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Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Ruhe sanft in Sachsen-Anhalt (Hg.)
Der tut nix, der will nur morden
Killing you softly (Hg.)

Peter Godazgar, geb. 1967, studierte Germanistik und Geschichte und besuchte u. a. die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Er arbeitet in der Pressestelle der Stadt Halle (Saale). Seine teils mörderischen Phantasien verarbeitet er in Kriminal- und anderen Romanen, vor allem aber in einer stetig wachsenden Zahl schwarzhumoriger Kurzkrimis, was ihm bereits zwei Mal eine Nominierung für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis eingebracht hat.

Bei KBV hat er die Anthologie Ruhe sanft in Sachsen-Anhalt und Killing you softly herausgegeben, und mit Der tut nix, der will nur morden veröffentlichte er seine schwarzhumorigen Kurzkrimis, mit denen er zwerchfellerschütternde Leseabende im gesamten deutschsprachigen Raum bestreitet. www.godazgar.de

Peter Godazgar

Killer am Rande des Nervenzusammenbruchs

Storys

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Originalausgabe

© 2020 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: info@kbv-verlag.de

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp unter Verwendung

von © Patryk Kosmider; © Tiler84; © Javier brosch;

© Sonja Calovini - alle stock.adobe.com

Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

Print-ISBN 978-3-95441-514-4

E-Book-ISBN 978-3-95441-526-7

Für Georg

Inhalt

OHNE TOTE

Fachgespräch unter Krimifans

Kirre Royal

Zu schlau für diese Welt

Mist gebaut

Die Kofferträger von Amöneburg

Einbrecher unter sich

Willi will’s essen

Hallo! Mein Lieber! Reschpekt! oder: Die nie gesendete Wette

Payback

EIN TOTER

Der Fehltritt

Jim Knopf unter Verdacht

Hummels Endspiel

Sicherheit ist planbar

ZWEI, DREI UND NOCH MEHR TOTE

Der Erlediger

Die letzte Chance

Die Beschwerde

Tubbie-Schießen

OHNE TOTE

Fachgespräch unter Krimifans

Guten Tag! Was für eine Überraschung, Sie hier zu sehen!

Oh, ähm … Guten Tag. Wie geht’s?

Gut, gut. Ich hab gerade wieder einen tollen Krimi gelesen.

Ja? Erzählen Sie.

Ja, von diesem Schweden … Ähm …

Håkan Nesser?

Nee, der andere?

Mankell?

Nee, auch nicht.

… Meinen Sie den … den Dings, den mit dem Doppelnamen?

Doppelname?

Ja … na … mit dem Vogel.

Vogel?

Ja, … Spatz … nee … Habicht …

Sie meinen aber nicht den Isländer?

Isländer?

Der mit dem komplizierten Namen.

Nee

Dottir. Irgendwas mit Dottir. Wobei – dann wäre es ja eine Frau. Isländer haben immer ein Dottir am Namen dranhängen.

Nee … Ich hab’s: Adler!

Dottir bedeutet einfach die Tochter. So wie das angehängte »son« Sohn bedeutet. Eriksson. Kristjansson …

Nein! Adler!

Adlersson.

Nein Adler. Olsen-Adler.

Olsen-Adler?

Adler-Olsen!

Ach, der. Aber der ist doch kein Schwede.

Sondern?

Keine Ahnung … Norweger … Oder Däne.

Adler-Olsen. Der hat den Kommissar … den Kommissar … Dings erfunden, oder?

Ja, ich weiß, wen Sie meinen. Der heißt wie ein Holländer.

So?

Van Veeteren!

Ja, aber Van Veeteren ist nicht von Adler-Olsen.

Sondern?

Tja … gute Frage.

Was war das denn jetzt für ein Krimi, den Sie gelesen haben?

Ja … Mensch … Ich komm nicht drauf … Es ging um einen Serienmörder.

Ach! Na, das grenzt die Sache ja schon mal ganz enorm ein.

Er verschleppt Kinder.

Ach, das Buch! Ja, aber das ist doch von dem Deutschen?

So?

Ja, der berühmte.

Kramp!

Ja! … Nee.

Ich mag ja ohnehin mehr die Klassiker.

Ja, stimmt, auch gut.

Ich habe gerade ganz viel von diesem berühmten Franzosen gelesen.

Fred Vargas?

Nein, Fred Vargas ist außerdem eine Frau.

Fred Vargas ist ’ne Frau?

Ja.

Das ist ’ne Frau?!?

Ja.

Fred? Die Fred? Wieso heißt die Fred?

Ist ein Künstlername, glaube ich. Oder vielleicht eine Abkürzung. Ich wusste das mal … Ach, ich wusste mal so viel …

Wie klingt denn das? »Guten Tag, ich bin die Fred.« – »Hallo, ich bin der Monika.«

Aber die meine ich ja nicht. Ich meine diesen Klassiker.

… Klassiker.

Diesen berühmten. Der hat Hunderte Bücher geschrieben.

Poirot?

Nein! Poirot hat doch nicht selbst geschrieben. Poirot ist doch ein Detektiv.

Ach ja.

Simon! Nee … Simenon!

Ja, der ist auch gut. Hab ich auch mal gelesen. »Der Mann, der den Zügen nachrannte.« Tolles Buch.

Ja, und der hat auch diesen berühmten Kommissar erfunden.

Poirot. Sag ich doch.

Nein! Poirot ist von … Dings.

… Poirot. Hermann, oder?

Nein. Herbert.

Ach ja, stimmt.

Die Franzosen haben ja im Prinzip den Krimi erfunden.

So?

Klar … mit diesem Buch … na, wie heißt es? … Der Mörder auf den Champs Elysee.

Ich glaube, das war eine andere Straße.

Stimmt …

… Rue, irgendwas mit Rue.

Ja, kann sein, aber es war ein ganz verrückter Mordfall. Täter war am Ende ein Tier. Ein Eichhörnchen, wenn ich mich richtig erinnere.

Ein Eichhörnchen?

Ja. … Oder, halt! Ich hab’s wieder! Es war ein Affe. Ein Schimpanse! Nee, ein Gorilla! Nein, auch nicht … wie heißen die mit den langen Armen? Die orangefarbenen?

Orange-Utan. Quatsch, Orang-Utan.

Genau!

Aber das hat kein Franzose geschrieben, das war dieser berühmte Engländer.

Sherlock Holmes.

Nein, der hat Conan Doyle geschrieben.

Umgekehrt.

Was?

Conan Doyle hat Holmes geschrieben.

Wie kamen wir da überhaupt drauf?

Keine Ahnung.

Und Sie selbst?

Was ist mit mir?

Na, haben Sie auch wieder was Neues geschrieben?

Ich? Wieso?

Na, sind Sie nicht der … Dings … der Autor?

Nein.

Oh.

Moment, dann sind Sie auch gar nicht der …

Wer?

Der … Autor?

Nee.

Oh.

Oh.

Na, dann. Entschuldigung.

Ja, schönen Tag noch.

Kirre Royal

Gentleman.

Schon das Wort.

Wer benutzt das denn noch? Oder? Gentleman? Wann haben Sie dieses Wort zuletzt gehört?

Das ist aber mal ein echter Gentleman.

Nee, benutzt keiner mehr.

Und ich sag Ihnen auch, warum: weil es ihn nicht mehr gibt, den Gentleman.

Halt, einen gibt es noch. Mich. Ja, ich bin vermutlich der letzte Gentleman.

Einer muss den Job halt machen, sag ich immer scherzhaft.

Ja, so gesehen ist das eine echte Marktlücke. Nur: Man braucht halt auch ein bisschen Klasse. Und Klasse, sorry, die hat nun mal nicht jeder.

Aber ich bin eben noch einer von der alten Schule. Soll ich Ihnen was sagen? Ich beherrsche zwanzig Varianten, eine Krawatte zu binden. Ja, ich kann noch den halben Windsor vom doppelten Windsor unterscheiden, ich beherrsche den Cavendish und den Grantchester. Können Sie ja mal rumfragen im Bekanntenkreis. Grantchester. Da tippen die meisten vermutlich auf einen englischen Käse.

Und dann bitte noch 100 Gramm von dem Grantchester.

Oder nehmen Sie das Thema Getränke. Da macht mir keiner was vor. Jawohl, ich kann einen »Manhattan« von einem »Mai Tai« und einen »Cosmopolitan« von einem »Sex on the Beach« unterscheiden.

Ja, und ich weiß vor allem, was in einen Kir Royal gehört!

Kir Royal? Na, sehe ich da ein Nicken?

Champagner, genau! Nicht Sekt, sondern Champagner! Champagner mit Crème de Cassis. Schluss! Mehr nicht! Im Verhältnis neun zu eins. Und bitte nicht den billigsten Cassis nehmen. Ich sage nur: Merlet. Die machen ein paar ganz feine Tröpfchen.

Kennen Sie übrigens den Unterschied zum Kir? Nein? Muss Ihnen nicht peinlich sein. Kir besteht aus Weißwein, klassischerweise ein Bourgogne Aligoté von der Côte-d’Or. Und natürlich wieder Crème de Cassis. Tja, das wusste dieser Möchtegern-Experte auch nicht. Dieser Penner!

Kir Royal! Ich könnte kotzen! Ehrlich! Ich werde ganz … ganz kirre, wenn ich nur dran denke! Kirre Royal!

Die gleichnamige Serie mochte ich ja immer. Klatschreporter Schimmerlos, Sie erinnern sich? Auch ein Gentleman. Na ja, in gewisser Weise jedenfalls. Vor allem die erste Folge hab ich geliebt, die mit Mario Adorf als Heinrich Haffenloher. »Ich mach dich nieder, Schimmerlos. Wenn du mich hier jetzt stehen lässt, wie ’nen Deppen, dann mach ich dich nieder! Ich ruinier dich. Ich mach dich fertig. Ich kleb dich zu von oben bis unten.« Ach, herrlich!

Die DVD-Box, diese Jubiläums-Edition, die hab ich nach der Sache übrigens weggeschmissen.

Dabei fing es so gut an. Wo? Na, in diesem Hotel. Schweiz. Sehr, sehr schickes Haus, mit Stil, das hab ich gleich gesehen. Klar, sonst hätte ich mir den Laden ja nicht ausgesucht. Ich sag mal so: Fünf Sterne in der Schweiz sind was anderes als fünf Sterne in Deutschland.

In solchen Kästen werde ich immer fündig. Eine einsame Dame, besser noch zwei einsame Damen. Na? Klingelt da was? Einsame Damen? Und ein Gentleman?

Ja, ich gebe es am besten gleich zu. Wenn ich die Damen verlasse, sind sie etwas ärmer. Die Damen. Aber nur ein bisschen. Und man muss natürlich sagen: Sie haben etwas bekommen für ihr Geld.

Wie ich heiße? Och, sagen wir einfach mal: Schmidt. Das muss reichen.

Ich betrete also am ersten Abend das Hotel-Restaurant – und meine Laune ist gleich im Keller. Also ganz tief unten. Quasi nicht Keller, sondern Tiefgarage, drittes Untergeschoss. Denn wer sitzt da in der Ecke am Fenster? Herbert Höschen!

Herbert Höschen, den werden Sie jetzt nicht kennen. Seien Sie froh. Herbert Höschen ist der dümmste Aufschneider, der rumläuft. Ist mit der gleichen Masche unterwegs wie ich – nur ohne Stil. Dabei hält sich Herbert Höschen selbstredend auch für einen Gentleman, aber ich sag Ihnen was: Wenn Sie Herbert Höschen als Gentleman bezeichnen, dann können Sie ebenso gut einen Kuhfladen als Pizza bezeichnen!

Entschuldigen Sie, ich rege mich schon wieder auf. Aber ich hab auch allen Grund dazu. Ich meine, ich kenne Höschen jetzt seit vierzig Jahren.

Ich sage natürlich nicht Höschen zu ihm, mit »sch«, sondern »Hös-chen«, wie die Unterwäsche. Da wird er wahnsinnig.

Ich komme also in das Restaurant und sehe Höschen in der Ecke sitzen. Ich denke mir noch: Das ist ja wie in einer schlechten Gaunerkomödie: zwei Heiratsschwindler im selben Hotel. Und Höschen hat seine Angel schon ausgeworfen, klar, vermutlich ist er schon seit ein paar Tagen hier. Am Platz gegenüber von ihm sitzt eine äußerst attraktive Dame, vielleicht Mitte vierzig. Und ich denke, ich hör nicht richtig. Höschen spricht mit so einem affigen französischen Akzent. Ich sehe, dass Höschen mich aus den Augenwinkeln wahrnimmt, aber da ist er ganz Profi. Ein winziges Zucken mit der rechten Augenbraue, mehr nicht, dann wendet er sich wieder seinem Opfer zu.

Höschen bleibt sogar noch cool, als ich mich am Tisch direkt neben den beiden niederlasse.

Und dann höre ich ihn salbadern, mit diesem affigen Akzent. Ich weiß sofort, wo der Hase lang läuft. Höschen entblödet sich nicht, den reichen Weingutbesitzer zu spielen. Ich kann kaum glauben, dass die Frau ihm das abkauft.

»Wissen Sie, der Wein ist mein Läbään, es gibt fur misch nix Schöneres, als frühmorgens durch der Weinberge zu streifen und mit die Finger der Tau an die Blätter zu spüren …«

Blablabla, die Frau klebt an seinen Lippen.

Beim Hauptgang ist Höschen bei seiner angeblich kürzlich verstorbenen Frau angelangt – sie sei bei einem Urlaub in den Pyrenäen von »eine Abischt« attackiert worden und daraufhin unglücklich gestürzt.

Es dauerte eine Weile, bis ich kapierte. »Eine Abischt«, also wirklich!

Und dann ist er auch schon bei seinem Grund für den Besuch in der Schweiz. Jaja, Abstand gewinnen, über den Verlust hinwegkommen, es ist einfach ekelhaft.

Aber es funktioniert. Beim Dessert hat Höschens Gegenüber schon Tränen in den Augen. Diese Gutgläubigkeit der Menschen! Ist es denn zu fassen?

Höschen blinzelt zwischendurch immer zu mir rüber. Und ich weiß, was sein Blinzeln sagen soll: Tja, Alter, zu spät gekommen.

Na warte!, denke ich.

Ich ärgere mich, dass ich nicht unter einem exotischeren Namen reise, mit meinem dunklen Teint würde ich auch als spanischer Adliger durchgehen oder als brasilianischer Großgrundbesitzer. Aber ich bin nun mal hier als Ludwig Lenk von Wolfsberg. Altes österreichisches Adelsgeschlecht.

Dann sind die beiden fertig, und ich höre, wie Höschen säuselt, ob er die Dame noch auf einen Cocktail an der Bar einladen dürfe.

Einladen?, denke ich. Wovon denn, Höschen? Du bist doch notorisch pleite.

Sie verlassen das Restaurant, und Höschen zwinkert mir frech zu und wünscht einen schönen Abend. Der Mistkerl.

Ich schlinge mein Dessert hinunter, aber als ich in die Bar komme, sitzen die beiden schon auf Hockern an der Theke und starren in die Getränkekarte.

»Ouas ist denn in eine Gin Fizz drin?«, höre ich Höschen gerade.

Ja, ist es denn die Möglichkeit! Höschen trägt seine Dummheit wirklich wie eine Monstranz vor sich her! Das ist meine Gelegenheit. Ich lasse mich zwei Plätze weiter auf einem der Barhocker nieder und sage mit österreichischem Akzent: »Ein Gin Fizz ist ein Longdrink auf, wie der Name schon andeutet, Ginbasis, außerdem Zitronensaft, Zuckersirup und Soda. Natürlich ist die Qualität des Gins entscheidend. Ich bevorzuge Monkey 47.« Dann lächele ich der Dame charmant zu.

»Oh, merci«, säftelt Höschen und bedenkt mich mit einem säuerlichen Blick. Er wendet sich wieder der Dame zu. »Ouas meinen Sie?«

Sie schüttelt den Kopf. »Ich würde lieber einen Kir Royal nehmen. Mein Lieblingsgetränk.« Dann wendet sie sich mir zu. »Sie sind Österreicher?«

Ich nicke.

»Von Hodenhagen-Sülzfeld«, sagt die Dame.

»Angenehm.«

»Kira – das ist vielleicht einfacher.«

»Kira! Na, darauf einen Kir Royal!«

»Wollen Sie sich nicht zu uns gesellen?«, fragt Kira von Hodenhagen-Sülzfeld.

Ich sehe, wie Höschen mir einen giftigen Blick zuwirft, und sage: »Gerne.« Ich rücke einen Barhocker weiter und starre meinem Feind direkt ins Gesicht. »Und Sie sind …?«

Höschen räuspert sich: »Depardieu. Didier Depardieu.«

Ich schlage mir im Geiste vor die Stirn.

»Wie der Schauspieler«, kichert Kira. »Ist das nicht ein verrückter Zufall?«

»In der Tat«, sage ich. »Und was hat Sie in die Schweiz verschlagen Herr – Depardieu?«

»Ou, ouissen Sie …« Und er erzählt erneut sein Märchen vom Weinbauern und der von »die Abischt« in den Tod gestoßenen Gattin. Dann revanchiert er sich: »Und ouas machen Sie in die Schweiz? In Österreisch gibt es doch auch schöne Berge.«

Selbstverständlich bin ich vorbereitet. »Natürlich«, sage ich und schaue nur in die Augen der Kira von Hodenhagen-Sülzfeld. »Aber die Schweiz hat einfach mehr Stil.« Ich mache eine Kunstpause. »Und außerdem trifft man hier die schöneren Frauen.«

Kira lächelt, an Didier Depardieus Hals bilden sich rote Flecken. »Isch müsste kurz einmal der WC aufsuchen«, sagt er und gibt mir unmissverständliche Signale, ihm zu folgen.

»Da schließe ich mich an«, sage ich. Gemeinsam verlassen wir die Bar.

Kaum sind wir außer Sichtweite der Dame, packt Höschen mich am Kragen. »Was machst du hier?«

Ich schlage seine Hand weg. »Was ich hier mache? Die gleiche Frage könnte ich dir stellen. Hös-chen!«

»Vermassel mir bloß nicht die Tour. Die Ho-Sü gehört mir«, zischt er.

»Ho-Sü? Das ist aber süß: Die Ho-Sü und das Höschen.«

»Ich warne dich«, knurrt Höschen.

»Hat die Hooo-Süüü denn schon angebissen? Besonders groß scheint mir ihr Interesse an dir nicht zu sein. Und diese Geschichte mit dem Habicht, der die Gattin in den Tod stößt, ist ja nun wirklich zu dämlich.«

Höschen rückt noch ein Stück näher an mich heran. »Lass die Finger von der Hodenhagen-Sülzfeld! Und nenn mich nicht Hös-chen!«

Ich bleibe cool. »Aber, aber, Hös-chen, ich muss doch sehr bitten. Lass uns die Sache sportlich regeln.«

Wir stehen uns ein paar Sekunden stumm gegenüber, dann dreht sich Höschen auf dem Absatz um und rauscht zurück zur Bar.

Den Rest des Abends belauern wir uns gegenseitig, während Kira von Hodenhagen-Sülzfeld einen Kir Royal nach dem anderen kippt und munter aus ihrem Leben plaudert. Sie sei Schriftstellerin, erzählt sie, wenngleich nicht eben eine Bestsellerautorin. Außerdem plage sie eine Schreibkrise, und nachdem sie kürzlich auch noch ihren Gatten in die Wüste geschickt habe, hoffe sie nun, in einer neuen, anregenden Umgebung sowohl die Schreib- als auch die private Krise zu überwinden. Beim letzten Satz zwinkert sie mir zu. Und danach leider auch Höschen.

Glücklicherweise sei sie von der Schreiberei nicht abhängig, erzählt sie weiter, und ihre Zunge ist mittlerweile etwas schwer. Eine Erbschaft habe sie von unschönen materiellen Zwängen befreit.

Na bitte! Ich denke ja gar nicht daran, Höschen diesen Sechser im Lotto kampflos zu überlassen.

In den nächsten Tagen sind wir drei, nun ja, unzertrennlich.

Wir wandern durch Weinberge und kraxeln auf eine Burgruine, was den dickleibigen Höschen an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs bringt – leider nur an den Rand.

Und immer trinken wir Kir Royal. Schon am zweiten Abend kann ich das Zeug nicht mehr sehen, zu viel Säure für meinen Magen, wenn Sie verstehen. Andererseits bietet sich die Gelegenheit, Höschen elegant ins Abseits zu bugsieren.

Ich hebe mein Glas und betrachte es genießerisch. »Können Sie sich eigentlich an die Fernsehserie erinnern? Aber vermutlich sind Sie dafür zu jung.«

»An welche Serie?«, fragte Kira.

»Na, Kir Royal.« Ich schaue zu Höschen und grinse. »Die werden Sie nicht kennen. Die lief bestimmt nicht in Frankreich?«

Höschen stutzt, dann sagt er. »Oh, doch Kir Royal! Wunderbar, ’errlisch! Reporter Schimmerlich.«

»Schimmerlos«, korrigiere ich ihn. »Baby Schimmerlos.«

»Schimmerlos!«, sagte Höschen. »Genau. Am besten fande isch die Folge mit der Dings, na …« Höschen gerät ins Stottern. »Der Dings, na, dieser berühmte Schauspieler.« Dann fällt es ihm ein. »’einz Rühmann!«

»Quatsch!« Mein Einwurf gerät schärfer als geplant. Ich räuspere mich. »Sie meinen Mario Adorf.«

»Jaaa!«, ruft Höschen. »Mario Adorf. Der spielte so einen Unternehmer, einen Klopapierhersteller oder so.«

»KLEBER!« Viel zu laut. Ich weiß es. »Ich ruinier dich. Ich mach dich fertig. Ich kleb dich zu von oben bis unten«, sprudelt es aus mir heraus.

Höschen starrt mich an. Die Ho-Sü auch. »Was?«, fragt Höschen.

Ich rücke ganz nah an ihn heran und fahre fort, Heinrich Haffenloher zu zitieren. »Ich schieb’s dir hinten und vorne rein. Ich scheiß dich so was von zu mit Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Ich schick dir täglich Cash im Koffer. Das schickst du einmal zurück und zweimal und vielleicht noch ein drittes Mal. Aber ich schick dir jedes Mal mehr. Und irgendwann kommt dann der Punkt, da bist du so mürbe und so fertig und die Versuchung ist so groß, dann nimmst du’s. Und dann hab ich dich, dann gehörst du mir. Dann bist du mein Knecht, und dann mach ich mit dir, was ich will, verstehste, Junge? Ich bin dir einfach über! Gegen mich hast du keine Chance, begreifst du das nicht?« Ich packe meinen Kir und leere ihn in einem Zug.

Höschen schaut mich an, als habe er einen Wahnsinnigen vor sich.»Haha«, ruft er dann. »Hahaha. Escht süper. Haha. Mann, Sie ’aben ja richtige schauspielerische Qualitäten.«

Nach drei Tagen ist sonnenklar: Kira steht auf mich. Nur Höschen merkt es nicht, der Depp. Ich bekomme hässliche Gedanken. Höschen ist mir im Weg. Ich stelle mir vor, wie ich ihn im Wellnessbereich in der Blockhaussauna einsperre. Oder im Swimmingpool ertränke.

Am nächsten Tag komme ich nach dem Frühstück, (bei dem ich und Höschen vergeblich auf Kira gewartet haben) in die Hotelhalle, als mich die Dame an der Rezeption ruft. »Herr Lenk von Wolfsberg?«

Ich trete an den Tresen.

Die Rezeptionistin reicht mir ein Kuvert. »Frau von Hodenhagen-Sülzfeld hat eine Nachricht für Sie hinterlassen.«

Ich reiße den Umschlag auf: »Treffen wir uns um 11 Uhr in der Bio-Sauna? Erwartungsvoll, KHS.«

Ich jubiliere innerlich. Mein Gefühl hat mich nicht getrogen. Ich schaue auf die Uhr. 10.45 Uhr. Ich haste in mein Zimmer, ziehe mich um und laufe im Bademantel zum Wellnessbereich. Um 10.59 Uhr betrete ich die Bio-Sauna – und treffe auf Höschen.

Was für ein Pech!, denke ich und überlege eine Strategie, ihn loszuwerden.

»Guten Morgen, Blödmann«, begrüßt mich Höschen.

»Du mich auch«, antworte ich.

Schweigend sitzen wir in der Wärme.

Es wird 11.05 Uhr. Es wird 11.10 Uhr. Na klar, denke ich, Kira hat gesehen, wie Höschen in der Sauna verschwunden ist, und nun wartet sie, bis er wieder abhaut. Ich muss ihn loswerden.

»Musst du nicht auf deinen Kreislauf aufpassen?«, frage ich hinterlistig.

»Kümmere dich um deinen eigenen Kreislauf.«

11.15 Uhr. Mist, Mist, Doppelmist!

Um 11.20 Uhr erhebe ich mich und trete aus der Sauna. Höschen folgt mir sogleich.

Wir stehen uns schwitzend gegenüber. Ich beschließe, ihm reinen Wein einzuschenken. Es hilft ja nichts, er muss da nun durch.

»Hör zu, Hös-chen«, sage ich. »Vergiss die Ho-Sü.«

»Was?«

»Sie wollte sich hier mit mir treffen.«

»Mit dir?«, fragt er blöde. »Wo?«

»Hier! In der Sauna. Um 11 Uhr. Sie wird dich gesehen und einen Rückzieher gemacht haben.«

Höschen starrt mich an. Klar, die Wahrheit tut weh.

»Scheiße«, sagt er dann.

»Tja«, sage ich. »Tut mir leid für dich, aber du wirst bestimmt in einem anderen Hotel fündig.«

»Verdammt«, sagt er und dreht sich hektisch um die eigene Achse. »Unsere Bademäntel!«

»Was?«, frage ich.

»Wo sind unsere verdammten Bademäntel!« Höschen schreit jetzt fast.