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Gisbert Haefs
Zwischenfälle

Matzbach exklusiv bei KBV:

Acht Neuauflagen und zwei Neuerscheinungen

Mord am Millionenhügel

Und oben sitzt ein Rabe

Das Doppelgrab in der Provence

Mörder und Marder

Matzbachs Nabel

Kein Freibier für Matzbach

Schmusemord

Feuerwerk für Matzbach

Finaler Rettungskuss

Zwischenfälle

 

Gisbert Haefs, Jahrgang 1950, lebt und schreibt in Bonn; als Übersetzer/Herausgeber verantwortlich für Borges, Kipling, Brassens, Dylan u. a., als Autor haftbar für Erzählungen, historische Romane (Hannibal, Troja, Raja, Die Rache des Kaisers, Das Labyrinth von Ragusa u. a.) und Krimis (»Matzbach«).

Gisbert Haefs

Zwischenfälle

Matzbach-Geschichten

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Originalausgabe
© 2015 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
Print-ISBN 978-3-942446-75-4
E-Book-ISBN 978-3-95441-131-3

Aus: Jakob Grunewald, Willkürliche Biogramme,3 19971

»... wurde Baltasar Matzbach als ›Universaldilettant‹ bezeichnet, der sich in die Gefilde der Kriminalistik verirrt habe. Das Etikett ... beklebt einen, der von vielen Dingen zu viel weiß, um sie ernst zu nehmen, zu wenig, um von ihnen ernst genommen zu werden, und genug, um Experten zu bluffen und Laien zu amüsieren ... Ein Bekannter mutmaßte auch, B. M. leide (?) an Elephantiasis der Seele. Interessanter sind jedoch andere Aspekte, so z. B. Matzbachs verwegene Verfressenheit; wie zu Zeus Sein Donner und zu Jehova Sein Zorn gehört zu Baltasar Sein Wanst. Immerhin kann er es sich seit vielen Jahren leisten, Hecht zu essen und zum folgenden Fleischgang einen Grand Cru zu trinken. Er wuchs nach dem Verscheiden seiner Eltern bei Verwandten auf und studierte später Philosophie und Atomphysik. Dabei erfand er etwas für ein Betatron, so kompliziert, daß er es selbst schon längst nicht mehr erklären kann, aber das Patent wird international verwendet und wirft einiges ab; anschließend wandte Matzbach sich der Musik zu und komponierte ein bißchen, darunter einen vollendet schwachsinnigen Schlager, der noch immer läuft und zwei- bis dreimal pro Jahr neu aufgenommen wird, und so schickt die GEMA ihm bisweilen einen freundlichen Scheck. Ein Hauptgewinn im Lotto sorgte 1962 dafür, daß Baltasar aus dem Gröbsten heraus war. Er investierte klug und ergab sich der sinnlosen Bildung, wobei er von den exakten zu den diffusen Gebieten überging; so stammt aus seiner Feder ein in Fachkreisen geschätztes Werk über Monotheistische Strömungen des inselkeltischen Druidentums*. Einige Jahre hielt er sich an der bretonischen Nordküste auf, bevor die touristische Völkerwanderung sie verwüstete, und weilte dort als Mäzen und Manager junger Künstler, Veruntreuer von frühen Touristinnen und Privatdozent gegen Okkultismus. Dabei verfaßte er zwei weitere Standardwerke: Schamanistische Einflüsse in die Analekten des Konfuzius* und Sexualpathologische Aspekte der Psychokinese*. Und tat zahllose weitere unsinnige Dinge, die ausnahmslos zu Gold wurden (er habe, behauptete er, in dieser Beziehung etwas durchaus Eselhaftes an sich). Jahrelang verdiente er sich ein regelmäßiges Zubrot mit seinem Kummerkasten Fragen Sie Frau Griseldis; außerdem droht irgendwann die Veröffentlichung seines geheimen Hauptwerks Der Leichnam in der Weltliteratur. (Die Mutmaßung, seine detektivischen Aktivitäten seien nur ein Vorwand dafür oder umgekehrt, ist nicht von der Hand zu weisen.) ...«

Inhalt

Die Geburt der Farce aus dem Geiste des Heulens

Matzbach fährt nach Schweden

Baltasars Einsatz

Matzbach und ein paar Gutmenschen

Die Keuschheit der bestochenen Bestatter

Matzbachs Trägheit

Die Vorzüge des Baggerns

Matzbachs Lieblingsmord

Der Eremit im Pfälzer Wald

Weihnachtsdotter-Slam

Eifel-Zweifel

Die Geburt der Farce aus dem Geiste des Heulens

 

Der Mann hielt den Oberkörper steif, wie beim irischen Zappelbeintanz. Er stieg auf einen Schemel rechts von uns, stöhnte und sagte: »Calvados.«

Wir spielten Räuberskat und tranken sauren Wein. Matzbach, der feiste Zyniker, war heute nur dick, aber unerträglich seriös. Er langweile sich mit dem investierten Lottogewinn, ausufernder Lektüre und seinem Kummerkasten (»Fragen Sie Frau Griseldis«), und wann ich endlich einen Verlag für meine Blankvers-Klamotte Ein Körnerfresser beißt ins Gras fände.

Der Mann jaulte leise und sagte: »Kirschlikör?«

Am anderen Ende des Tresens bestellte der persische Medizinstudent Persico – heute, genau einen Monat nach Erstürmung der US-Botschaft, wolle er auf den Schah trinken, den er gehaßt habe und zu vermissen beginne.

Der Mann jaulte lauter und sagte: »Slivovitz?«

Ich deckte den Herzbuben auf, Matzbach schnaubte, und der Mann stieß eine Art Wolfsgeheul aus. Er musterte die drei vollen Gläser, sagte: »Kastanie? Nußlikör, anstatt. Und aus Rotdorn macht man nix, oder? Aber Holunder!«

Als fünf Gläser vor ihm standen, nickte er, jaulte, leerte eines, heulte, leerte das zweite, dann die übrigen, immer mit Geheul. Der Perser ging zur Musicbox, warf Geld ein, drückte einen Knopf und kam zurück. Der Mann zog seine Jacke aus, kreischte und fiel vom Hocker. Wir sahen, daß sein weißer Hemdrücken rot schraffiert war, und Roberta Flack sang Killing me softly.

Der Perser beugte sich über den Mann, berührte einen Fleck, roch an seinem Finger und sagte: »Blut, was?« Der Wirt telefonierte nach dem Notarzt. Dann runzelte er die Stirn und nickte, als Matzbach fragte, ob die Schwarze Barbara noch nebenan praktiziere.

»Was hat Heino damit zu tun?«, sagte ich.

»Trottel«, sagte Baltasar. »Der da hat sich nen netten Nachmittag mit Peitschen und Ruten gemacht. Am Namenstag der Domina. Apfel, Kirsche, Pflaume, Kastanie, Rotdorn, Holunder? Schon mal von Barbarazweigen gehört, Junge?«

»O Mann. Vielleicht solltest du Detektiv spielen.«

»Blöde Idee.« Matzbach grinste. »Aber – wieso eigentlich nicht?«

Der Student bestellte noch einen Persico.

Matzbach fährt nach Schweden

Historischer Krimi aus dem Jahre 1980

 

Es geschah kurz nach der Zahnbürstensache2. Anders als seine Bekannten glaubten, war dies keineswegs Baltasar Matzbachs erster, wiewohl bisher größter Fall gewesen. Einige Wochen nach dessen Abschluß wärmte den Dicken die Sonne des Erfolges nicht mehr sonderlich; er mußte daher mit dem Gestirn des feinen Herbstnachmittags vorlieb nehmen. In diesem späten September 1980 plagten ihn viele Dinge; neben der allfälligen Langeweile wegen Ausbleibens der Sensationen war eine im weitesten Sinne libidinöse Frage zu klären. Ob nämlich die nette Dame, die er im Verlauf der aventiure kennengelernt hatte, wirklich nett genug sei, ihrethalben eine Weile der Monogamie zu frönen. Da jedoch auch auf diesem Gebiet harte Arbeit die beste Anästhesie ist, saß Baltasar Matzbach in seinem Appartement und hämmerte auf der Schreibmaschine. Der Schweiß sammelte sich in seinen Geheimratsecken, floß um die Augen und bildete Bächlein, die dem wuchtigen Kinn zustrebten.

Eigentlich hatte Matzbach einen Schönheitsschlaf tun wollen und den Wecker gestellt, daß die Schönheit nicht überhandnehme. Da er aber nicht schlafen konnte, hörte er Bach und dachte nach. Hierbei fiel ihm die Antwort auf einen problematischen Brief ein. Wenn Matzbach, der Universaldilettant, nicht gerade als Hobbydetektiv marodierte, betätigte er sich als Seelentröster. Um gesundes Geld gestaltete er die Wochenkolumne ›Fragen Sie Frau Griseldis‹, die allen Lesern einer großen Illustrierten ein Begriff ist. Diesmal war ein heikles Problem dabei; es erinnerte ihn unangenehm an sich selbst und betraf libidinöse Großväter. Frei nach Sherlock Holmes war es ein Problem für fünf Zigarren und zwei Liter Kaffee. Deshalb hatte Baltasar den großen Emaillekessel auf eine zaudernde Herdplatte gestellt. Heftige Inspiration trieb ihn alsdann an die Schreibmaschine, wo er die Welt vergaß.

Auf dem Plattenteller rotierte das Zweite Brandenburgische Konzert; der Wasserkessel pfiff; der Elektrowecker knarzte; Matzbach hackte grunzend und knurrend auf den Tasten seiner alten mechanischen Adler herum. Durch dieses Getöse sickerte, penetrant und immer hektischer werdend, das Dingdong seiner Türklingel. Nach und nach drängelte sich der Krach in sein Bewußtsein.

Er blickte auf »Oho! Was? Wer da? Hier ich.« Er stellte das Tippen ein und schaute sich um.

»Sssooooo, das Wasser kocht. Sofern es noch nicht verkocht ist.«

Er stand vom Schreibtisch auf und kurvte um die Stapel von Büchern, Papieren und Klamotten zu seinem Herd. Nachdem er die Platte abgestellt hatte, hob er vorsichtig den Kessel an und setzte ihn auf einen kühleren Fleck. Mit einem Ächzen lustvoll-schmerzlicher Erleichterung verstummte die Pfeife.

»Und wozu hab ich den Wecker gestellt? Schlief ich, wach ich, werd ich von Sinnen sein?« Er schaltete den Elektrowecker aus und starrte sinnend auf den Plattenspieler.

»Was ist denn das nun für ein Dingdong? Brandenburgisches Dingdong? Steht Bach vor der Tür, mit allen Feinden Brandenburgs im Staub?«

Machtvoll stapfte er in die Halbdiele seines Appartements und betätigte den Türöffner; das Dingdong endete.

Im Treppenhaus näherten sich Schritte wie von zornigen Damenstiefeln. Die teure Dame in diesen mochte dreißig Jahre alt sein; sie trug Schottenrock, weiße Bluse, Perlencollier und erlesene Schminke. Im Türrahmen warf sie das aschblonde Haar wütend zurück. Sie hatte die Unterlippe vorgeschoben, eine Augenbraue hochgezogen und hielt sich den Daumen, der vom Klingeln schmerzte.

»Du feister Unhold. Sitzt du auf deinen Ohren?«

»Dazu sind sie zu schmal. Kommen Sie rein, Mrs. McDonald. Ich wollte sowieso gerade aufmachen.«

Ines Finkel drängelte sich an ihm vorbei ins Chaos des großen Wohn- und Arbeitsraums. Dann blieb sie stehen und sah ihn an. »Wieso McDonald?«

Matzbach schubste sie mit dem Bauch weiter in den Raum und schloß die Tür zur Diele. »Dein Rock beziehungsweise das spezifische Tartanmuster desselben weist dich als Angehörige des ruhmreichen Clans der McDonalds aus. Willst du mich für die Highlander rekrutieren? Ich habe Plattfüße.«

Sie blickte ihn erbost an. »Mit dem Fernglas bin ich aufs Stadthaus geklettert, um zu sehen, ob du in deinem Arbeitszimmer bist. Wieso gehst du nicht ans Telefon?«

Matzbach zuckte mit den Schultern. »Meine wenigen Freunde sind mir gram; von denen ruft keiner an. Es kann also nur was Unerfreuliches sein. Da heb ich lieber gar nicht ab.«

Sie seufzte, blickte sich um. »Kann man sich hier irgendwo setzen? Wie das aussieht! Die Socken im Bücherregal. Und schmutziges Geschirr auf dem Sofa. Nein!«

Matzbach befreite einen Stuhl von Büchern, indem er ihn einfach kippte. »Doch. Ganz entschieden sogar. Bist du gekommen, um hier aufzuräumen?« Er stellte den Stuhl neben seinen kleinen Couchtisch.

»Mein Daumen tut weh, vom langen Klingeln. Was hast du denn gemacht? Warum hast du nicht eher geöffnet?«

Matzbach nahm das schmutzige Geschirr vom Sofa und stellte es auf den Schreibtisch. »Zuerst wollte ich ein Schönheitsschläfchen halten.«

Ines runzelte die Stirn. »Pah. Du? Und du meinst, das nützt noch?«

»Das kommt drauf an, wem es nützen soll. Die Schönheit ist bekanntlich im Auge des Betrachters. Wenn ich denn nun also geschlafen hätte, liebe Ines, kämst du mir schöner vor, als du bist. Im Moment hingegen, da ich nicht geschlafen habe, erscheinst du mir weit weniger schön, als du glaubst.«

Ines Finkel ließ sich auf den freien Stuhl sinken. »Oiojoj«, machte sie.

»Wie wahr. Um zu meines Redens abgeschnittenem Faden zurückzukehren: Ein Schönheitsschläfchen wollt ich halten, deshalb hab ich mir den Wecker gestellt. Dann jedoch überfiel mich die Inspiration, was einige Problembriefe angeht, also habe ich mich an die Schreibmaschine gesetzt.«

»Was für Problembriefe?«

»Na, mein Kummerkasten.«

»Dein was?«

»Kummerkasten. Ah. Weißt du etwa nicht, daß ich die berühmte Frau Griseldis bin?«

»Von ›Fragen Sie Frau Griseldis‹?« Ines schüttelte langsam und erstaunt den Kopf »Das gibt’s doch nicht.«

»Doch, doch. Bei meinem feinen Herzenstakt – wer sollte fünf Millionen Leser besser beraten als ich?«

Ines legte den Kopf in den Nacken. »Du liebe Güte. Nicht nur Hobbydetektiv, auch noch Seelentröster.« Sie kicherte. »Andererseits ...«

»Nämlich?«

Sie winkte ab. »Ah, später. Ich muß mich erst mal damit vertraut machen. Baltasar Matzbach ist Frau Griseldis. Nicht zu fassen.«

Matzbach ließ sich auf das Sofa plumpsen. »Dann mach dich damit vertraut. Wie gesagt – ein Schläfchen wollt ich halten, hab den Wecker gestellt, dann kam mir die Schreibmaschine in den Sinn. Nach einigem Arbeiten dürstete mich, kaffeemäßig. Also hab ich den Wasserkessel aufgesetzt – so einen feinen, den da, mit Pfeife. Pfifferl.« Er stand auf. »Und um nicht so allein zu sein, habe ich Bach hinzugezogen. Dann fing der Wecker an zu schrillen, und du hast gebimmelt. So einfach.« Er ging zum Herd und setzte den Kessel wieder auf die nicht ganz ausgeglühte Platte.

»Wahnsinnig einfach. O Mann. Ich frag mich, ob ich hier richtig bin.«

Innerhalb von Sekunden kochte das Wasser wieder. Matzbach entfernte die Sirene und goß das heiße Wasser in den auf einer Thermoskanne bereiten, gefällten Filter. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was mir eigentlich das Mißvergnügen verschafft.«

Ines verrenkte sich den Hals, um ihm bei seinen Bewegungen folgen zu können. »Ich, eh, hin. Also, Frau Griseldis, ich hab da ein Problem.« Sie lächelte ein wenig zaghaft.

»Das, Frau Finkel, dachte ich mir schon. Aus reiner Lust, mich schauen zu dürfen, bist du bestimmt nicht mit dem Fernrohr aufs Bonner Stadthaus geklettert. Übrigens eine reizende Vorstellung. Also – wo klemmt der Kothurn?«

»Bitte?«

Matzbach nickte. »Ach so ich vergaß, du bist ja Modistin. Dein entzückender Stiefel aus Antilopenleder; wo etwa drückt er?«

Ines blickte von ihm weg hinüber zur Couch. »Es geht um meinen Mann.«

Matzbach hob die linke Augenbraue. »Alfred der Schmierfinkel? Ich habe dich, ihn und eure Verbindung von Anfang an herzlich mißbilligt.«

Ines zischte irgend etwas. Dann sagte sie: »Kannst du diese furchtbare Musik mal abstellen?«

Baltasar schnaufte leise. »Nur Menschen mit räudiger Seele finden Bach furchtbar. Aber bitte sehr.« Er ging zum Gerät, drückte einen Knopf; Bach verstummte. Der Tonarm hob sich und wanderte zurück zum Lager.

»Also, was ist mit Monsieur Finkel?«

Ines kaute auf der Unterlippe. »Er ist verschwunden.«

Baltasar drehte sich zu ihr herum und lächelte. »Meinen Glückwunsch. Oder willst du ihn etwa zurück haben? Die Welt wimmelt vom gleichen Artikel, Ines; schlank, dynamisch, braungebrannt, schön und zum Kotzen öde. Es sind zwar nicht alle von dieser Sorte auch noch miese Skandalreporter, aber die Auswahl ist trotzdem groß.« Er ging zurück zum Herd und schielte in den Filter.

Ines ließ ein paar Tränen über ihre dezent getünchten Wangen kullern; dazu schluchzte sie dezent, nahm ein dezentes Spitzentüchlein aus ihrer zu den Tränen passenden Handtasche aus totem Krokodil und tupfte sich die Augen. »Baltasar, du bist ein Ekel.«

Matzbach nickte. »Stimmt schon. Aber daß ihr einander pausenlos betrogen und euch gestritten habt und daß er nun futsch ist, sind sämtlich keine Gründe, meine Klause zur dramatischen Bühne zu machen.«

Ines zog die Mundwinkel herab und steckte das Tüchlein wieder weg. »Ich dachte, du hilfst mir eher, wenn es ein bißchen mit Herz ist. Wir sind doch gute alte Freunde.«

Baltasar rümpfte die Nase. »Ich bin alt und gut, du bist weder noch, und mit dem Wort Freund sollte man behutsam umgehen.«

»Nja, aber Frau Griseldis interessiert sich doch für so was.«

»Daß ich Frau Griseldis bin, wußtest du aber nicht, als du hergekommen bist.«

»Jaaaaa. Also, ich hab gedacht, es könnte dich interessieren. Du suchst doch immer verwickelte Kriminalfälle ...«

»Ha, ba, ba.«

»... die sonst keiner klären kann.«

Matzbach goß Wasser nach. »Abermals ha, ba, ba. Wir schreiben das Jahr 1980, Sherlock Holmes ist längst tot, und ich glaube auch nicht an den Klapperstorch. Also komm zur Sache.«

Fast unwillkürlich nickte Ines. Ihre Stimme klang sachlich. »Du weißt, daß wir ein Haus in Schweden gemietet hatten?«

»Nein.«

»Ja. Für zwei Monate, diesen Sommer. Fredo hat lange nach so etwas gesucht. Ich weiß nicht warum, aber offenbar mußte es unbedingt ein Haus in dieser ganz bestimmten Gegend sein. In Südschweden. Als er es gefunden hat, war es schon vermietet, und er hat einiges bezahlt, damit der Mieter sich was anderes sucht und wir rein können. Und dann habe ich meine Boutique dem Personal überlassen, und wir haben uns hineingesetzt. In das Haus in Schweden.« Mit einer Kopfbewegung schleuderte sie ein paar streunende Haare zurück; dann klappte sie wieder ihr Täschchen auf und holte Zigaretten heraus.

»Lammsam. Hat er das bestimmte Haus in der bestimmten Gegend gesucht, um was Bestimmtes zu arbeiten?«

»Weiß ich nicht. Fredo muß an irgendeiner Story gesessen haben, die riesig werden sollte. Aber der war ja immer ein Geheimniskrämer, bis alles fertig war. Die ganze Zeit, wo wir verheiratet sind, hab ich nie was gelesen oder gehört, bevor er den letzten Punkt gemacht hat.«

Matzbach hob den Filter von der Thermoskanne, stellte ihn in sein Waschbecken und fahndete nach sauberen Kaffeebechern. Schließlich wurde er zwischen den Schallplatten fündig. »Na gut. Also das Haus in Schweden.«

»Ja. Nach vier Wochen ist er wohl noch nicht viel weiter gewesen; jedenfalls hat er mit dem Besitzer verhandelt und noch mal einen Monat verlängert. Und drei Tage, nachdem er verlängert hat, ist er verschwunden.«

Endlich fand Matzbach das Zuckertöpfchen unter einem zusammengeknüllten Handtuch. Aus dem Kühlschrank nahm er eine Dose flüssiger Schlagsahne, stellte sie ebenfalls auf das Tablett und schleppte alles zum Couchtisch hinüber.

»Was habt ihr denn die ganze Zeit da gemacht? Nur ihr beide, keine Seitensprünge, nichts als Natur und das liebe Gesicht des Partners, ihr müßt euch ja entsetzlich gemopst haben.«

Er goß Kaffee in die Becher.

Ines bewegte sich; der Stuhl knackte bedrohlich. »Also, ich hab Waldwanderungen gemacht und bin geschwommen, manchmal in den nächsten Ort gefahren, so was. Außerdem gibt’s im Haus Fernsehen.«

»Kannst du etwa Schwedisch?«

»Nee, aber die zeigen viele englische und Ami-Filme im Original mit Untertiteln. Und Englisch kann ich. Ein bißchen langweilig war’s aber doch. Ich hab sogar angefangen zu lesen.«

»Respekt. Und weiter?«

Ines deutete auf einen überladenen Sessel. »Dieser Stuhl tut es nicht mehr sehr lange. Kannst du das da nicht mal woanders hinbringen?«

»Von mir aus.« Matzbach nahm Hemden und Unterhosen von einem Sessel und verschwand in seinem Schlafzimmer. Ines Finkel setzte sich in das bequemere Möbelstück und zündete eine überlange Zigarette an. Matzbach kam zurück, schob ihr einen Aschenbecher hin und hockte sich auf das Sofa, wobei er das rechte Bein fast unters Gesäß zog. Die helle Leinenhose wies ein interessantes Muster von Kaffeeflecken auf; aus dem V-Ausschnitt des netzhemdartigen dünnen Pullovers, den er auf der bloßen Haut trug, quollen die Wipfel seiner dschungelhaften Brustbehaarung. Mit zusammengezogenen Brauen musterte er Ines, bis sie nervös wurde. Sie begann lautstark in der Tasse zu rühren, hüstelte, knipste das Feuerzeug an und aus.

»Hör auf, mit meinem Feuerzeug zu spielen. Wo sind meine Zigarren? Ah, da.« Er nahm das Feuerzeug, zündete sich die Zigarre an, stieß eine gewaltige Rauchwolke aus und rülpste. »So. Und weiter?«

Ines warf einen hilfesuchenden Blick aus dem großen Fenster. Die Fassade des Bonner Stadthauses begann sich herbstlich zu verfärben. Sie seufzte.

»Fredo hat gedacht und geschrieben und abends alles wieder in den Kamin geworfen. Und er war jeden Tag mit dem Ruderboot auf dem See. So ’n kleiner Waldsee, weißt du. Meistens hatte er Fernglas und Kamera dabei. Und dann war er weg.«

»Einfach so weg?«

»Ja. Bloß wie? Das Boot war noch da. Das Auto auch. Bis zur Straße und zum nächsten Ort sind es fast zehn Kilometer durch den Wald, und Fredo hat Wandern gehaßt.«

»Du meinst, zu Fuß wär er nicht so weit gegangen?«

»Ausgeschlossen. Und im See ertrunken ist er auch nicht; er war ein prima Schwimmer.«

»Was hast du getan?«

»Nachmittags ist er zum See runter. Als er am nächsten Morgen nicht da war, hab ich die Polizei alarmiert. Die haben alles gemacht, was man in solchen Fällen wohl tut – Anfragen bei Fähren und Flughäfen und in der Umgebung, aber ohne Ergebnis. Dann haben sie den Wald durchkämmt und sogar Froschmänner in den See geschickt. Nix.«

Matzbach setzte ein träges Lächeln auf »Und der in Journalistenkreisen nicht zu Unrecht als Fredo der Schmierfinkel bekannte Monsieur Finkel blieb verschollen. Nett.«

Ines starrte ihn mit großen Augen an. »Du hast nen komischen Humor.«

Baltasar schwieg.

»Ach so, ja, die haben natürlich auch alle Häuser am See untersucht.« Ines war wieder ganz kühl. »Fehlanzeige. Hast du noch nen Kaffee?«

Baltasar beugte sich vor und goß nach. »Da, bitte. Und wozu hast du mir das alles erzählt?«

»Ich dachte, das interessiert dich vielleicht ...«

»Hm. Im Prinzip hast du meinen Geschmack getroffen. Aber da gibt es Probleme. Zum Beispiel kann Alfred morgen aus Paris anrufen, weil er eben doch zu Fuß weggegangen ist. Oder er hat eine unkontrollierte Eisenbahn genommen. Und selbst, wenn er wirklich verschwunden worden ist – wieso soll ich einen Mord aufklären, den ich billige?« Er lächelte milde.

Ines rutschte zur Sesselkante vor und richtete sich auf. »Was!?!«

»Tu nicht so empört, das glaubt dir keiner. Klartext: ich nehme an, mein Desinteresse an Fredo ist größer als mein Interesse an diesem Fall.«

Ines lehnte sich zurück. Mit schmollenden Lippen sog sie an ihrer Zigarette. Dann ließ sie einen Moment die Zungenspitze sehen und blickte Matzbach unter gesenkten Wimpern an. Langsam sagte sie: »Ich verstehe. Dann willst du also nicht? Nicht mal, wenn ich dich ganz lieb bitte? Ganz besonders lieb?«

Matzbach legte die Zigarre in den Aschenbecher. »Wie meinst du das denn?«

»Du weißt es vielleicht nicht«, sagte Ines kunstvoll heiser, »aber was dich angeht, wollte ich schon immer mal ... Ich meine, wenn wir allein in Schweden wären ... Da gibt es ein sehr breites Bett.«

Kichernd ließ Matzbach sich der Länge nach auf das Sofa fallen. Dabei blickte er an die Decke und kratzte sich die linke Achselhöhle. »Ts, ts, ts. Merke auf, Ines – es gibt zwei sexuelle Perversionen, für die ich nicht zu haben bin. Die eine ist Askese, und die andere ist Verkehr mit Ines Finkel.« Er hob den Kopf und blickte sie an. »Das heißt, jedenfalls solange ich nicht weiß, was sie eigentlich vorhat. Klar? Fein. An dir ist wirklich eine schlechte Schauspielerin verlorengegangen.« Er stützte sich auf den linken Ellenbogen. »Was mich zur Frage nach deinem Motiv bringt.«

»Mein Motiv?« Gekränkte Unschuld blickte ihn an.

»Fredos Tod wäre für dich doch nur das Ende eines Kapitels, nicht der Schluß eines Buchs.«

Sie legte Empörung in ihre Stimme. »Hältst du mich etwa für so ’n kaltes Biest?«

»Es gibt ein feines Ortsadjektiv für die Temperatur deiner Seele: antarktisch.«

Sie rutschte wieder zur Sesselkante vor. »Ich geh jetzt wohl besser.«

Versonnen sagte Matzbach: »Ein Gletscher namens Ines erscheint bei mir, schmilzt ein bißchen, gibt das Sickerwasser als Tränen aus und kocht es zu Libidobrei auf. Was, frage ich, hat sie davon?«

»Da bin ich aber gespannt.«

»Alfred hat bestimmt eine Lebensversicherung abgeschlossen, und sicher nicht billig, wenn ich seine Eigenliebe richtig einschätze. Du als trauernde Witwe mit gutgehender Boutique kriegst die Mäuse aber erst, wenn eine Leiche da ist.«

Ein schrilles »Aaaah.«

»Zwei Millionen Umsatz hattest du letztes Jahr, nicht wahr?«

»Woher weißt du das denn schon wieder?«

»Hast du vor einem halben Jahr in einer Kneipe erzählt.«

»Man sollte nicht so viel reden.«

»Wie wahr. – Ferner wird diese Dreckschleuder von Zeitung sicher gern eine schöne Geschichte drucken, in der zu lesen steht, wie der tapfere Reporter auf der Suche nach dem Guten, Wahren und Schönen den Tod fand.«

Ines schüttelte langsam den Kopf. »Scheiße!«

»Pfui. Also – was haben dir Fredos ehemalige Chefs angeboten? Und wie hoch ist die Lebensversicherung?«

Ines blickte ihn an; ihr Mund war ein schmaler Strich. »Du bist eine miese feiste Ratte.«

Matzbach lächelte mild. »Höchstens von außen; das ist alles eine Frage der Perspektive.« Er kicherte. »Also, wie hoch ist die Versicherungssumme?«

»Ne Viertelmillion.« Es klang mürrisch.

Baltasar nickte. »Na siehste, das nenn ich erfolgreiche Motivationsforschung. Und was zahlt dir die Zeitung, wenn du eine Story ablieferst?«

»Zwanzig.«

»Bravo. Wieso haben die eigentlich noch keinen von Fredos findig-windigen Kollegen drauf angesetzt?«

»Haben sie, ist aber nichts dabei rausgekommen.«

Matzbach ließ sich wieder auf das Sofa sinken und blickte erneut zur Decke hinauf. »Hm. Reden wir jetzt mal über meine Motive. Ich bin bescheiden. Sagen wir – ein Erfolgshonorar von zehn Prozent der Versicherungssumme, sobald diese an dich ausgezahlt wird?«

Ines fletschte die Zähne. »Du feistes Schwein.«

»Und den Artikel schreibt natürlich der, der alles rauskriegt. Und der kriegt auch das Honorar dafür. Also ich, hm.«

»Du bist ... du bist ... eine Natter.«

Baltasar betrachtete nachdenklich seine bloßen Füße und wackelte mit den Zehen. »Jede weitere derartige Freundlichkeit treibt das Honorar um fünf Prozent in die Höhe. Und wir machen das am besten schriftlich aus. Bei meinem Anwalt.«

Ihre Augen schleuderten Dolche nach ihm. »Du ... du ... Breitwandarsch ... du ...«

Baltasar hob die Hand. »Fünfzehn Prozent. Außerdem ist dein Wortschatz langweilig, nebbich. Was hieltest du von: ›Ich werde dich mit dem Gesicht unter den After eines durchfallkranken, mit Knoblauch gefütterten Kamels binden lassen‹? Oder ›Ich wüßte einen Arzt, der dich von diesem Furunkel befreien kann, das du als Gesicht ausgibst‹? Oder ›War der Schrank sehr teuer, gegen den du gelaufen bist‹?«

Dies trug sich an einem Dienstag zu. Da Matzbach noch seinen Kummerkasten ›Fragen Sie Frau Griseldis‹ für die nächsten Wochen fertigmachen mußte, verabredeten sie sich für Freitag: bei Matzbachs Anwalt.

Als Ines Finkel gegangen war, begann Matzbach zu telefonieren. Zuerst rief er einen alten Freund in einer Bonner Lokalredaktion an. Nach mehreren Piepsern nahm jemand ab.

»Ja, was denn?«