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Tatjana Kruse
Ein Männlein hängt im Walde

Tatjana Kruse, Jahrgangsgewächs aus süddeutscher Hanglage, lebt und arbeitet in Schwäbisch Hall und Hamburg, aber vor allen in den Zügen von DB, ÖBB und SBB. Mehr über die Autorin unter www.tatjanakruse.de oder auf ihren Facebook- bzw. Twitteraccounts.

Tatjana Kruse

Ein

Männlein

hängt im

Walde

Kurzkrimis

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Originalausgabe
© 2015 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de

Für Ari.

Stimmen berühmter Krimikollegen über
Tatjana Kruse und ihr Oeuvre

»Tatjana Kruse ist der Champagner unter den Krimi-Stars!«

Bernhard Aichner

»Ob sie süffisant lächelnd einen (literarischen) Mord begeht oder mit einer ihrer fulminanten Lesungen des Publikum bannt, ob sie den Barkeeper mit sanfter Bestimmtheit an die perfekte Zubereitung eines Gin Tonics erinnert – Tatjana Kruse bleibt in jeder Situation immer eines: durch und durch eine Lady.«

Sunil Mann

»Kruse? Kruse? Ach so, Tatjana! Oh, ich stehe tief in ihrer Schuld. Sie hat den Gin Tonic in mein Leben gebracht. Prost!«

Peter Godazgar

»mit der kruse hab ich mal ne kola getrunken. in salzburg. wir haben ein leben, sach ich immer.«

zoe beck

»Keine schreibt so witzig wie Tatjana Kruse.«

Jürgen Kehrer

»Meine Ghostwriterin. Hin und wieder führt sie auch Onis Gassi.«

Kommissar i. R. Siegfried Seifferheld

»Tatjana who?«

Dan Brown

Inhaltsangabe

Ein Badboy, fangfrisch, zum Mitnehmen

How to kill Britisch – in 8 easy steps

Merseburger Mörderbuben-Mär

Frauen, die auf Whisky starren

Coup de Grâce im Schlosshotel

Die kleinen Freuden der Kannibalen, die vegan leben

Sven-Olaf krallt sich die Mädels von Nadeshiko Japan

Der Mimosenstreichler

Ocean's 3 1/2 in Mondorf-les-Bains

Das große Schönrieder Suppenwettkochen

Fredo Frautschi gegen die Flaute

Spieglein, Spieglein …

Das fröhliche Meisburger Massenschlachten

Kerpener Katastropheneinsatz zu Kwasimodogeniti

Fünf-Uhr-Tee um vier

Ahlen muss sauber bleiben!

8 Uhr 03 ab Schwäbisch Hall-Hessental

Sinnen, Schauen, Sterben – tot!

Japan auf Juist

Sardine Kebratten, heute leider aus

Die Sissi, die Eugénie und die Frau Josefa … und warums dem Franzl seine letzte Ruhe nicht gegönnt haben

Blechbläserblues

Sexhölle Hellwegbahn

Ein Männlein hängt im Walde

Für alle, die sich immer schon gefragt haben, was
Krimiautorinnen nach ihren Lesungen im Hotel so treiben …

Ein Badboy, fangfrisch,
zum Mitnehmen

Einen Gin Tonic, bitte.«

Wie locker mir das von den Lippen ging. Dem Barkeeper im Vorübergehen zugerufen, während ich mir den Mantel von den Schultern gleiten ließ und mich nach einem freien Platz an der Hotelbar umsah.

Es war noch gar nicht so lange her, da hätte ich minutenlang – ach was, Ewigkeiten! – in der Tür gestanden und mir überlegt, wo ich mich am besten hinsetzen konnte, um nicht a) bemitleidenswert einsam oder b) wie eine Nutte auf Freierschau zu wirken. Zumal in einer so piekfeinen Bar.

Die John-Cranko-Lounge im Althoff Hotel am Schlossgarten, einem Fünf-Sterne-Hotel in Stuttgart. Eleganter konnte man den Abend nicht ausklingen lassen.

Dort hinten links in der Ecke, hinter dem schwarzen Flügel, an dem gerade ein Afro-Amerikaner im roten Smoking The Boy from Ipanema spielte, umgeben von zwölf ihn anhimmelnden jungen Menschen, war das nicht Harald Schmidt? Und der Typ im Pyjama gleich links neben dem Eingang, das war doch Julian Schnabel? Früher hätte ich mich fehl am Platz gefühlt, hätte auf der Stelle eine Kehrtwende eingelegt, wäre auf mein Zimmer geeilt und hätte mich – nur durch das Minibar-Angebot alkoholisiert – durch das Spätprogramm gezappt. Aber mittlerweile schreckten mich weder das elegante Ambiente noch Promi-Nasen. Alles eine Frage der Routine.

Ich entschied mich für ein Lederfauteuil in der schwer einsehbaren Ecke hinten rechts, ließ mich auf das schwarze Echtleder nieder und wartete auf meinen Drink.

Wie sehr hatte ich mir gewünscht, als Schriftstellerin einmal so gefragt zu sein, dass kein großes Literaturfestival ohne meinen Auftritt auskam. Ich war mir sicher, das würde mir den absoluten Kick geben. Und ja, es törnte mich jedes Mal wieder an, vor Hunderten von Menschen aufzutreten, im Licht der Scheinwerfer zu stehen, im Applaus förmlich zu baden.

Und dann kam man ins Hotel.

Vom Licht ins Dunkel. Das sagte einem vorher keiner. Wie tief der Sturz nach einem furiosen Auftritt war. Von den jubelnden Massen zum leeren Hotelzimmer. Eben noch handlahm vom Schreiben unzähliger Autogramme und blind von den Blitzlichtern ebenso unzähliger Handykameras und dann … nichts. Von hundert auf null in zehn Minuten Taxifahrt.

Dann saß man da. Allein. Zu spät, um zu Hause anzurufen. Die fremde Stadt, ein unbekannter Moloch, in dem man ohne Begleitung zu später Stunde nicht allein durch den Park joggen konnte, um wieder runterzukommen. Es gab Kollegen, die arbeiteten ihre Mails ab oder schrieben am nächsten Buch, ein dreifach Hoch auf den Erfinder des Laptops. Aber ich konnte das nicht.

Also setzte ich mich an die Bars der Hotels, in denen mich die Veranstalter unterbrachten.

Nach der Lesung brachte ich die Bücher, aus denen ich gelesen hatte, auf mein Zimmer, zog mich extra für den Anlass um, meist in mein anthrazitgraues Alcantara-Kleid, ging anfangs schüchtern, später zunehmend selbstsicher in die Bar und bestellte einen Gin and Tonic.

An meinem Schlummertrunk nuckelte ich für gewöhnlich eine gute halbe Stunde, manchmal länger, und weil ich eigentlich gar keinen Alkohol vertrage, war ich anschließend bettreif. Ziel erreicht.

So war es auch an diesem Abend geplant.

»Bitte, gnädige Frau«, sagte der sehr schicke, südländisch wirkende Chefbarkeeper. Zum Drink gab es ein gemischtes Nüsse-Sortiment. Das ich nicht anrühren würde. Mein Alcantara-Kleid saß jetzt schon einen Tick zu eng.

Ich sah mich um.

Es ging auf Mitternacht.

Pyjama Schnabel hatte sich schon zurückgezogen, Schmidt und seine Entourage bereiteten sich gerade zum Aufbruch vor.

Blieben nur noch drei Männer in dunklen Anzügen. Es waren immer Männer in dunklen Anzügen. Man könnte an eine Weltverschwörung glauben, oder an die völlige Durchsetzung von Luxushotels durch die CIA oder Matrix-Bösewichte. Aber meiner Erfahrung nach waren es irgendwelche Wirtschaftsbosse, die den Abend fern der Familie als Freifahrschein für sündige Genüsse betrachteten, den Zehnerpack Kondome schon optimistisch in der Jackettinnentasche. Um diese brünftigen Romeos abzuschrecken, tat ich dann einfach so, als tippte ich der Liebe meines Lebens sehnsuchtsvolle Blutschwüre ins Smartphone. Was ich natürlich nicht tat. Meistens spielte ich Memory oder Solitaire.

Aber an diesem Abend …

Der schwarze Pianist musste ein Klon von Aschenputtel sein, denn mit dem letzten Schlag um Mitternacht löste er sich gewissermaßen in Luft auf. Statt seiner ertönten leise Jazzklänge vom Band. Zwei der drei Anzugträger zogen sich ebenfalls zurück. Der dritte blieb.

So fing es oft an.

In meinem unkaputtbaren Alcantara-Fummel – ein Stoff, den schon meine Großmutter wegen seiner kofferfreundlichen Eigenschaften bevorzugt hatte – sah ich nun wirklich nicht aufreizend aus, aber der Letzte in der Bar kam recht zuverlässig und fast unweigerlich an meinen Tisch.

War das die Verzweiflung eines Schwaben, der das Geld für die Kondome nicht umsonst ausgegeben haben wollte? War es die Alkoholisierung, die den Männeraugen eine Laszivität vorgaukelte, die gar nicht vorhanden war?

Jedenfalls trat er an meinen Tisch.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Jung, sehr jung, eigentlich zu jung. Nur der Dreitagebart ließ ihn älter wirken. Schlank und durchtrainiert. Ein Kerl, der eigentlich in Outdoorklamotten in Richtung Südpol oder Äquator unterwegs sein sollte, stattdessen aber im Dreiteiler irgendwelchen Businessverpflichtungen nachkommen musste. Vielleicht war er ja aber tatsächlich ein Forscher, Eroberer, Entdecker? Hatte auf Heimaturlaub mit einem Stuttgarter Verlag den Deal für seine Autobiografie ausgehandelt? Allein unter Kannibalen oder Am Pol dem Tod ins Auge geblickt.

An Selbstbewusstsein mangelte es ihm jedenfalls nicht. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, saß er schon neben mir, den Oberkörper leicht zu mir gebeugt. »Hm, Sie duften genauso gut, wie ich es mir von dort drüben gedacht hatte«, flüsterte er.

Unwillkürlich musste ich lächeln.

Was soll ich sagen?

Mich reizte seine schöne Gestalt …

Ich wollte herausfinden, ob er wirklich ein spannender Junge war, der Frauen eroberte wie den Amazonasdschungel oder die Kalahariwüste. Oder ob er doch nur ein langweiliger Nachwuchsbanker war, der an Hotelbars Frauen aufriss, weil das zur Initiation ins mittlere Management dazugehörte.

»Wie wäre es mit einem Glas Champagner zur Nacht?« Er hob eine Augenbraue und lächelte dezent zweideutig. Das war der internationale Code für »Wollen Sie, nach einer angemessenen Frist von dreißig Minuten, mit mir schlafen?«

Die ersten Male – bei der Lit.Cologne und beim Münchner Krimifestival – hatte ich noch zum Champagner Ja, später zum Mann aber Nein gesagt. Böser Fehler. Der eine war nur stinksauer abgezogen, der andere hatte regelrecht angefangen, lautstark zu lamentieren. Solle noch einer die Weiber verstehen, alles falsche Schlangen und Cellulitezicken. Oder ähnlich unflätig. Dabei lag es nur am fehlenden Tiefgang der Männer, wenn Frauen unergründlich schienen, wie schon die Hepburn sagte, Katharine, nicht Audrey.

Aber vielleicht war dieser schnuffige Dreitagebartträger zu jung, um internationale Codes zu sprechen? Vielleicht fühlte er sich ebenso wie ich einfach nur allein in dieser Nacht und wollte mit einer Unbekannten ein Glas Schampus trinken?

Sein linker Zeigefinger fuhr – beiläufig, wie unabsichtlich – zart über meine Hand.

Wenn ich jetzt »Ja« sagte, ging ich einen Deal ein.

Ich zögerte kurz.

Es war unklug. Dieser Nacht war keine Zukunft beschieden. Es war eine Nacht, nach der man sich im Licht des Morgens fragte, welcher Teufel einen geritten hatte.

Aber, zugegeben, seine Stimme ging mir durch und durch. Mochten andere Frauen sagen, die Augen oder die Hände eines Mannes gäben für sie den Ausschlag, bei mir war es die Stimme. Seine klang recht reif für einen so jungen Mann.

Ich hätte nicht sollen, aber ich nickte.

Und lächelte.

»Zwei Glas Champagner«, rief er mit seiner sexy Stimme dem Barkeeper zu. »Ach was, bringen Sie uns eine Flasche. Vom Besten.«

Vom Besten?

Holla! Da wollte einer aber den starken Max spielen, oder? Konnte er sich das leisten? Ich betrachtete seinen Anzug. Definitiv maßgeschneidert. Dann die Schuhe. Oha. Die hatte ich neulich in der Vogue gesehen. Manhattan Richelieu aus gewachstem Krokodilleder von Louis Vuitton, erkenntlich am Logo im Absatz – für eine fünfstellige Dollarsumme zu haben. Ich hatte noch gedacht, wer kauft sich so was, wenn er für das gleiche Geld den halben indischen Subkontinent eine Woche lang ernähren könnte? Jetzt hatte ich meine Antwort.

Der Blick seiner samtbraunen Augen versenkte sich in mich.

Ich legte den Kopf schräg.

»Tamara«, sagte ich und streckte ihm die Hand entgegen.

»Patrick.« In der englischen Betonung.

Seine Hand war warm und trocken, der Druck genau richtig. Nicht fischig, aber auch nicht so fest, dass er mir die Handknochen zermalmte, nur um mir zu beweisen, was für ein Kerl er war.

Der Barkeeper brachte uns einen Krug Grande Cuvée Brut, der bestimmt an die 200 Euro kostete.

Was würde mein Bartträger als Lohn für diese exorbitante Ausgabe erwarten? Fetischsex? Ein wenig SM für Anfänger? Irgendwas Ausgefallenes musste es sein, sonst hätte er sich, trotz Spendierhosen, für den halb so teuren Roederer oder den Ruinart entschieden.

Der himmlische Sphärenklang des ploppenden Korkens ließ mich die Zukunft vergessen, es zählte nur das Hier und Jetzt.

Der Barkeeper, der das oder Ähnliches schon eine Million Mal in seinem Berufsleben gesehen haben musste, lächelte dennoch weder anzüglich noch höhnisch. Wir befanden uns eben in einem Luxusetablissement.

»Ihre Augen sind so blau wie der Himmel über Patagonien«, sagte Patrick, nachdem wir angestoßen und den ersten, herrlich prickelnden Schluck genommen hatten.

Patagonien!

Ich lachte auf. Weil ich recht behalten hatte, er war ein Abenteurer! Womöglich war es in dieser Sekunde um mich geschehen.

Als er seine Hand auf meine legte, entzog ich sie ihm nicht.

Während des zweiten Glases gab es den ersten Kuss. Ein angenehmer Kuss, wenn auch für meinen Geschmack einen Tick zu fordernd. Gleich mit Zunge. Das schmeckte mehr nach feindlicher Invasion als nach einfühlsamer Erkundung der Eingeborenensitten. Doch kein sensibler Forschungsreisender, sondern ein martialischer Konquistador wie Pizarro?

»Was machst du so, wenn du nicht in Bars fremde Frauen mit Champagner beglückst?«, fragte ich ihn.

»Ach, dies und das. Aber fremde Frauen zu beglücken ist definitiv meine Lieblingsbeschäftigung.«

Ausweichen. Keinen Beruf, keinen Nachnamen nennen. Keine Visitenkarten austauschen. Keine googlebaren Details zur Person angeben. Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Ich kannte doch meine Pappenheimer. Das machten verheiratete Männer. Oder Männer, die etwas zu verbergen hatten.

Womöglich war er zwar noch Single, arbeitete aber als Buchhalter oder Anwalt für das organisierte Verbrechen. Aber höchstwahrscheinlich war er einfach nur verheiratet und wollte nicht, dass ich – ähnlich wie Glenn Close bei Michael Douglas in Eine verhängnisvolle Affäre – in der Familienküche den Schoßhasen der Tochter zum angekokelten Sonntagsbraten umfunktionierte.

Patricks Hand arbeitete sich zu meinem Knie vor.

Und ich?

Ich ließ ihn gewähren.

Weil er gar so gut duftete. Was mochte das sein? Armani Code? Boss Orange? Aqua di Parma? Grey Flannel? Er roch maskulin und sinnlich und intensiv und allein seine Stimme zu hören und seinen Duft einzuatmen, reichte mir schon als Vorspiel.

»Sollen wir auf mein Zimmer gehen?«, fragte er nach dem nächsten Kuss.

Ich nickte nur. Ein wenig atemlos.

Den restlichen Champagner verteilten wir auf unsere Gläser.

Im rundum verspiegelten Aufzug sahen wir uns nur tief in die Augen, küssten uns nicht, denn die Aufzüge in Luxushotels waren alle kameraüberwacht, und wir wollten beide nicht dem pornösen Entertainment des Nachtportiers dienen.

Im Flur des siebten Stocks war das schon anders. Ein weiterer, leidenschaftlich drängender Kuss mit Zunge. Dieses Mal störte mich das nicht.

Sein Zimmer war kein Zimmer, sondern eine Executive Suite, in Beige gehalten, mit Aussichtsblick auf die Fontäne vor der Alten Oper und den Park. Die Beleuchtung im Raum war angenehm Teint schmeichelnd.

Patrick hielt sich nicht lange mit Vorreden auf.

Die Zimmertür war noch nicht ganz geschlossen, da stand er quasi schon nackt vor mir.

Das war der heikelste Moment. Der Augenblick, in dem das Zünglein des Schicksals die Waagschale in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen konnte.

War er unter der teuren Hülle ein ungepflegter Klotz? Versteckte sich hinter dem charmanten Verhalten ein perverses Schwein?

Ich muss zugeben, einen solchen Adrenalinrausch hätte ich nicht erwartet. Ähnlich wie auf der Bühne, nur unmittelbarer. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Mein Atem wurde flacher. Angst, gemischt mit Erregung. Sollte es jemals einer schaffen, dieses Gefühl in Flaschen abzufüllen, der könnte sich eine goldene Nase damit verdienen. Es war süchtig machend.

Parick war oben und in der Mitte buschig, aber sonst fast kindlich unbehaart. Er sah so süß aus, so unschuldig, dass sich all meine Befürchtungen zerstreuten. Für mich war er wie eine Trüffelpraline, die man sich am liebsten am Stück in den Mund schieben würde. Von wegen Dramaturgie des Genusses – rein damit und gut.

Ich warf meine Handtasche neben das Bett und schälte mich aus meinem Alcantara-Großmutterkleid. Gott sei Dank hatte ich die gute Unterwäsche an, die mit dem Goldrand. Und halterlose Strümpfe. Keine Ahnung, warum Männer vor Begeisterung immer ausflippen, wenn zwischen Strumpf und Höschen noch ein Stück Fleisch zu sehen ist.

Bei Patrick war es nicht anders. Er ging in die Knie. »Nein, bleib so«, bat er, als ich meinen BH ausziehen wollte.

Mit fast religiöser Andacht rollte er mir erst den rechten, dann den linken Seidenstrumpf vom Bein. Anschließend küsste er jeden einzelnen meiner zehn Zehen ausgiebig und hingebungsvoll.

Also ein Fußfetischist.

Auch gut.

Vorausgesetzt, es kam noch mehr als nur Füße küssen.

Irgendwann entzog ich mich ihm und stakste mit nassgeküssten Zehen in Richtung Bett.

Er hinterher – im Zustand höchster Erregung.

Auf dem Bett küsste und leckte und streichelte er mich langsam von den Füßen nach oben, in Richtung jener Körperteile, die traditionellerweise zu verzücktem Aufstöhnen führen sollten.

Verdammt, ich hätte mir schon vor Tagen die Beine epilieren sollen. Aber es schien ihn nicht zu stören. Oder er war zu sehr Gentleman, um sein Befremden zu äußern. Wiewohl … wer so wie er an östrogenhaltiges Frischfleisch kam, nämlich durch Aufreißen in Hotelbars, der zeichnete sich im Allgemeinen nicht durch besondere Charaktergröße aus. Was hatte ich nicht alles schon erlebt: Nörgler, Besserwisser, Eiskunstlaufjuroren, die Abzüge in der B-Note verteilten, weil der Lack am kleinen Zeh splitterte oder das Mascara schlierte.

Mir wurde zunehmend heißer. Ich stöhnte. Patrick stöhnte auch, laut und animalisch und dann … rutschte er, kurz über den Knien angekommen, tatsächlich wieder tiefer, an den Knöcheln vorbei zu den Fersen, in die er sich regelrecht verbiss.

Ich hätte gern »Hallo, ich bin hier oben«, gerufen, empfand das aber tendenziell als Lust tötend. Was mich gleich darauf wieder ärgerte. Hier ging es ja nicht nur um seine Lust und sein Vergnügen. Wieso fühlte ich mich als Frau dafür verantwortlich, dass es ihm gut ging? Wo blieb ich?

Statt vieler Worte drehte ich mich einfach abrupt um und presste meine Lippen auf seinen Mund, um jeglichem Protest gleich mal die Luft zu nehmen. Dann fing ich an, mich nun meinerseits küssend, leckend und streichelnd an ihm nach unten zu bewegen.

Patrick wollte sich in meine Haare verkrallen, bekam aber meine Ohren zufassen und so konnte ich nicht sagen, ob er meine Eigeninitiative lustvoll stöhnend oder mit Protestlauten quittierte. Ich machte einfach weiter, näherte mich konsequent jener Stelle der männlichen Anatomie, die – wie es immer hieß – die erogenste seiner Zonen war und sich mir heiß und pochend entgegenreckte.

Soweit war ich noch nie gekommen.

Normalerweise packte mich das Grausen schon viel früher. Schon, wenn die Kerle nackt vor mir standen.

So ist es mit Pralinen ja auch. In der Packung lachen sie einen an, und man kann sie sich gar nicht schnell genug in den Mund schieben, aber schon im Moment, in dem die Praline die Zunge berührt, weiß man: Das ist ein Fehler. Es macht dick und gibt Flecken.

So war es mit Sex auch.

Zwischen Bauchnabel und Penisspitze hatte ich für heute genug.

Den aufsteigenden Würgereiz unterdrückend, beugte ich mich seitlich über die Bettkante zu meiner Handtasche. Die Spritze war schon aufgezogen. Ich kam grundsätzlich vorbereitet. Und selbst stärkste Muskelpakte hatten im Rausch der Pheromone verlangsamte Reaktionszeiten. Bis die Kerle merkten, dass ich ihnen die Spritze angesetzt hatte, pulsierte deren Inhalt schon längst durch ihren Blutkreislauf. Es wirkte unmittelbar.

Mein Galan zuckte noch ein wenig. Seine Schreie dämpfte ich mit einem der zahlreichen Kissen.

Gleich drauf hauchte er seine Seele aus und war nurmehr eine leere Fleischhülle, aus der noch ein Stück Wurst herausragte. Das würde sich erst nach der Totenstarre geben.

Ich schoss ein Handyfoto von seinem bärtigen Gesicht und archivierte es in der Instagram-App meines Smartphones unter »Patrick, Stuttgart«. Er war mein 21. Das feierte ich, indem ich die Rest aus seinem und meinem Champagnerglas zusammenschüttete und auf einen Zug austrank.

Ich war Krankenschwester, bevor ich Schriftstellerin wurde.

Der Befund lautet ausnahmslos immer auf Herzinfarkt. Patrick war allerdings zu jung, da würde drei lang, drei breit Ursachenforschung betrieben. Seine Leiche würde ich verschwinden lassen müssen. Kein Thema, war bei »Henning, Hamburg«, damals im The George, auch schon so gewesen. Mitsamt Klamotten die Hintertreppe hinunter in die Tiefgarage und in den den Kofferraum und ab damit zur nächstbesten, abseits liegenden Flussschleife und möglichst kleinteilig gekettensägt als Fischfutter in die Fluten verteilt. Deswegen ließ ich mich auch nie von Dicken abschleppen, weil ich die im Zweifel nicht allein in den Kofferraum bekam.

Bislang ist stets alles gut gegangen.

Und ich verbitte mir die Unterstellung, ich sei eine Schwarze Witwe. Schwarze Witwen töten nach der Paarung. Ich habe mich noch nie gepaart – ich bin immer noch Jungfrau!

aus: »Die Liebe ist ein wildes Tier« (Hrsg. Anke Gebert & Petra Würth, Ars Vivendi 2013)

Ich oute mich hiermit als extrem anglophil. Tee mit Milch, Gurkensandwiches, Agatha Christie, andächtiges Verweilen vor dem Fernseher, wenn Rolf Seelmann-Eggebert royale Ereignisse kommentiert … das volle Programm!

How to Kill Britisch –
in 8 easy steps

1. Always introduce yourself properly. Immer korrekt vorstellen.

»Guten Abend, Beauchamp.«

Ich nickte Major Grimsdale zu, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Der sah erstaunt von seiner Lektüre auf.

Er hatte nicht mit mir gerechnet. Nicht hier, in seinem Arbeitszimmer-Schrägstrich-Schlafzimmer. Ein höchst bemerkenswerter Raum mit Blick auf den Belgrave Square. Dunkles Holz, viel Rot und Gold, Bücher, offener Kamin, Mahagonischreibtisch, Baldachinbett. Sehr geschmackvoll. Innerlich zollte ich seinen innenarchitektonischen Vorlieben meinen Respekt.

Was mich natürlich nicht davon abhielt, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen.

2. Do it with pride. Immer sein Bestes geben.

Er blutete nur ganz wenig aus dem gut positionierten Loch mitten zwischen seinen Augen. Letztere starrten mich blicklos an. Natürlich gebot es der Anstand, ihm die Lider zu schließen, was ich mit meinen schwarzen Lederhandschuhen auch tat. In meinem Beruf gibt es nicht mehr viele, die ihre Arbeit noch mit Stolz und Ehrgefühl erledigen. Auf dem Markt der Auftragsmorde tummeln sich allzu viele Osteuropäer, die die Preise drücken und ihren Lebensunterhalt dann über die Masse wieder reinkriegen müssen. Das wirkt sich natürlich auf die Qualität der Ausführung aus. Die nehmen sich keine fünf Tage, so wie ich, um die Zielperson gründlich kennenzulernen und einen für sie adäquaten Abgang zu wählen. Natürlich hätte ich Major Grimsdale bei seiner morgendlichen Joggingrunde vom Motorrad aus hinterrücks erschießen können. Aber ich bin Brite. Ich töte mit Stil! Schon in der siebzehnten Generation. Der erste Beauchamp hat 1327 Edward II. erdolcht. Also überraschte ich Major Grimsdale zu mitternächtlicher Stunde bei seinem Schlummer-Whisky, den ich ihn auch noch fast zur Gänze austrinken ließ. Ich bin sicher, wenn der Major hätte wählen können, er hätte sich für genau diesen Abgang entschieden.

3. Stiff upper lip, always. Haltung wahren!

Ich schraubte gerade den Schalldämpfer von meiner SIG Sauer Mosquito, als ich Schritte hörte, die sich zu nähern schienen. Das irritierte mich dann doch ein wenig. Wir befanden uns im vierten Stock des klassizistischen Gebäudes, ich konnte unmöglich aus dem Fenster springen. Und es gab nur eine Tür. Ich saß folglich in der Falle.

Nun, ein Brite verliert auch unter Druck nie die Contenance. Ich zwirbelte meinen Schnauzer, schulterte den Major und verschwand mit meiner kostbaren Fracht gerade noch rechtzeitig im Kleiderschrank. Es war zugegebenermaßen etwas eng, aber zumindest würde er mir keinen Sauerstoff wegatmen. Wobei der Schrank Lamellentüren hatte. Ersticken würde ich hier drin jedenfalls nicht.

4. No sex, please – we're British. Der Brite hat keinen Sex, der Brite hat Wärmflaschen.

Durch die schmalen Lamellenritzen des Kleiderschranks sah ich, wie die Tür aufgestoßen wurde. Ein eng verschlungenes Paar torkelte in den Raum. Jetzt war mir auch ersichtlich, wieso Shakespeare vom ›Tier mit den zwei Rücken‹ gesprochen hatte. Die beiden, eine rothaarige Frau im Blümchenkleid und ein blonder Mann im Anzug, ließen sich auf das Bett fallen. Sie stöhnten und gaben schmatzende Geräusche von sich. Selbstverständlich räumte ich den beiden ihre Privatsphäre ein und drehte mich zur Seite, von wo aus ich dem Major in die haarigen Ohrmuscheln schaute. Ich hatte – wir Briten sind ordnungsliebend! – einen Kleiderbügel in die karierte Hausjacke, die er zum Schlummertrunk trug, geschoben und den Major aufgehängt.

Ich konnte nur hoffen, dass er hier in seinem Schrank keine Mottenkugeln verwendete. Mottenkugeln ließen mich immer niesen. Wobei die beiden auf dem Bett das sicher gar nicht mitbekommen hätten – sie waren sehr intensiv bei der Sache. Ich lehnte mich zurück. Konnte ja nicht lange dauern. Leidenschaft hat's immer eilig.

5. Queueing, we love it! Niemals vordrängeln, es ist für jeden Platz.

Ich musste weggenickt sein. Als ich zuckend wieder zu mir kam, war es außerhalb des Schrankes ebenso totenstill wie im Schrank. Ich lugte durch die Lamellen. Auf dem Bett war ein undefinierbarer Deckenberg zu sehen, der sich rhythmisch hob und senkte. Es roch auch leicht zigarettig. Alles in allem deutliche Anzeichen dafür, dass die beiden ihr Liebesspiel beendet hatten und ich mich jetzt diskret zurückziehen konnte.

Lautlos öffnete ich die Schranktür, trat hinaus und schloss die Tür hinter mir. Den Major ließ ich im Schrank. Bis man ihn fand, wäre ich längst über alle Berge. Natürlich nur metaphorisch. Ich bewohnte ein sehr schickes Loft mit Themseblick, keine zehn Minuten mit dem Auto von hier. Als meine Hand den Schranktürknauf losließ und ich mich umdrehte, sah ich allerdings, dass das, was unter dem Deckenknäuel lag, wach war. Und mich anstarrte. Fassungslos anstarrte. Als wäre ich der Ehemann der Frau, die mich engagiert hatte, ihren Gatten umzubringen. Was ich nicht war. Ich war dessen Mörder.

Und gleich darauf war ich auch der Mörder des Blonden im Bett.

Die Tür zum Flur war nur angelehnt. Jetzt hörte ich Duschgeräusche aus dem Badezimmer. Ich konnte die Frau nicht auch noch umbringen, die zweite Rate meines Honorars stand noch aus. Sehen durfte sie mich natürlich auch nicht. Keiner hat mich je gesehen. Ich bin ein Geist.

Also stopfte ich den zweiten Toten in sein Anzugssakko, hängte ihn in den Schrank neben den Major, raffte die restlichen Klamotten des frisch Verblichenen zusammen und warf sie in den Schrank, breitete die Überdecke über den Blutfleck im Bett aus und kritzelte auf ein Blatt Papier, das ich vom Schreibtisch nahm: Sorry, war jetzt nicht so prickelnd. Bin gegangen. Dann legte ich den Zettel deutlich sichtbar auf die Überdecke. Das alles in Minutenschnelle. Präzisisonsarbeit, wie man es von einem Profi erwarten durfte.

Eigentlich war der Plan gewesen, dass ich noch genug Zeit hätte, mich am Badezimmer vorbei aus der Wohnung zu schleichen, aber ich wollte gerade gehen, als das Wasserrauschen aufhörte und man das Platschen nasser Füße auf dem Fliesenboden hörte.

Ich schlüpfte in den Schrank, der – das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – nicht groß genug für drei ausgewachsene Männer war. Meine Entschuldigungen murmelnd, schob ich die beiden auseinander und quetschte mich zwischen sie. Hoffentlich gab es keine Flecken in meine schwarze Flanellhose mit den Bügelfalten …

6. Brits are feeling uncomfortable when people talk about their emotions. Gefühle sind unbritisch.

Meine Auftraggeberin würde vermutlich erbost-erschütterterledigt sein, wenn sie den Zettel auf dem Bett fand, würde sich jedoch nichts anmerken lassen, sondern sich anziehen und nach Hause fahren. Sie stammte aus exzellentem Stall, mütterlicherseits entfernt mit dem Königshaus verwandt, und wohnte schon seit Längerem nicht mehr mit dem Major zusammen, sondern mit den Kindern in einer schmucken Villa in Lambeth. Allerdings hatte der Major durch irgendein Patent auf Tarnvorrichtungen ein Millionenvermögen. Darauf wollte seine Frau offenbar nicht verzichten. So kam ich ins Spiel. Unsere Abmachung hatte gelautet, dass sie sich für diesen Abend bis ein Uhr ein Alibi verschaffen würde. Das allerdings war soeben flöten gegangen.

Ich hatte ihr nicht mitgeteilt, wo und wie ich zuschlagen würde. Offenbar hielt sie die Stadtwohnung ihres Gatten ideal für ihre sexuellen Eskapaden, und vermutlich glaubte sie, der Major – ein begeisterter Opernfan – sei, wie jeden Donnerstagabend, im Royal Opera House, in der an diesem Abend die »Götterdämmerung« gegeben wurde, ein über fünf Stunden dauerndes Singspiel von Wagner, der sich bei uns Briten besonderer Beliebtheit erfreute. Anders als ich, der ich in seinem Club im Lederfauteuil neben ihm gesessen war, als er seine Karte einem Clubbruder überlassen hatte, vermutete sie ihn noch zwischen kreischenden Walküren.

Jetzt hörte ich, wie sie zum Bett schlappte. Hörte das Papier knistern. Gleich würde sie – durch und durch Britin – einen Hmpf-Laut von sich geben, sich ankleiden und gehen.

Dachte ich wirklich.

Aber nein. Sie schluchzte auf, fing an zu weinen und nahm den Hörer des altmodischen Telefons auf dem Nachttisch von der Gabel.

»Ich bin's«, gurgelte sie unter Tränen. »Er ist weg! Warum? WARUM?«

Ein Gefühlsausbruch. Das war enorm unbritisch von ihr. Wer, bitteschön, redete über die diversen Peinlichkeiten des Lebens mit anderen Menschen? Wir waren doch schließlich keine Franzosen!

»Ich kann jetzt nicht allein sein, bitte komm sofort!« Ihre Qual kannte kein Halten. Sie heulte wie ein Schlosshund.

Das durfte doch alles nicht wahr sein!

7. A good tan and a good drink! Nichts geht über Sonnenbräune und Alkohol – und von beidem reichlich!

Ich hatte mit ihrer besten Freundin gerechnet, eventuell ihrer Schwester. Oder im schlimmsten Fall ihrer Mutter. Aber es kam … ihr schwuler bester Freund.

»Ihr habt es hier miteinander getrieben?«, juchzte er, kaum dass er den Raum betreten hatte. Offenbar besaß er den Wohnungsschlüssel, denn sie hatte die ganze Zeit heulend auf dem Bett gesessen. »Erzähl mir alles!« Er setzte sich neben sie.

»Hier«, schluchzte sie und reichte ihm meinen Zettel. Jetzt kam mir die Formulierung doch etwas schnöde vor. Ich hätte es vielleicht einfühlsamer formulieren können.

»Huch, was für ein Ekel!«, konstatierte ihr Freund denn auch missbilligend. »Dem solltest du wirklich keine Träne nachweinen, Schätzchen, das ist er nicht wert.«

»Aber … ich … habe … ihn … doch … geliebt!«, heulte sie und vergrub ihr tränennasses Gesicht in seinem türkisfarbenen Hemd. Das heißt, sie wollte es dort vergraben, aber er zog rasch ein Kissen vor seine Brust. »Tränen sind salzig. Salzflecke krieg ich aus der Seide nie wieder raus«, murmelte er in ihren Rotschopf. »Ach, Hermione, alles wird gut, ganz bestimmt!«

Hermione?

Moment Mal, Major Grimsdales Gattin hieß doch Penelope! Ich zog vorsichtig mein Handy aus meinem Flanellsakko. Das Display leuchtete auf, aber weder die Heulsuse noch ihr schwuler Freund bekamen das mit. Sie hatte das Gesicht immer noch im Kissen vergraben, er seines in ihren Haaren.

Penelope Grimsdale. Da stand es. 25.000 Pfund im Voraus, noch mal 25.000 Pfund nach erfolgreichem Abschluss binnen einer Woche. Zielperson: Major Carlton Grimsdale, 45, wohnhaft 24, Battersea Park, 3. Stock. Google Maps bestätigte mir gleich darauf, dass ich nicht im falschen Haus war. Allerdings, das zeigte kurzes Surfen im Netz, im falschen Stockwerk. Hermione Wiggins, 32, war Innenarchitektin und lebte mit ihrem Mann, einem Banker, über Major Grimsdale.

Jetzt, wie ich so unbequem zwischen zwei Leichen stand, während draußen eine unschuldig der Liebe beraubte Frau sich die Seele aus dem Leib heulte, fiel mir wieder ein, dass Penelope Grimsdale, geborene Van Cleef, nur mütterlicherseits Britin war. Ihr Vater war Amerikaner, und sie war in den Staaten aufgewachsen. Die sprachen dort nicht nur vitamins und tomato anders aus, die zählten dort auch anders. Für die begann der erste Stock dort, wo für uns Briten das Erdgeschoss war. Ich war ein Stockwerk zu hoch geraten. Ich hatte nicht den Major erschossen, sondern seinen Nachbarn. Und den Liebhaber von dessen Frau.

Ich sah auf meine Patek Philippe. Als überzeugter Brite kaufte ich normalerweise nur Produkte von der Insel, aber in meinem Beruf braucht man einen zuverlässigen Chronometer. Es ging auf ein Uhr. Siegessicher, wie ich vor allen Aufträgen zu sein pflege, hatte ich per anonymisierter Mail – nur scheinbar vom Account des Majors – den Pizzalieferdienst einbestellt, damit der Bote derjenige war, der die Leiche fand. Das Alibi von Mrs. Major Grimsdale ging nur bis etwa ein Uhr. Ich musste mich also sputen.

8. British humour – the ability to laugh at oneself. Man nehme das Leben nicht zu ernst – man entkommt ihm ja ohnehin nicht lebend.

Nun denn. Die Londoner haben den Blitz überlebt, da würde ich ja wohl auch diese kleine Unannehmlichkeit überleben. Was man von Hermione und ihrem schwulen Freund leider nicht behaupten konnte.

Wuchtig trat ich die Schranktür auf und erschoss die beiden.

Das war nichts Persönliches. Aber ich hatte einen Auftrag angenommen, und nichts, wirklich nichts, konnte mich von der korrekten Ausführung desselben abhalten. Ich strich mein Jackett glatt, zwirbelte meinen Schnauzer, nickte den vier Toten ein letztes Mal höflich zu, und begab mich in die darunterliegende Wohnung.

aus: »How to kill Britisch – in 8 easy steps« aus »Mit Schirm, Charme und Pistole« (Hrsg. Hughes Schlüter & Eva Lirot, KBV 2014)

Meine Recherche zu dieser Geschichte fand in jenem legendären Kältewinter statt, als die Saale trotz Erderwärmung völlig zugefroren war. Der wunderbare Kollege und Herausgeber Peter Godazgar agierte als mein Vor-Ort-Führer durch Merseburg und verköstigte mich mit seinem in Insiderkreisen legendären Flammkuchen.

Merseburger
Mörderbuben-Mär

Des Schreckens erster Akt

Bên zi bêne, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelîmide sin.

(Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt wären.)

Merseburger Zauberheilspruch

Es war finstere Nacht.

Alles schlief. Also, die aufrechten Merseburger und Merseburgerinnen schliefen. Doch was war das? Dort … zwischen Schloss und Dom? Schlich da nicht jemand auf leisen Sohlen übers Pflaster? Einer der beiden Raben öffnete ein Auge, schloss es aber gleich wieder. Es würde ein Liebespaar sein. Es wäre nicht das erste Paar, das sich auf der Bank vor der Voliere vergnügte. Der Rabe schlief weiter.

Doch die hagere, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt mit den hellbraunen Locken unter der Strumpfmaske war nicht nur kein Liebespaar, das ist für eine Einzelperson auch nicht wirklich befriedigend nachzustellen, es war auch kein aufrechter Bürger der Stadt. Nicht einmal ein neumondsüchtiger Tourist, der sich die architektonisch-historischen Sehenswürdigkeiten Merseburgs nach Mitternacht ansehen wollte.

Es war Giselher Bauer, von seinen Freunden liebevoll auch der Broiler genannt, engagierter Aktivist einer militanten Tierschutzgruppe aus Leipzig. Seine Berufung, ja, seine Liebe, galt allem, was Federn trug. Natürlich lebte er vegan, aber das reichte ihm nicht. Sein Herz schlug für die geknechtete Kreatur. Wann immer er Käfighaltung begegnete, bei Legehennen wie bei Wellensittichen, zog er los und schenkte den Vögeln die Freiheit. Der Spruch auf seinem T-Shirt, den man in dieser finsteren Nacht natürlich nicht entziffern konnte, lautete Ich bin gut zu Vögeln. Was von angetrunkenen Blondinen, die ein kleines von einem großen V nicht unterscheiden konnten, gerne auch mal missverstanden wurde. Berufsrisiko. Damit konnte Giselher leben. Er war ja kein Kostverächter. Aber in dieser finsteren Nacht würde ihm keine Blondine begegnen. Er konnte in aller Ruhe seine Mission erfüllen. Und seine Mission lautete: die Merseburger Raben befreien! Seit der Legende zufolge ein Bischof seinen langjährigen Diener hinrichten ließ, weil er glaubte, dieser habe seinen Ring gestohlen, was sich im Nachhinein als Tat eines Raben herausstellte, der wie alle Vertreter seiner Art nichts widerstehen konnte, was blinkte, wurden in Merseburg Raben in einem Vogelbauer gehalten zur Mahnung, kein Urteil im Jähzorn zu fällen.

Giselher Broiler Bauer pellte sich ein Ei auf die Legende. Verstohlen sah er sich um, dann zog er den Bolzenschneider unter seinem T-Shirt hervor …

Ja, diese Nacht war finster. Alles war schwarz. Bis auf den Merseburger Schatz, der in der Südklausur des Merseburger Doms präsentiert wurde. Dort glänzten in der Schatzkammer liturgische Kostbarkeiten wie beispielsweise Abendmahlskelche, aber auch die mumifizierte Hand des 1080 gefallenen Königs Rudolf von Schwaben. Also, die Hand glänzte nicht wirklich. Sie glühte nur grün im Licht der Notausgangslampe. Und sah gruselig aus.

Fand Pjotr Gerassimow und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Echtgold. Den Sammler, der ihm diese Schätze abkaufen würde, hatte er schon sicher in der Tasche. Gerassimow lächelte breit und strich sich über seine schwarzen Locken. Von dem Geld wollte er sich endlich das Gesicht richten lassen, das nach seiner – im Ganzen unterdurchschnittlich zu nennenden – Karriere als Boxer leider unschön aussah. Ach was, von wegen unschön: gruselig! Mindestens so gruselig wie die mumifizierte Hand. Kinder liefen schreiend vor ihm davon, Hunde auch. Milch wurde sauer. Aber nicht mehr lange. Ein polnischer Schönheitschirurg stand quasi schon Skalpell bei Fuß. Gerassimows Grinsen fiel noch breiter aus. Er setzte den Glasschneider an. Es sollte ein Freihandschnitt werden. Muss ja nicht schön sein, nur ein Loch ergeben, was es gleich darauf auch gab. Geschafft!

Geschafft, dachte auch Rudi Kraft, ein kleiner, sehniger Ruhrpottler mit Menjou-Bärtchen im weißen Hemd mit Fliege, und öffnete den hinteren Wagenschlag seines babyblauen Opel Zafira Tourer. Dort lag mittig gefaltet und noch in der Totenstarre die Leiche eines Spitzels aus der Duisburger Unterwelt, der einmal zu oft gesungen hatte. Rudi, Vollprofi, der er war, hatte dem Mann alle Zähne ausgeschlagen und die Fingerkuppen weggebrannt, zwecks Verunmöglichmachung einer Identifikation. Dann hatte er sich gedacht, warum entsorge ich den Typ nicht irgendwo, wo’s schön ist, zum Beispiel in Merseburg, das ist ein wunderschöner Road Trip nach Sachsen-Anhalt, und ich kann’s als Geschäftsreise von der Steuer absetzen. Letzteres tat er natürlich nicht, das war nur ein Insiderwitz, über den er immer gern zu kichern pflegte. Rudi beugte sich vor, um die Leiche aus dem Wagen zu ziehen. Vorsichtig, damit ihm sein Toupet nicht vom Kopf rutschte. Das Haarteil war niegelnagelneu. Aber das mit dem Kleber funktionierte noch nicht ganz einwandfrei.

Mitternacht.

In diesem Moment – in diesem schicksalsträchtigen Moment, als Giselher Broiler Bauer den Bolzenschneider an die Rabenkäfigtür ansetzte, als Pjotr Gerassimov den Glasschneider an den zweiten Schaukasten ansetzte, und als Rudi Kraft die Leiche aufsetzte, in diesem Moment hörten sie es alle drei: das Heulen. Das grausige, übernatürliche, durch und durch gehende Heulen einer Kreatur, die nicht menschlich zu nennen war. Und gleich darauf hörte man auch schon das Rasseln einer Kette …

Des Schreckens zweiter Akt

Insprinc haftbandun, infar wîgandun.

(Entspringe den Fesseln, entkomme den Feinden)

Merseburger Zauberfluchtspruch