Hände in den Taschen seiner fleckigen Jeans. Er drehte sich zur Seite, schritt voran. Wie ein Fußgänger, wie ein ganz normaler Fußgänger. Nicht wie einer, der sich nichts sehnlicher wünschte, als irgendwann diese grauen Kästen auf der anderen Seite des Gitterzauns in Brand zu setzen, die ganze Uniklinik in Schutt und Asche zu legen.

Aber mit jedem Schritt, den er tat, wuchs die Gewissheit, dass er das niemals würde tun können. Nein, der Herrgott hatte ihn geschaffen, um Menschenleben zu retten, und nicht, um sie zu vernichten.

Warum? Warum sahen das, verdammt noch mal, nicht endlich alle ein?

Die Polizisten im Streifenwagen fuhren – ohne ihn zu beachten – an ihm vorbei und bogen in eine der kleinen Seitenstraßen ab.

Dr. Thomas M. Gerda überlegte, wieder umzukehren, um sich den Frust von der Seele zu jaulen, aber da meldete sich sein Handy mit klirrendem Ton. Umständlich ruckelte er das Mobilteil aus seinem Hemd. Er checkte die Nummer, die im Display angezeigt wurde, und nickte. Er spürte, wie sich sein Pulsschlag erhöhte.

Dann nahm er das Gespräch an. »Hallo?«

Er blieb stehen. Lauschte und nickte angespannt. Auf dem Sprung. Dankbar. Und irgendwie gierig. Auf jeden Fall sofort bereit! Es war nicht ganz so wie früher … Aber fast!

»Und wann? Heute? Jetzt gleich? Schwer verletzt? Gut, ich komme. Ich rufe nur schnell noch … Ja, ich beeile mich!«

Er schnackte das Handy mit der Linken zu. Wie automatisch fand seine rechte Hand den Flachmann in seiner Jackentasche, holte ihn hervor, führte die fast leere Flasche an seine Lippen. Sein Mund öffnete sich.

Halt!

Hastig riss er die braune Flasche von seinen Lippen. Nein, nein, jetzt keinen Alkohol! Er schleuderte den Flachmann im hohen Bogen in einen Vorgarten und drückte sein Kreuz stramm durch. Kein Alkohol. Er hatte zu arbeiten.

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Struller fand, dass er im Laufe des Tages eindeutig zu viel Flüssigkeit ausgeschwitzt hatte. Graminskis Partyfilmchen und der dort literweise geflossene Champagner hatten ebenfalls seinen trockenen Gaumen gereizt. Das galt es allein schon aus gesundheitlichen Gründen auszugleichen. Mit Bier. Und zwar im Aquarium.

Als er die Tür zur Kneipe aufstieß, schien alles in Ordnung. Es war Sonntagabend, die Leute guckten zu Hause Tatort, und Krake befand sich alleine im Schankraum. Elvis Presley schwärmte warmweich vom Heartbreak Hotel.

»‘n Abend, Krake, ich …« Struller hielt verwirrt inne. »Was ist denn hier passiert?«

Strullers einarmiger Lieblingswirt stand an der linken Kopfseite der Theke. Auf dem Boden an der rechten Kopfseite lag ein gestapelter Berg aus Decken, Kissen und Tüchern. Übersät mit Splittern. Klatschnass das Ganze. Auf dem Kneipenboden hatte sich eine Pfütze gebildet.

»Was meinst du?«, fragte Krake abwesend.

»Was sind das für Splitter?«, deutete Struller auf den merkwürdigen Haufen.

»Welche aus Glas.«

»Ach?«

»Ja.«

»Und warum sind es Splitter?«

»Wonach sieht es denn aus?«, fragte Krake und schnappte sich schwungvoll einen mit Leitungswasser gefüllten Halbliterbierkrug.

»Nach Schutzgelderpressung«, erklärte Struller.

»Quatsch. Ich übe.« Krake packte den Krug fest beim Henkel, ging locker in die Knie, schloss ein Auge und peilte das Glas über Kimme und Korn an. »Für die diesjährige Thekencurlingmeisterschaft.« Er holte aus und gab dem Glas einen Schubs.

Wuuuuuusch!