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Klaus Stickelbroeck
Blindgänger

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Fieses Foul

Kalte Blicke

Fischfutter

Auf die harte Tour

Schnell erledigt

Schrott

Klaus Stickelbroeck wurde 1963 in Anrath geboren. Er lebt in Kerken am Niederrhein und arbeitet als Polizeibeamter in Düsseldorf. Seinen ersten Kurzkrimi veröffentlichte er im Jahr 2000. Sein erster Kriminalroman Fieses Foul erschien 2007. Sein Kriminalroman Fischfutter (2010) wurde für den Friedrich-Glauser-Preis als bester Kriminalroman des Jahres nominiert. 2013 erschien Schnell erledigt, eine Zusammenstellung seiner besten Kurzkrimis. Blindgänger ist sein sechster Kriminalroman mit dem Privatdetektiv Hartmann (alle KBV). Stickelbroeck ist einer der fünf »Krimi-Cops«, deren fünf Kriminalromane, zuletzt Knock Out (2015), ebenfalls im KBV-Verlag erschienen sind.

Klaus Stickelbroeck

Blindgänger

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Originalausgabe

© 2016 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln
Print-ISBN 978-3-95441-326-3
E-Book-ISBN 978-3-95441-343-0

für Annika, Nick und Tim

Blindgänger

… sind Sprengkörper, die nicht explodieren.

… ist jemand, der das von ihm Erwartete nicht leisten kann,
der zu nichts taugt und ständig versagt.

Spannend wird es, wenn beide aufeinandertreffen …

»Ich? Ein Blindgänger? Na warte!«
(C. Hartmann)

1. Tag

H artmann lehnte in Simones Brötchenbude an einem Stehtisch und genoss seinen fröhlich dampfenden Frühstückspott Kaffee. Durchs bodentiefe Fenster warf eine hoch motivierte Septembersonne glutgrelle Strahlen auf die fußgroßen Überschriften der vor ihm aufgeschlagenen Bild-Zeitung. Draußen tobte das Bahnhofsvorplatzleben. Eilige Pendler hasteten, schlaftrunkene Müßiggänger schlenderten, Trunkene torkelten, und Junkies starben lautlos vor sich hin.

Ein ganz normaler Vormittag.

In den plötzlich Leben kam.

»Hui«, summte Hartmann.

Denn mit Schmackes hatte am Bahnsteig acht eine dünne, tätowierte Straßenkötergraue mit pflaumenblauen Sneakers einer pummeligen Falschgelbblonden in knallenger, pinkfarbener Stretch-Leggins und bauchfreiem, grellgrünem Top eine schallende Ohrfeige verpasst. Die gut Genährte wäre fast umgekippt, krallte sich aber geistesgegenwärtig im langen, strähnigen Haar der Grauen fest. Ansatzlos rammte die Dünne deshalb als Zugabe jetzt eine hagere Faust in den blanken Bauch der Pummeligen. Beide verloren im folgenden Gerangel das Gleichgewicht und stürzten einander umklammernd aufs schmutzige Pflaster.

Der Fußgängerverkehr auf dem Bahnhofsvorplatz kam sofort zum Erliegen. Okay, das war kein erotisches Schlammcatchen, aber es war umsonst – und von daher bestens geeignet, sofort für einen spontanen Menschenauflauf zu sorgen.

Der Straßenbahnfahrer der Linie 709 gaffte interessiert und verpasste den Moment der Anfahrt. Südländische Taxifahrer platzierten erste Wetten. In Sekundenschnelle bildete sich ein Kreis, kleine Kinder wurden nach vorne geschoben, damit sie besser sehen konnten. Vom linken Niederrhein angereiste Touristen in drolliger Oberbekleidung werteten das Duell als verheißungsvollen Auftakt für eine herrliche Junggesellenabschieds-Altstadtsause.

Klasse! Düsseldorf war immer eine Reise wert.

Hartmann hätte einen chauvinistischen Fünfer auf die Pummelige gesetzt, konnte sich aber gerade noch bremsen. Er hatte keinen Fünfer.

Weil ihn der Artikel in der Zeitung über hoch nachgefragte Penisverlängerungen in Brasilien nicht nachhaltig zu fesseln vermochte, kam er nicht umhin, den beiden jungen Männern zu lauschen, die am Stehtisch hinter ihm zusammen einen Milchkaffee schlürften. Hartmann riskierte einen Blick. Die Typen waren knappe achtzehn und rochen wie drei Tage Rock am Ring. Im Zelt. Ohne Dusche.

»Boah, geil, Alter. Ich hab im Internet Konzertkarten für Bob Marley ersteigert.«

»Bob Marley? Ey, lange nichts Neues von gehört, Mann.«

»Alter, der geht voll auf Tournee!«

»Echt?«

»Jow.«

»Leck mich fett!«

»Lanxess-Arena in Köln. Nur neunundsechzig Ocken, Alter! Dann singt der die ganzen Hits!«

»Satisfaction

»Bestimmt. Ich freu mich wie Bolle!«

»Raumschiff!«

Hartmann leerte seinen Becher. Premium-DNA, dumm wie Kies.

»Möchtest du noch einen Kaffee?«, unterbrach Simone Hartmanns trostlose Gedanken.

»Nein, danke. Mir klopftʼs schon im Kopf.«

»Das ist ein gutes Zeichen. Dann ist da oben was los.« Sie nickte Richtung Zeitung. »Da ist was dran. Ist auch bei meiner Tochter ein Thema.«

Hartmann hob irritiert die Augenbrauen. »Bei Sara-Jacqueline? Penisverlängerungen in Brasilien?«

»Nein, der Artikel daneben. Fehlender Wohnraum in Oberbilk. Sara-Jacqueline muss ausziehen. Wegen dem Hund.«

»Noah?«, erinnerte sich Hartmann. »Das ist doch der Hund, den sie im Sommer aus Spanien mitgebracht hat, der nur Französisch versteht.«

»Genau. So ein braves Tier.«

»Wie geht’s dem strubbeligen Kerl?«

»Super. Er versteht inzwischen schon sehr gut Deutsch.«

»Das ist wichtig«, nickte Hartmann. »Für die Integration. Die Sprache ist der Schlüssel.«

Simone pflückte ärgerlich den Kaffeebecher vom Stehtisch. »Überall wird in Düsseldorf gebaut. Aber nur so feine Luxuskästen. In Pempelfort, am Mörsenbroicher Ei und jetzt ja auch am Rhein, auf den Rheinwiesen, da beim Landtag. In Heerdt bauen die ein mehrstöckiges Hochhaus, da kannst du mit einem Aufzug deinen Wagen mit in die Wohnung nehmen. Wer braucht so was?«

»Menschen, die ihr Auto lieben. Autoerotik!«

»Ich frag dich: Wer soll sich die Wohnungen da denn leisten können?«

Hartmann zuckte mit den Schultern.

»Die Sara-Jacqueline ist doch gerade erst mit der Ausbildung zur Altenpflegerin fertig, das ist doch viel zu teuer für die.« Simone holte tief Luft. »Das sind alles die da oben schuld, die Politiker. Die machen, was sie wollen. Beim nächsten Mal, da gehe ich das erste Mal wählen. Aber dann male ich denen ein dickes, fettes Kreuz auf den Wahlzettel. So ein Kreuz haben die noch nicht gesehen!«

Sie schnaufte wild.

Um sie zu beruhigen, tippte Hartmann mit dem Zeigefinger auf den Zeitungsartikel gleich unter dem Bericht über die schmerzhaften, aber später mutmaßlich lustvollen Körperteilverlängerungen. »Ab und an wird ja auch wieder eine Wohnung frei.«

»Eller«, las Simone. »Mann in Appartementwohnung erstochen aufgefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus und ermittelt in alle Richtungen.«

»Siehste«, sagte Hartmann.

Simone legte den Kopf schräg. »Also, ich weiß nicht. Es muss ja nicht unbedingt die Wohnung sein, in der gerade jemand ermordet wurde.«

»Solche Wohnungen gibt es häufiger, als man denkt«, führte Hartmann gerne aus. »Statistisch ist in jeder zehnten Wohnung Düsseldorfs schon mal jemand umgebracht worden.«

»Ach?«

»Ja. Nicht in allen gleichzeitig, aber nacheinander. So über die Jahre verteilt. Und da ist die Dunkelziffer noch gar nicht einberechnet.«

»Das kann einem Angst machen.«

»Meist sind es Beziehungstaten. Die Frau vergiftet den Ehemann, der Mann erschlägt die Frau.«

»Hansi-Schatz und ich streiten nur ganz, ganz selten«, behauptete Simone und wischte einen Brotkrümel vom Stehtisch.

»Oh, oh.«

»Wie ›oh, oh‹?«

»Verdrängte Konflikte? Nicht ausgesprochene Vorbehalte? Gerade dann staut sich einiges an Emotionen an. Und plötzlich: Eruption!«

»Eruption?«

»Wie bei einem Vulkan.«

Simone schüttelte energisch den Kopf. »Bei uns staut sich nichts an, wir haben regelmäßig Sex.«

Hartmann blickte ihr fest in die Augen. »Das ist gut, Simone. Guck, dass das so bleibt.«

Simone nickte. Und wechselte zurück zum Thema. »Noch mal wegen der Wohnung. Du kennst doch so viele Leute. Kannst du dich mal umhören, ob irgendwo was frei ist? Eine Person, ein Zimmer mit kleiner Kochecke und ein Bad. Das würde für Sara-Jacqueline schon reichen. Und ein Hund muss erlaubt sein.«

»Mach ich«, versprach Hartmann, obwohl er sich nicht sicher war, ob der multilinguale, aber verlauste Noah ein Gewinn für die Nachbarschaft in spe sein würde.

»Das ist lieb«, summte Simone, strich ihrem Lieblingsgast sanft übers Haupthaar und entschwand Richtung Theke, wo schon mehrere Ausgehungerte sehnsüchtig ausharrten.

»Wat is dat fürʼn Brot?«, wurde sie empfangen.

»Ein halbes«, erklärte Simone umfassend.

Draußen auf dem Bahnhofsplatz fuhr mit quietschenden Reifen ein Streifenwagen vor, zwei uniformierte Polizistinnen sprangen aus dem Fahrzeug. Energisch kämpften sie sich durch die aufgegeilten Gaffer, die Schaulustigen wichen erwartungsfroh ein paar Schritte zurück. Mit kräftigem Griff zogen sie die beiden Kampfhennen auseinander, die noch ein letztes Mal versuchten, sich gegenseitig zu treten, was aber nicht gelingen wollte.

Zwei gegen zwei? Das hätte noch mal interessant werden können, aber weil die beiden Bahnhofsfurien nicht auf die Polizistinnen losgingen, steckten die eventorientierten Kerle ihre Handys nach und nach ein. Der Straßenbahnfahrer bimmelte, die Bahn fuhr los. Der Mob löste sich auf, Ende der Show.

Hartmann stand auf und nickte den beiden Musikfans zu. »Karten für Bob Marley? Super Sache. Ich hab gehört, George Harrison geht mit ihm auf Tournee.«

»Wer ist George Harrison?«

»Der war Schlagzeuger bei den Beach Boys. Die Drummer sind immer die Besten. Ein fantastischer Kerl. Haut rein!«

»Machen wir, Alter!«

»Klar, Mann!«

Hartmann drehte sich weg, grüßte knapp Richtung Simone, verließ die Brötchenbude und schob sich draußen auf dem Gehweg lässig eine Sonnenbrille auf die Nase. Entspannt blinzelte er in die pralle Sonne.

Ein Junkie rappelte neben ihm mit dem Plastikbecher und krächzte heiser. »Haste mal ʼnen Euro, Kumpel?«

Hartmann gab zwei und seufzte zufrieden. »Ich liebe diese Stadt.«

* * *

Hartmann entschied sich für einen Schlenker über die Karlstraße, um dem Geldautomaten am Stresemannplatz ein paar Euro abzuschwatzen. Der Automat blieb hartnäckig, scheinbar stimmte irgendetwas mit der PIN-Nummer nicht.

Elf Uhr durch.

Hartmann quetschte sich auf der Charlottenstraße an eigentlich nicht tageslichttauglichen Prostituierten vorbei, die auf dem Bürgersteig Kaugummi kauend warteten, dass die Nachfrage einsetzte. Die Dünne und die Pummelige vom Bahnhofsvorplatz teilten sich an der Ecke Immermannstraße friedlich vereint eine Zigarette. Für enge Leggins sollte es ein Höchstgewicht geben. Und Cellulite war auch nicht nur eine Frage der Beleuchtung.

Hartmann atmete tief durch und hatte keine Idee, wie er diesen spätsommerlichen Tag sinnvoll füllen könnte. Es war allerhöchste Zeit, dass er einen neuen Auftrag an Land zog. Privatdetektive, die rasten, die rosten.

Ein paar Schritte später hatte ihm sein Briefkasten im Hauseingang zum Konrad-Adenauer-Platz 12 allerdings auch heute keinen Job anzubieten. Auch sonst keine Post. Noch nicht mal Werbescheiß.

Durchs große Schaufenster zur Rechten grüßte ihn Dimitri aus dessen Secondhandladen. Wie immer standen dem braun gebrannten Kerl die schwarzen Locken wild vom Kopf. Die Auslagen in seinem Geschäft wirkten neuerdings verhältnismäßig übersichtlich, nachdem Polizisten vor zwei Wochen bei einer Razzia in seinem Lager im großen Maße fündig geworden waren. Hartmanns Blick fiel auf das immer noch imposante Restangebot. Der junge Grieche hatte Pfefferabwehrspray, Einhandmesser, Wurfsterne und asiatische Kampfwaffen in der Auslage. Die Preise waren atemberaubend niedrig. Wahrscheinlich gab es unter der Theke Flammenwerfer, parkte im Hinterhof ein Spürpanzer und züchtete Dimitri zu Hause blutrünstige Kampfhunde.

Hartmann grüßte freundlich zurück und ging ins Haus. In der ersten Etage, wo Sanne und Marten lebten und sich liebten, roch es wie immer streng nach Katzenpipi. Hartmann versuchte sich seit Monaten vergeblich einzureden, dass ihm ohne den ätzenden Geruch etwas im Leben fehlen würde. In der zweiten Etage duftete es deutlich angenehmer nach erotischen Entspannungsmassagen, die von Nicole und Petra angeboten wurden. Ein Angebot, das von Männern ohne ausreichend Liebe und Zuneigung mehr als gerne angenommen wurde. Hartmann selbst wohnte in der dritten von fünf Etagen. Auf den Stufen dorthin kamen ihm im Treppenhaus zwei Männer entgegen.

»Hallo«, grüßte Hartmann aufmerksam.

Besuch war selten, dafür schauten Einbrecher gelegentlich nach dem Rechten. Die beiden Männer grüßten nicht zurück. Sie waren Mitte dreißig, sportlich und trugen Markenjacken aus Leder. Des rechten Jacke war grün, des anderen Jacke mattblau. Die Blousons saßen eng, ohne wie eine Pelle zu wirken, Muskelberge zeichneten sich ab. Die Männer waren groß wie Basketballspieler, Hartmann schätzte sie auf vier Meter achtzig.

»Ihr wart bei Jonny?«, fragte Hartmann beim Passieren, denn die beiden waren schwarz, und Jonny, der links unterm Dach wohnte, war ein Taxifahrer aus Ghana, der an der Düsseldorfer Universität Medizin studierte. Die Brecher waren von daher eher ihm als Hartmanns über achtzigjähriger Nachbarin Heidi Grütesaaper aus der vierten Etage zuzuordnen.

Einer der beiden Männer fuhr herum und blaffte: »Wieso? Weil wir Schwarze sind?«

»Äh … ja«, räumte Hartmann seine Überlegungen ein.

»Bist du Rassist?«

Der andere mit der blauen Oberbekleidung versuchte, seinen Begleiter am Ärmel weiter die Stufen nach unten zu ziehen.

Der aber fluchte scharf in einer fremden Sprache und riss sich los. »Bist du ein Rassist?«

»Eher nicht«, erklärte Hartmann. »Aber zu mir wollt ihr nicht, und sonst wohnt dort oben außer Jonny nur noch ein Typ, der die Dügida-Demonstrationen organisiert. Und da dachte ich, das wäre eher nicht euer Bekanntenkreis.«

»Lass uns gehen«, zischte der Blaue.

»Der will uns verarschen«, behauptete sein Kumpel.

»Auf keinen Fall«, beharrte Hartmann, dem auffiel, dass die beiden ein nahezu akzentfreies Deutsch sprachen.

Der Grüne pumpte Luft in seinen Brustkorb, der Flur wurde eng.

Hartmann winkte lässig ab. »Kein Stress, ich bin ein Kumpel von Jonny, deshalb frage ich. War er nicht zu Hause? Ich hab ihn seit knapp zwei Wochen nicht mehr gesehen.«

Jetzt musterte ihn auch der Kerl mit der blauen Jacke. Interessiert. Aber nicht freundlich. Hoppla, stellte Hartmann fest, da hatte die Ich-bin-Jonnys-Kumpel-Karte offensichtlich nicht gestochen. Im Gegenteil. Das war jetzt unangenehm. Tatsächlich machte der Grüne einen Schritt auf Hartmann zu.

»Lass jetzt«, befahl sein Partner und hielt seinen Landsmann am Arm fest. Dann visierte er Hartmann an und zischte: »Später!«

Hartmann nahm das zum Anlass, zügig weiter nach oben zu gehen, und stellte erfreut fest, dass die beiden dunklen Muskelberge den Weg nach unten eingeschlagen hatten. Hastig schloss er seine Wohnungstür auf und bemerkte erst beim Schließen, dass ein Zettel draußen mit einem Klebestreifen befestigt war.

Spring mal kurz rein. Ich habe einen Job für dich – Nicole, las Hartmann, schloss hinter sich die Tür und fragte sich, was der schwarze Kerl in der blauen Lederjacke mit »später« gemeint haben könnte.

* * *

Die kohlrabenschwarzhaarige Petra mit der süßen, kleinen Stupsnase öffnete nach dem ersten Klingeln. Sie trug ein kurzes hellblaues, fast durchsichtiges Seiden-Negligé mit schmalen Trägern und darunter Arbeitskleidung. Hartmann schnappte nach Luft.

»Hallo, Hartmann, schön, dass du vorbeikommst! Da freue ich mich aber. Komm rein!«

»Ich hatte da einen Zettel an der Tür. Von Nicole«, wedelte Hartmann ein wenig hilflos mit der Notiz.

Frauen in nur unzulänglich verhüllender Bekleidung machten ihn nervös.

»Ach so.« Petras hinreißender Mund formte sich zum Schüppchen. »Ich dachte, du kommst beruflich.«

»Quasi ist das richtig. Nur mein Beruf, nicht deiner«, stellte Hartmann eilig klar.

»Schade«, summte Petra, ließ Hartmann vorbei und gab ihm im Vorbeigehen frech einen Klaps auf den knackigen Hintern. »Nicole ist in der Küche.«

Während Hartmann durchging, klingelte es hinter ihm schon wieder. Die Massagebranche boomte. Heutzutage lauerte aber auch an jeder Ecke ein gemeiner Haltungsschaden.

Die blondhaarige Nicole saß am Küchentisch und trug nur wenig mehr als ihre Kollegin. An den Füßen. Nämlich hellblaue, halb offene Fransenschlüffchen mit Bommel. Sie brütete über einem Becher Kaffee und einem Kreuzworträtsel. »Hartmann, dich schickt der Himmel. Haustier mit drei Buchstaben?«

»Emu.«

»Passt! Setz dich! Kaffee?«

»Danke, ich hatte gerade einen. Du hast einen Job für mich?«, sagte Hartmann und winkte mit der Notiz.

Nicole lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Nicole bestand zum großen Teil aus Beinen. Und verfügte erfreulicherweise am anderen Ende ihres Körpers über ein außerordentlich gut funktionierendes Gehirn. Hartmann liebte seine Nachbarin für ihre Schlagfertigkeit, den hellwachen Verstand und ihren frechen Witz. Und natürlich für die langen Beine.

Die Bommel an ihren Füßchen bommelten. »Du erinnerst dich an meine Freundin? Carmen Vlint?«

Hartmann überlegte kurz, dann fiel es ihm ein. »Die Schauspielerin? Ja, sicher.« Er hatte vor einiger Zeit im Zuge eines Falles mit der bekannten, blonden Schauspielerin zu tun gehabt. Nicole, die gelernte Friseurin, schnitt dem Star die Haare. Ob Carmen Vlint Nicoles heißes Spezialangebot in Anspruch genommen hatte, sich die Haare nackt schneiden zu lassen, hatte Hartmann nie herausfinden können.

»Carmen hat …«

Es klopfte an der Tür. Kollegin Petra steckte ihren Bubikopf in die Küche und verdrehte die Augen. »Es ist Rainer, kann also was dauern.«

»Weiß ich Bescheid. Viel Erfolg!«, wünschte Nicole ihrer Kollegin alles Gute und stand auf, um sich selbst einen Kaffee einzuschütten.

»Viel Erfolg?«, fragte Hartmann.

Nicole stöhnte. »Rainer. Ein Stammgast. Den hätten wir längst abgestoßen. Das dauert bei dem immer ewig. Da bekommt das Wort Rohrkrepierer eine ganz neue Bedeutung.«

Das waren mehr Informationen, als Hartmann eigentlich brauchte, aber er hatte ja gefragt. »Vermittelt ihn weiter. An Frauen, die mehr Zeit und Langeweile haben«, schlug er vor.

Nicole setzte sich wieder. »Geht nicht. Rainer macht unsere Steuern. Für umsonst. Also, nicht wirklich umsonst, aber …«

»Verstehe. Das ist auch wichtig, Steuern machen«, räumte Hartmann ein und gab das Stichwort. »Carmen Vlint?«

»Carmen hat ein Problem. Sie braucht einen Privatdetektiv. Um was es genau geht, weiß ich nicht, es klang aber dringend. Sie möchte sich mit dir treffen.«

Hartmann nickte. »Okay. Warum kommt sie nicht hier im Büro vorbei?«

»Vielleicht möchte sie nicht mit dir gesehen werden?«

Hartmann beugte sich nach vorne. »Nicht mit mir gesehen werden? Sei ehrlich, Nicole. Ist es so schlimm?«

Seine Nachbarin legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen. »Die Länge ist okay. Deine Nase ist zu groß. Du hast schöne, hellblaue Augen. Ich mag deinen Blick: Du guckst so aufmerksam. Dein Körper ist in einem recht akzeptablen Zustand, der Hintern ist klasse. Für mich würde es reichen, aber du musst dringend zum Friseur.«

Hartmann lachte. »Carmen Vlint kann mich auch anrufen.«

»Hat sie gemacht, aber auf deinem Anrufbeantworter wollte sie keine Nachricht hinterlassen. Bist du interessiert?«

»Auf jeden Fall.«

Nicole raffte das Negligé obenrum ein wenig weiter auseinander. »Und an mehr?«

Hartmann grinste. »An einem Haarschnitt?«

»De luxe.«

»Nicole, kein Sex unter Nachbarn, das gibt nur Ärger!«

»Nicht, wenn du gut bist!«

Hartmann lachte. Nicole seufzte enttäuscht. »Okay, ich rufe Carmen gleich an, mache einen Termin für dich und sag dir Bescheid.«

Wieder öffnete sich die Tür. Petra seufzte genervt. »Boah, ganz gemein heute. Weiß du, wo die Klebehalterungen für die Stromstöße liegen?«

Hartmann riss die Augen auf.

»In der Kiste mit den Peitschen«, antwortete Nicole.

»Kannst du gleich mal mit anpacken? Vielleicht wenn wir beide …«, sagte Petra und stellte damit erotische Fantasien in den Raum, die geeignet waren, Hartmann eine dunkle Schamesröte ins Gesicht zu befehlen.

»Klar, Petra, ich komm gleich.«

»Ja. Du«, stöhnte Petra. »Aber Rainer nicht.«

Petra schloss die Tür. Nicole erhob sich und nickte ihrer Kollegin hinterher, ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Die Süße hat Probleme.«

»Größere als Rainer?«

»Oh, ja.«

Hartmann nippte am Kaffee. »Probleme, die man nicht mit Stromschlägen lösen kann?«

»Ich fürchte nicht. Ihr Ex-Zuhälter aus Frankfurt hat sich gemeldet. Der war im Knast, ist jetzt wieder draußen und im Frankfurter Milieu wieder eine dicke Nummer. Petra ist seinerzeit Hals über Kopf abgehauen. Jetzt hat der Honk sie hier ausfindig gemacht und fordert eine Ablösesumme von Petra.«

»Das ist doch mindestens drei Jahre her?«

»So ungefähr.«

»Ablösesumme? Das ist doch gar nicht legal.«

Nicole verdrehte die Augen. »Das interessiert den Kerl doch nicht. 23.000 Euro will der Knallkopf haben. Quasi als Ausbildungsprämie. Ja, wie soll Petra auf die Schnelle so viel Kohle zusammenbekommen? Unser Studio läuft gut, sehr gut, aber 23.000 Tacken wollen erst mal beiseitegelegt sein. Petra hat noch zwei Töchter zu versorgen.«

»Das klingt übel.«

»Das ist es auch. Petra nimmt zurzeit jeden Termin an, den sie kriegt, aber sie kann Geld nicht drucken. Würde mich nicht wundern, wenn irgendwelche Frankfurter demnächst hier auf der Matte stehen und dem Anliegen Nachdruck verleihen.«

Hartmann fragte sich, ob die beiden unangenehmen Vögel von vorhin aus dem Treppenhaus schon eine solche Truppe waren. Aber was hätten sie in einer der oberen Etagen suchen sollen? Petra und Nicole gingen ihrem öligen Massagewerk deutlich ausgeschildert in der zweiten Etage nach.

»Und dann?«

»Bringt sie die Kohle an den Start. Oder wird umziehen müssen.«

Hartmann hob die Augenbrauen. »Wenn es so weit ist, dann bimmle durch, Jonny und ich kommen vorbei. Uns fallen sicher ein paar Argumente für Düsseldorf ein.«

»Das ist lieb, aber wie ich Petra verstanden habe, sind die Typen gefährlich.«

»Bin ich auch. Apropos Jonny. Den habe ich mindestens zwei Wochen lang nicht mehr gesehen. Du?«

Nicole grinste. »Jonny ist nicht so verklemmt wie du. Jonny kommt regelmäßig hier vorbei. Und dann regelmäßig.«

»Nicht so wie Rainer?«

»Auf keinen Fall«, grinste Nicole. »Hm, aber wo du es jetzt sagst, sein letzter Besuch liegt sicher länger als zwei Wochen zurück. Der Gute ist fast ein bisschen überfällig. Vielleicht hat er eine neue Freundin.«

»Vielleicht«, murmelte Hartmann, irgendwie mit einem flauen Gefühl im Magen.

»Jonny ist okay. Kümmere du dich um Carmen Vlint.«

»Werde ich machen«, versprach Hartmann und hauchte seiner Nachbarin zum Abschied einen flotten Kuss auf die Wange.

Bevor er Nicole mit Petra und ihrem Problemfall zurückließ, drehte er sich noch einmal ganz kurz um. »Ähm, wegen des Kreuzworträtsels, Haustier mit drei Buchstaben …«

Nicole lachte. »Ich weiß, ich bin nicht blöd. Aber Emu passt trotzdem.«

Frankfurter, sinnierte Hartmann Sekunden später im Treppenhaus auf dem Weg in seine Bleibe, Frankfurter sind Würstchen!

2. Tag

Die kurze Strecke bis zu Nordmanns Eisfabrik an der Hermannstraße ging Hartmann zu Fuß. Seit einigen Jahren war Flingerns Norden immer einen entspannten, sonnigen Spaziergang wert. Die Zeiten, in denen man sich nur mindestens zu dritt und schwer bewaffnet über den Hermannplatz und durch seine Seitenstraßen trauen konnte, lagen lange, lange zurück. Damals gammelte der ganze Stadtteil, standen die Wohnungen leer, waren die vernachlässigten Parkanlagen dreckige Müllkippen, die lichtscheues Gesindel anlockten, dem man besser aus dem Weg ging.

Dann brachen die Mieten ein. Und das hatte Folgen. Clevere, junge Menschen nutzten ihre Chance. Coole Kunst-Galerien und trendige Boutiquen schossen ob der günstigen Preise aus dem Boden. Das lebensfrohe Designerviertel war erfunden. Heute war der Stadtteil absolut angesagt. Aufwendig renovierte Bauten, die noch aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende stammten, säumten die Straßen. Originelle Läden, schicke Ateliers und gemütliche Cafés mit lauschigen Außenterrassen lockten Gäste aus der ganzen Stadt.

Hartmann war früh dran. Carmen Vlint war früher. Hätte Nicole nicht für ihn den Termin mit ihr ausgemacht, er hätte die Schauspielerin nicht erkannt. Ihre langen, goldblonden Haare versteckte sie unter einer weiten, weißen Kappe. Audrey Hepburn hatte ihr eine große, schwarze Sonnenbrille geliehen.

Hartmann setzte sich neben sie.

»Schön, dass es so schnell geklappt hat«, begrüßte ihn die Schauspielerin.

Carmen Vlint sah aus wie der Daily Soap entsprungen, in der sie in knapp achthundert Folgen Samantha König dargestellt hatte, die reiche, schöne, elegante, verschlagene und zickige Erbin eines Weinguts an der Mosel.

Die Weinkönigin. Schweigen ist Silber – Reben sind Gold.

Sie trug eine sportliche, weiße Bluse, dazu einen auf Taille geschnittenen, weißen Blazer und eine hellblaue Hose, die maßgeschneiderter nicht sein konnte. Sie nippte an einem Baileys. »Wir waren beim Du? Gut. Ich habe ein Problem.«

»Mein Job ist es, Probleme zu lösen.«

Eine junge Kellnerin trat mit fragendem Blick an ihren Tisch heran. Hartmann entschied sich gegen einige der spektakulären, ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen wie Tonkabohne, Birne-Parmesan oder Melone-Chili und orderte einen profanen Caramelbecher, von dem er wusste, dass er in Düsseldorf seinesgleichen suchte.

Carmen Vlint kam sofort zum Punkt. »Ich brauche Informationen über eine Person.«

»Über welche?«

»Das weiß ich nicht.«

Hartmann runzelte die Stirn. »Das macht es kompliziert.«

»Einfach könnte ich selbst, Christian. Ich werde offen sein, weil ich dir traue.«

Das ließ Hartmann so im Raum stehen, denn es klang gut.

»Ich spiele seit exakt – Stand heute – siebenhundertfünfundneunzig Folgen in einer Vorabendserie die Samantha König. Du kennst die Serie? Die Weinkönigin? Gut. Ich bekomme sehr viel Fanpost. Persönlich an mich, aber auch an den fiktiven Charakter Samantha König gerichtet. Die Übergänge sind manchmal fließend, Fans halt. Da ist häufig auch sehr … persönliche Post darunter. Briefe, Fotos. Das alles macht mir normalerweise keine Angst.«

»Normalerweise?«

Sie öffnete eine Kladde, die geschlossen zwischen ihnen auf dem Bistrotisch gelegen hatte, und reichte Hartmann einen Brief.

» Liebe Samantha, ich weiß, dass du es nicht leicht hast. Wenn du mich brauchst, dann bin ich da! Sofort! Vertraue mir! Du gehörst an meine Seite «, las Hartmann die Nachricht laut vor. »Am PC getippt und unterschrieben mit einem L., handschriftlich und in Rot.«

»L. lässt mir immer wieder solche kurzen Nachrichten zukommen. Einige kommen mit der Post, andere liegen abends plötzlich in unserem Briefkasten auf der Fahneburgstraße.«

Hartmann tippte auf den Brief. »Du gehörst an meine Seite? Eine altmodische Formulierung. Aber auch eine dominante Formulierung. Klingt männlich.«

Carmen Vlint atmete hörbar aus. »Du bist sofort im Thema, das freut mich. Ich habe gewusst, dass du der Richtige für diesen Job bist. Es gibt nicht nur diesen L., aber L. ist besonders auffällig. Manchmal schickt er mir Fotos.«

»Von sich?«

»Nein.«

»Das hätte meinen Job leichter gemacht«, nahm Hartmann mal an.

»Natürlich nur, wenn sein Gesicht drauf gewesen wäre«, erwiderte Carmen süffisant.

Sie reichte Hartmann ein Bild, auf dem sie mit einer Freundin beim Bummel auf der Kö zu sehen war. Hartmann erkannte eine exklusive italienische Boutique, in der er sich wahrscheinlich noch nicht mal die Tragetasche leisten konnte. Auf einem zweiten Schnappschuss joggte sie, auf einem dritten bestieg sie ein Auto, ein Mann im dunklen Anzug, wahrscheinlich der Fahrer, hielt ihr die Beifahrertür auf.

»Danke«, sagte Hartmann, denn die Kellnerin brachte das Eis.

»L. scheint mich nahezu immer zu beobachten.«

Hartmann ahnte, in welche Richtung sich der Fall entwickeln würde. Sein Blick strich über die Gäste des Eiscafés, die sich mit ihnen die Außenterrasse teilten. Da sah niemand aus wie L. »Ein Stalker.«

»Er dürfte nicht hier sein, ich habe mir heute sehr viel Mühe gegeben, einen möglichen Verfolger abzuschütteln. Zum Foto beim Bummeln: Das Bild ist im Laden geschossen wurden. Die Boutique ist klein, es gibt nicht viele Kaufinteressierte.«

»Verstehe.«

»Und trotzdem ist es dem Kerl gelungen, mich die ganze Zeit über zu beobachten und ein Foto zu knipsen, ohne dass ich es gemerkt habe. Am nächsten Tag erhielt ich das hier.« Sie reichte ihm einen zweiten Brief.

» Liebe Carmen. Das rote Kleid, das du als viertes anprobiert hast, hat dir am besten gestanden. L. «

»Ich hab insgesamt über ein Dutzend Kleider angehabt, bevor ich mich für das rote Stück entschieden habe.«

»L. geht ein großes Risiko ein.«

»Das sehe ich auch so. Jetzt, Christian, jetzt steht allerdings etwas Neues an. Ich werde Dienstagmorgen, also in drei Tagen, in einer Presseerklärung kundtun, dass ich aus der Serie aussteige.«

»Ach?«

»Tatsächlich drehen wir übermorgen noch ein paar Restszenen, und dann ist Schluss.«

»Du hast Angst vor der Reaktion der Fans?«

Carmen Vlint verdrehte die Augen. »Ich habe Angst vor L. Aus folgendem Grund.«

Hartmann versenkte einen Traum aus Caramel im Mund.

»Ich habe ein Angebot aus Amerika. Eine kurze Reihe, hochwertig produziert. Eine echte Chance für mich. In vierzehn Tagen fliege ich rüber, um vertraglich alles festzumachen. Es kann nicht viel dazwischenkommen. Allerdings ist der Produzent extrem konservativ. Einen Skandal darf ich mir nicht erlauben.« Carmen Vlint schob ein Foto über den Tisch.

Hartmann legte den Löffel aus der Hand und hielt es ins Licht. Es zeigte Carmen Vlint im schwarzen Bikini. Augenscheinlich im eigenen Garten. Ein schönes Foto, eine attraktive Frau. »Das ist in deinem Garten?«

»Ja.«

Hartmann kniff ein Auge zusammen. »Dann hat jemand in den Garten hinein fotografiert.«

»Offensichtlich.«

»Na ja, das Foto geht doch. Da gibt es deutlich unattraktivere Schnappschüsse. Auch von Hollywoodschauspielerinnen. Ungeschminkt am Strand, nach durchzechter Nacht beim Brötchenholen und manchmal in unangemessener Begleitung.«

Carmen Vlint schüttelte den Kopf. »Ich kann mich noch ganz genau an den Nachmittag erinnern, an dem das Foto gemacht worden sein muss. Zwanzig Sekunden nach dieser Aufnahme lege ich mein Bikinioberteil ab, zwanzig weitere Sekunden später auch den unteren Teil. Ich bin mir sicher, dass der Kerl auch das fotografiert hat.«

»Wie gesagt …«

»Aber das ist nicht der Punkt. Ist dir der Streifen am linken Rand des Fotos aufgefallen?«

Nein, war Hartmann nicht aufgefallen. Er hatte sich aus naheliegenden Gründen ausschließlich auf den knappen, schwarzen Bikini samt Inhalt konzentriert. Den Blick an den Rand des Fotos holte er jetzt nach. Er erkannte einen dunkelgrünen Streifen.

»Oh«, verstand Hartmann.

»Der grüne Streifen gehört zum Rahmen einer Schiebetür zwischen unserer kleinen Schwimmhalle und dem Garten. L. hat aus der Schwimmhalle heraus, also aus unserem Haus heraus, in den Garten hinein fotografiert. Das ist wirklich unangenehm.«

»Du solltest damit zur Polizei gehen. Vielleicht sind Fingerabdrücke auf dem Rahmen. Das ist mindestens Hausfriedensbruch.«

Sie leerte den Drink. »Ich habe jetzt folgendes Problem. Ich weiß überhaupt nicht, was L. alles fotografiert hat. Und wer noch auf den Fotos drauf ist. Um das gleich vorwegzuschicken, ich habe keinen Liebhaber. In diese Richtung kann das nicht gehen. Aber ich treffe mich mit Bekannten. Zum Beispiel mit einem Politiker, der sich zum Thema Flüchtlinge mehrfach – ich sag mal – extrem geäußert hat.«

»Extrem geäußert?«

»Alle sofort raus, Stacheldraht, Schießbefehl, so was. Er ist sonst ein netter Kerl.«

»Klingt aber nicht nett. Klingt eher nach Arsch.«

»Es ist nicht wirklich angesagt, sich mit dem Mann sehen zu lassen.«

»Allerdings: Äußerungen zum Thema ›Flüchtlinge in Europa‹ werden in Amerika eher niemanden interessieren. Der Kandidat mit dem Federgras auf dem Kopf hat im Wahlkampf selbst Mauern für sich entdeckt. Stichwort: Mexiko.«

»Der besagte Regisseur in Amerika hat selbst einen Migrationshintergrund.«

»Den haben in Amerika alle. Die Indianer ausgenommen«, gab Hartmann zurück.

»Ich bin sicher, dass mir ein entsprechend lanciertes und kommentiertes Foto schaden kann. Ich will meine Chance nutzen.« Carmen Vlint beugte sich über den Tisch. »Deshalb möchte ich, dass du den Fotografen ausfindig machst. Dann wird meine Anwältin sich mit ihm auseinandersetzen. Wenn er wirklich an meiner Seite steht, wird er keine Fotos veröffentlichen. Wenn nicht, bin ich durchaus bereit, ein paar Euro springen zu lassen.«

Hartmann kratzte den letzten, sahnigen Rest Flüssiges aus dem Becher. Carmens Plan klang vernünftig.

»L. sucht ganz offensichtlich fast täglich meine Nähe«, fuhr Carmen fort. »Ich erkenne ihn nicht. Du bist der Fachmann, du wirst ihn erkennen. Ich möchte, dass du mich in den nächsten zwölf Tagen begleitest.«

Hartmann bremste den Löffel. »Begleiten?«

»Rund um die Uhr. Er wird meine Nähe suchen, und das ist deine Chance, ihn zu stellen und zu identifizieren.«

»Rund um die Uhr?«

»Einige der Briefe wurden mitten in der Nacht direkt in unseren Briefkasten eingeworfen. Deshalb brauche ich dich jederzeit, auch nachts. Wir haben eine separate Gästewohnung mit eigenem Eingang, da ziehst du ein.«

»Äh …«

»Es ist nur für exakt zwölf Tage, dann reise ich nach Amerika und werde gleich nach meiner Ankunft meinen Vertrag unterschreiben. Dann stören mich keine Fotos mehr.«

»Wenn er wirklich ein so guter Stalker ist, wird er sofort merken, dass ich bei euch eingezogen bin. Dann ist er gewarnt.«

Carmen Vlint beugte sich noch ein Stück weiter über den Bistrotisch. »Ich glaube, dass er so gut ist, dass er dich sowieso bemerkt, egal ob du bei mir einziehst oder nicht. Deshalb bin ich dafür, gleich mit offenen Karten zu spielen. Damit haben wir die bessere Position. Er muss zu mir kommen – und du bist schon da.«

Hartmann nickte, wägte ab. Ungewöhnlich, aber da war was dran, keine schlechte Strategie.

»Einen Tag muss ich noch drehen, in Köln. Noch ein bisschen Pressearbeit, Bummeln, Sport, Shoppen. Dienstag ist die große Pressekonferenz. Nachts legst du dich auf die Lauer, er hat ja auch abends Fotos von mir gemacht, wenn ich mit dem Hund rausgehe.«

»Hund?«, fragte Hartmann entsetzt, der es mit Hunden nicht so hatte.

»Ein ganz Lieber! Er heißt Klitschko.«

Hartmann ließ das erst mal so stehen. »Du bist verheiratet, wenn ich mich richtig erinnere? Okay. Was sagt dein Mann dazu?«

»Frank nimmt die Sache nicht ernst. Er ist beruflich viel unterwegs, bleibt nachts oft weg. Er bekommt wahrscheinlich gar nicht mit, wenn jemand in der Gästewohnung wohnt. Das Hallenbad, von dem ich vorhin erzählt habe, trennt unsere Wohnung vom Gästeappartement. Die Türen kann man natürlich abschließen.«

»Gibt es in deinem näheren Umfeld Personen, die infrage kommen? Hast du jemanden im Kopf?«

»Die einzigen beiden Männer, die regelmäßig in meiner Nähe sind, sind mein Mann und Norman, der Fahrer.«

»Das ist der gut gekleidete Mann auf einem der Stalker-Fotos, der dir die Tür aufhält?«

»Genau.«

Hm. Zwar hatten beide Männer Zugang zum Haus, zur Schwimmhalle und zum Garten, sie hätten relativ gefahrlos so ein heimliches Foto schießen können, aber warum sollte Frank Vlint seine Frau stalken? Und heimlich Fotos von ihr schießen? Ihn und Norman hätte Carmen ferner beim Shoppen auf der Kö sofort erkannt. Darüber hinaus war Norman ebenfalls auf einem der Stalkerfotos zu erkennen. Natürlich gab es Kameras mit Selbstauslöser, aber Hartmann schüttelte den Kauf. Er wollte die beiden nicht voreilig ausschließen – er hatte in früheren Fällen schon die tollsten Dinger erlebt und blieb vorsichtig – aber als Täter drängten die beiden Männer sich nicht gerade auf.

»Kommt jemand aus dem Filmteam infrage?«

Carmen Vlint lachte. »Die sind alle mit sich selbst und ihrem Ego beschäftigt, da bleibt kein Platz für Stalking.«

»Ich möchte die Briefe lesen und mir alle Fotos ansehen.«

»Ich suche dir alle Briefe und Fotos raus, die ich noch nicht weggeworfen habe.«

Hartmann hatte sich entschieden, der Fall klang interessant. Und lösbar. »Ich nehme 500 Euro am Tag plus Spesen. Und ich brauche ein Auto, ich habe keins, möchte aber mobil sein.«

»Du kannst dir für die Zeit ein Fahrzeug leihen. Es muss ja kein roter Maserati sein.«

»Ein blauer? Nicht? Den Wagen musst aber du für mich mieten, ich habe zurzeit ein kleines Führerscheinproblem, mir wird man keinen Wagen leihen. Wenn es kein Maserati wird, dann wäre ich mit einem Golf oder so was zufrieden. Irgendetwas Unauffälliges mit viel PS, wenn es mal schnell gehen muss.«

Carmen Vlint öffnete ihre Handtasche und rasselte zwei Schlüssel ans Tageslicht. »Der breite ist für den Seiteneingang am Haus rechts, der schmale Schlüssel ist für dein Schlafzimmer. Am besten ziehst du gleich heute Abend ein. Ich werde nicht zu Hause sein, aber Norman wird in der Auffahrt zur Gästewohnung auf dich warten und dir Wagen und Schlüssel übergeben. Bettzeug liegt bereit. Es gibt keinen Zimmerservice.«

Hartmann steckte die Schlüssel ein, gab der schönen Schauspielerin seine Handynummer, schob die Rechnung für den Caramelbecher rüber und stand auf. Kein Zimmerservice? Wenn das der einzige Haken blieb, würde das eine ganz, ganz entspannte Sache werden.

* * *

Hartmann entschied, den neuen Auftrag mit einem leckeren Becher Kaffee und einer fluffigen Frikadelle zu feiern. Seine Stammkneipe war das Aquarium in Düsseldorf-Unterrath. Hinter der Theke würde ihn sein alter Kumpel Krake erwarten. Krake war der einzige einarmige Wirt Düsseldorfs. Der linke Arm war seinem Freund bei einem Verkehrsunfall mit Straßenbahn am Schillerplatz abhandengekommen. Straßenbahnen hatten mitunter etwas Trennendes.

Gleichwohl hatte der Unfall Krake nicht aus der Bahn geworfen, um ein schräges Wortspiel zu bemühen. Der verlustreiche Unfall war kein Grund gewesen, die Kneipe aufzugeben, inzwischen zapfte sein Kumpel mit einem Arm das Pils schneller als so mancher Wirt mit zweien. Altbier ging noch flotter.

Legendär waren jedoch Krakes Kaffee und die Frikadellen. Beides dampfte jetzt heiß vor Hartmann auf dem Tresen, als Krake sich begeistert über die Theke lehnte. »Carmen Vlint? Super! Du musst mir unbedingt ein Autogramm besorgen.«

Hartmann nippte am Getränk. »Sag bloß, du guckst dir den Quatsch im Fernsehen an?«

»Ja, sicher. Was meinst du, warum hier wochentags von 19 bis 20 Uhr geschlossen ist? Zum Durchwischen und Lüften? Vergiss es! Ich hab keine der siebenhundertfünfundneunzig Folgen verpasst.«

»Ach?«

»Na klar. Die Samantha König hat es nicht leicht. Erbt ein superschönes Weingut an der Mosel und hat dann nur Ärger. Die Bilanzen waren gefälscht, die Stiefmutter ist eine falsche Schlange, der Bruder ein Taugenichts, der Onkel ein echter Schwerenöter, und die Nachbarn sind aber so was von unangenehm.« Krake stöhnte. »Dazu kommt auch noch das Pech mit ihren Liebhabern. Mann, Mann. Jetzt hat sie diesen geheimnisvollen Weinbauern aus Frankreich kennengelernt. Gaston. Immer braun gebrannt, unmögliche Frisur. Wenn du mich fragst, ich traue dem Kerl nicht. Er hat gezupfte Augenbrauen.«

Hartmann biss herzhaft in die Frikadelle. Genüsslich verdrehte er die Augen und wechselte das Thema. »Die Frickos sind so lecker. Wo kriegst du die her?«

»Die sind selbstgemacht.«

Hartmann musterte sein Gegenüber. Von oben bis unten, von rechts nach … »Wie denn?«

Krake kniff die Augen zusammen. »Vorsicht, Freundchen! Die Vlint wohnt doch irgendwo in Mörsenbroich, oder?«

»In der Fahneburgstraße. Ich ziehe ins Gästezimmer.«

Krake klappte der Mund auf. »Du ziehst bei ihr ein? Oh Mann. Die Welt ist ungerecht. Klau was für mich! Ein Bademantel wäre perfekt.« Er zögerte. »Was sagt ihr Mann dazu?«

»Wird schon okay sein.«

Krake nickte. »Sieht gut aus, der Frank Vlint. Intelligent, schwerreich, sportlich. Er macht in Immobilien. Er hatʼs drauf. Du bist keine Konkurrenz. Fahneburgstraße? Da in der Ecke war ich früher mit meinem Vater immer im Wald, Bogenschießen.« Krakes melancholischer Blick verlor sich unter der Kneipendecke. »Bogenschießen … Hab ich auch schon lange nicht mehr gemacht. Müsste ich mal wieder.«

Hartmann blinzelte. »Gibt es Flitzebögen für Einarmige?«

»Ich flitz dir gleich einen Bogen unters Auge, Hartmann!«

Der winkte ab. »Woher weißt du das alles?«

»Aus der Gala

»Du liest die Gala

»Nicht nur. Auch die Frau im Spiegel

Hartmann nahm einen großen Schluck. Sein Freund Krake war ein einziges, großes Mysterium.

»Und was sollst du da jetzt genau machen?«, fragte Krake.

Hartmann umriss mit wenigen Sätzen seinen übersichtlichen Auftrag, ohne Carmens Ausstieg aus der Sendung zu erwähnen, worum Carmen Vlint ihn bei der Verabschiedung nachdrücklich gebeten hatte.

Krake rümpfte die Nase. »Stalking? Das ist nicht gut.«

»Na ja. Er schreibt Liebesbriefe und fotografiert.«

Krake schüttelte eindringlich den Kopf. »Das darfst du nicht unterschätzen. Diese Typen sind gestört, wahnhaft fixiert. Die stecken drin in einer Schleife und schrauben sich hoch. Dass er im Haus der Vlints gewesen ist, ist ein ganz, ganz bedrohliches Zeichen.«

»Ich bin vorbereitet.«

»Sei bloß vorsichtig! Wer weiß, wie der Stalker auf dich reagiert.«

»Auf mich?«

»Stalker projizieren ihre Ängste und Sorgen um das eigentliche Objekt ihrer Begierde gelegentlich auf Personen, die sie im Umfeld des Opfers ausmachen. Kann sein, dass er dich als Gefahr wahrnimmt, dann sieh dich vor. Im Oberstübchen stimmt bei denen was nicht. Bei Jeanette Biedermann ist mal ein Kerl eingebrochen und hat in ihrem Bett gelegen. Halle Berry hat seit vielen Jahren einen Spinner an den Hacken. John Lennons Mörder war auch eine Art Stalker.«

»Wie kann ich eine Gefahr sein?«

»Carmen Vlint vertraut dir, deshalb hat sie dich engagiert. Sie sollte aber ihm vertrauen. Wozu braucht es dich? Wenn du nicht mehr da bist, dann wird Carmen sich an ihn wenden. Du gehörst aus dem Weg geräumt.«

Hartmann schluckte. Also, so hatte er das noch gar nicht gesehen. »Du übertreibst.«

»Mitnichten. Denk an 1993, Monica Seles, die Tennisspielerin. Ihr hat ein Fan von Steffi Graf in den Rücken gestochen, weil er wollte, dass Steffi die Nummer eins der Rangliste wird. Monica Seles war im Weg. So gesehen hat es Monica Seles zufällig und vollkommen willkürlich getroffen. Ich an deiner Stelle würde die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen.«

In den Rücken gestochen? Wahnhaft fixiert? Missmutig stellte Hartmann fest, dass Krake seine gute Stimmung in den Keller geschickt hatte.

Krakes folgenden, ausführlichen Schwärmereien über Carmen Vlint und wahlweise Samantha König lauschte er schweigend. Wenn es nach seinem Lieblingswirt ging, stünde Carmen Vlint kurz vor der Seligsprechung und war reif für den Oskar.

Hartmann stellte auf Durchzug, leerte schweigend und ab und zu nickend seinen Becher und verabschiedete sich knapp.

»Pass auf dich auf!«, rief Krake ihm hinterher.

»Ja, ja«, knurrte Hartmann.

Auf dem Heimweg erwischte Hartmann sich dabei, wie er mehrmals seinen Blick unauffällig kreisen ließ. Ihm fiel nichts Verdächtiges auf, aber Krake hatte ihm einen nervigen Floh ins Ohr gesetzt. Grantig musste er einräumen, dass Krake in der Vergangenheit häufig den richtigen Riecher gehabt hatte.

»Pass auf dich auf«, murmelte Hartmann …

Und überhaupt: Soooo gut hatte die Frikadelle jetzt auch nicht geschmeckt.

* * *

Seine Reisetasche war schnell gepackt. Hartmann wechselte schließlich nicht den Kontinent, sondern nur das Stadtviertel. Schnell kippte er eine Wochenration Wasser zur Yucca. Sein Blick glitt zur hölzernen Deckenverkleidung gleich über dem Schreibtisch. In einem Fach warteten dort oben eine scharfe Knarre samt Munition und ein Satz Mettmanner Nummernschilder ungeduldig auf den nächsten Einsatz, aber – Monica Seles und Jeanette Biedermann hin oder her – der Fall ließ sich nicht so an, als ob er die Sachen brauchen würde. Sicherheitshalber packte er drei CDs ein. Jetzt noch ein Telefonat.

»Sommer Metall AG, von Apprath am …«, meldete sich der gewünschte Teilnehmer.

»Schotter, alter Trickbetrüger«, grüßte Hartmann den einzigen Kerl seiner alten Clique, der es in eine bürgerliche Existenz geschafft hatte.

»Hartmann, ich stecke bis zum Hals in Arbeit«, grüßte Schotter verhalten freundlich zurück.

Seit Hartmann als Privatdetektiv arbeitete, hatte Schotter eine latent abwehrende Art ausgebildet, die es unbedingt zu ignorieren galt. »Das ist bei mir ähnlich. Nur mein Hals ist hübscher. Schotter, ich habe ein Anliegen.«

»Klar, sonst hättest du nicht angerufen.«

Und frech. Frech war er geworden, der Gero von Apprath.

»Ich habe in letzter Zeit Probleme mit meiner Kohle. Also, beim Abheben.«

»Vielleicht hast du ja keine?«

»Ich habe während meiner Fußballerzeit brav was auf die Seite gelegt, da müsste reichlich sein.«

»Stimmt die PIN-Nummer?«

»Ich bin kein Trottel.«

»Du benimmst dich aber manchmal wie einer.«

»Ich weiß, wie man vier Zahlen in eine Tastatur tippt.«

»Die richtigen Zahlen? In der richtigen Reihenfolge? Die vielen Kopfbälle? Das kommt schleichend.«

»Ich komm gleich schleichend zu dir rüber. Außerdem brauche ich in einer privaten Angelegenheit eine größere Menge Bargeld. Schnell. Mein Erspartes ist aber angelegt. Jetzt kommst du ins Spiel, wo du doch alle legalen und illegalen Tricks kennst. Du musst für mich was flüssig machen.«

Schotter atmete hörbar tief ein und aus. »Um wie viel Geld geht es?«

»23.000 Euro, die ich kurzfristig, also am besten morgen, auf der Kralle haben sollte.«

»Das wird schwierig.«

»Einfach kann ich selbst«, zitierte Hartmann Carmen Vlint.

»Das bezweifle ich. Wegen des Geldautomaten wende dich an deine Bank, wahrscheinlich ist irgendwas mit deiner Karte oder deiner PIN-Nummer nicht in Ordnung. Dann: Bei wem hast du deine Kohle angelegt?«

Hartmann zog die Visitenkarte, die er vorsorglich schon herausgesucht hatte, aus seiner Jeans. »Investmentberater Schröder & Schröder

Am anderen Ende blieb es still.

»Schotter? Noch dran?«

»Ja. Äh, wie kommst du denn auf die

»Die sind mir empfohlen worden. Von einem Fußballerkollegen. Bei denen haben damals mehrere aus dem Verein ihr Geld angelegt. Kommt gut was zusammen, du wirst dich wundern. Muss ja auch als Altersvorsorge reichen.«

»Äh, genau.«

»Is was?«

»Nein, alles gut. 23.000 Euro, so schnell wie möglich«, wiederholte Schotter. »Ich melde mich.«

Hartmann legte auf. Dann war das erledigt. Er wechselte noch mal schnell vom Wohnzimmer/Büro ins Schlafzimmer, entnahm der Weichholzkommode seine Badehose und stopfte sie auch noch in die Reisetasche. Wenn es schon eine Schwimmhalle gab, dann wollte die auch genutzt werden.

* * *

Die Fahneburgstraße, eine Verlängerung des Mörsenbroicher Weges in Richtung Grafenberger Wald, war wenig befahren. Gehobene Wohngegend. In unmittelbarer Nähe befand sich der vornehme Rochus Club. Hier hatten sich unter den fachkundigen Augen von Roberto Blanco während der World Team Cups die Großen der schillernd weißen Tenniswelt die gelben Filzbälle um die Ohren geschossen.

Links Richtung Wald war die Fahneburgstraße bis auf ein einzelnes Haus unbebaut. Auf der rechten Seite reihte sich ein repräsentatives Wohnhaus ans nächste.

Im schwachen Licht der schnell einsetzenden Dunkelheit erkannte Hartmann das Haus mit der Nummer 22. Die Details zum Anwesen speicherte er gründlich ab, sich vor Ort gut auszukennen, war wichtig!

Zwei Etagen war das Gebäude hoch, Spitzdach, viel Holz. Es lag einige Meter erhöht und war fußläufig über eine breite Natursteintreppe zu erreichen. Für Fahrzeuge hatten die Erbauer eine großzügige Auffahrt angelegt, die es ermöglichte, bis vor die Haustür zu fahren. Das Gebäude war efeuumrankt und wirkte wie ein südenglisches Herrenhaus, fast wähnte man sich in einem Krimi mit Inspector Barnaby. Im schräg nach oben angelegten Vorgarten blühte es in allen Farben, die die Natur im Angebot hatte.

Links vom Wohnhaus schloss sich eine Doppelgarage an und trennte auf diese Weise das Haus der Vlints vom Nachbargebäude. Rechts setzte ein farblich weiß abgesetzter Anbau mit Flachdach, in dem sich augenscheinlich Hallenbad und Gästewohnung befanden, einen modernen Akzent. Dieser Trakt hatte einen zweiten, separaten Zugang an der rechten Gebäudeseite.

Und eine Auffahrt. Dort wurde Hartmann erwartet. Von einem grauen VW Golf. Außerdem erkannte er daneben Norman, den Fahrer.

Hartmann bedankte sich zunächst bei einem indischen Taxifahrer, zahlte und zog eine Reisetasche vom Rücksitz.

»Herr Hartmann, nehme ich an?«

»Daselbst.« Hartmann schüttelte die kräftige Hand des Mannes, der auf ihn gewartet hatte, und nickte zum Golf. »Ich hatte irgendwie doch noch auf einen Maserati gehofft.«