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Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Leichenpuzzle

Die Ausrottung der Nachbarschaft

Tod unter Gurken

Kai Magnus Sting, geboren 1978, schreibt Kabarettprogramme, Hörspiele, Kriminalromane, Kurzgeschichten und Kolumnen für Radio und Zeitung. Seit über 25 Jahren ist er mit seinen Bühnenprogrammen auf Tournee, produziert Live-CDs und Hörspiele, ist häufig im Fernsehen zu bestaunen und im Radio zu hören und hat für seine kabarettistischen Arbeiten bereits zahlreiche Preise gewonnen, zuletzt 2019 den »WDR Publikumspreis zum Deutschen Hörbuchpreis« für »Tod unter Lametta«.

Bei KBV veröffentlichte Kai Magnus Sting bislang »Leichenpuzzle«, »Die Ausrottung der Nachbarschaft« und »Tod unter Gurken«. www.kaimagnussting.de

Kai Magnus Sting

Das ABC des
schönen Mordens

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© 2019 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung und Zeichnungen: Ralf Kramp
Lektorat: Volker Maria Neumann, Köln
Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm
Printed in Germany
Print-ISBN 978-3-95441-460-4
E-Book-ISBN 978-3-95441-469-7

Inhalt

Vorbemerkung und Handreichung zum Gebrauch des Handbuchs des stilvollen Abmurksens

PROLOG

Kapitel A

Kapitel B

Kapitel C

Kapitel D

Kapitel E

Kapitel F

Kapitel G

Kapitel H

Kapitel I

Kapitel J

Kapitel K

Kapitel L

Kapitel M

Kapitel N

INTERLOG

Kapitel O

Kapitel P

Kapitel Q

Kapitel R

Kapitel S

Kapitel T

Kapitel U

Kapitel V

Kapitel W

Kapitel X

Kapitel Y

Kapitel Z

Ä Ö Ü

Epilog

Nachbemerkung und Dank

Vorbemerkung und Handreichung

zum Gebrauch

des Handbuchs des stilvollen Abmurksens

Krimi, ach.

Nicht das Wer?! oder Warum?! – das Wie?! ist entscheidend!

Dem armen, alten Alphabet ist schon so viel zugemutet worden, und jetzt auch noch das!

Hier ist es nun endlich: das ultimative Nachschlagewerk, wenn es ums stilvolle Abmurksen, Morden, Meucheln, Umdieeckebringen geht. Von A wie Ameisenhaufen oder Abbeizen über K wie Krabbensalat bis Z wie Zimtschnecke oder Ziegenbiss.

Dieses Bändchen ist also ein notwendiger Leitfaden für alle, die ihr Verhältnis zur Nachbarschaft, zum Partner, zum Vorgesetzten oder anderen unliebsamen Mitmenschen sinnvoll und endlich umgestalten wollen.

Dieses Buch lässt sich auf mehrere Arten lesen. Zum einen ganz herkömmlich von Anfang (vorne) bis Ende (hinten) als eine Art Roman mit für sich stehenden, abgeschlossenen Kapiteln. Zum anderen wie eine Sammlung von Kurzgeschichten; hinter jedem Buchstaben-Kapitel verbirgt sich eine andere abwegige Geschichte. Aber es lässt sich eben auch wie ein Nachschlagewerk lesen: Man kann unchronologisch von Buchstabe zu Buchstabe springen und nachlesen, wie es sich unter entsprechender Letter morden lässt.

Aber bitte: Dieses Buch versteht sich weder als Ratgeber noch als erzählendes Sachbuch. Auch bitte ich darum, von eventuellen Nachahmungen Abstand zu nehmen. Und falls Sie nicht Abstand nehmen können sollten, dann schieben Sie es bitte nicht mir in die Schuhe. Ich habe mir das alles nicht ausgedacht, sondern die drei älteren Herren auf den folgenden Seiten. Vielen Dank.

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Lebendig werden Sie hier nicht mehr rauskommen!«

»Na und?!«, brummte Alfons Friedrichsberg gleichgültig. »Das denke ich mir seit dem Tag meiner Geburt.«

Wutentbrannt und mit einem langen, scharfen Küchenmesser bewaffnet, ging die ältere, rundliche Dame auf den schwergewichtigen Rentner und Amateurkriminologen los.

Aber da sind wir noch gar nicht.

Zurück zum Anfang.

Es war ein höchst ungemütlicher Abend. Den ganzen Tag hatte es geschüttet wie aus Eimern, dazu pfiff ein kalter Ostwind um die Häuser, ein heftiges Gewitter war aufgezogen, Starkregen hatte eingesetzt.

Und eine Unwetterwarnung hatte es auch noch gegeben.

Alfons Friedrichsberg, Jupp Straaten und Willi Dahl waren an diesem Abend Gäste einer Lesung in einer Buchhandlung gewesen.

Zuvor hatten sie noch unbedingt zu einem Gartencenter fahren müssen, da Straaten reißfeste Kordel für zwei Bäume hinter seinem Haus benötigte.

Dann die Buchhandlung. Autorenlesung. Ein Kriminalroman. Der Autor: Heinz Müller (ein Künstlername, verständlicherweise – der wirkliche Nachname hatte so viele Konsonanten, dass er unaussprechlich und unbuchstabierbar war).

Das Buch hatte folgendermaßen begonnen: Die große Blondine hatte die Türe zu meinem Büro aufgerissen. Mir fiel die Zigarette aus dem Mundwinkel. »Ich habe einen Auftrag für Sie. Es geht um Leben und Tod.« Und schon ging die Fensterscheibe hinter mir zu Bruch und einige Geschosse fanden ihre letzte Ruhe in der Wand neben mir.

Geendet hatte es mit: Sie schaute mir unendlich dankbar in die Augen, zog eine Knarre aus ihrer Handtasche und schoss mir in den Kopf. Ich war augenblicklich tot.

Der Rest dazwischen: überflüssiges Zeug.

Die drei älteren Herren waren unzufrieden mit dem Verlauf des Abends und hatten beschlossen, ihren Unmut mit einigen kalten Bieren auszudrücken und waren zu diesem Zweck in ihre Stammkneipe Zum blauen Heinrich eingekehrt.

Die nassen Mäntel hingen am Haken, die Biere – nebst flankierenden Schnäpsen – standen auf dem Tisch, die Laune kehrte zurück.

Man schwieg in friedvollem Einverständnis.

Da trat plötzlich eine rundliche, ältere Dame an ihren Tisch.

»Ist es gestattet, bei Ihnen Platz zu nehmen?«

Dahl hatte vor sich hingeträumt, Straaten war – alte Schule – sofort aufgesprungen, Friedrichsberg hatte kurz hochgeschaut und knapp genickt.

»Suchen Sie nur Gesellschaft oder können wir Ihnen mit irgendetwas behilflich sein?«, grummelte der Dicke.

»Sie kommen aber unverzüglich auf den Punkt.«

»Ja. Zu viele Kommata säumten meinen Weg. Ich bin in einem Alter, da setze ich nur noch Ausrufungszeichen.«

Die ältere Dame lächelte und nahm Platz.

»Also?«

»Mein Name ist Agathe Bertha Coriander.«

»Soso. ABC.«

»Ganz genau.«

»Ungewöhnlicher Name.«

»Den Namen habe ich dem Humor meiner Eltern zu verdanken. Die fanden das wohl originell.«

»Ist es ja auch.«

»Darf ich Sie, wo ich Sie hier schon störe, auf ein Getränk einladen? Wie ich sehe, konsumieren Sie Bier und Schnaps. Darf es noch eine Runde sein?«

Dahl nickte still, Straaten meinte, dass er einem Freigetränk durchaus wohlwollend entgegensehen würde, und der Dicke grummelte: »Wenn Sie schon unsere Zeit rauben, können Sie es wenigstens toxisch versüßen. Also: Danke, ja.«

Die rundliche Dame drehte sich zum Wirt um, der hinter seinem Tresen stand, zapfte und sich ab und an wohlwollend in die Gespräche seiner Thekengäste mischte, und orderte vier Biere und drei Schnäpse; auf Hochprozentiges schien sie verzichten zu wollen.

»Was können wir denn für Sie tun, Frau Coriander? Und warum wir? Und wieso sind Sie hier? Ist unser Zusammentreffen Zufall oder Absicht?«

»Nun, Herr Friedrichsberg, Sie sind mir bekannt. Ich habe über Sie und Ihr, ich möchte mal sagen, kriminalistisches Hobby bereits mehrmals in der Zeitung gelesen. Sogar ein Buch mit morbiden Abenteuern habe ich verschlungen. Und im Radio habe ich Ihre Taten verfolgt.«

»Hört, hört.«

»Und ich weiß von einer Bekannten, die der Cousine der Schwägerin von Frau Büttner von Blumen Büttner – wo Sie wohl ab und an Florales kaufen – die Füße macht, wo Sie gerne sitzen und trinken und sinnen.«

»Aber dass wir hier heute Abend …«

»In der Tat, ein willkommener Zufall. Glück muss der Mensch haben.«

»Nennen wir es doch fürs Erste: Schicksal.«

»Von mir aus.«

Frau Coriander drehte sich Richtung zapfender Wirt, erhob sich etwas mühsam, ging zum Tresen, kehrte dann mit einem Tablett an den Tisch zurück und stellte die Biere und Schnäpse auf die Filze.

»Wohl bekomm’s!«

»Möge es nützen.«

»Prost!«

»Wohlsein!«

Alle nahmen große Schlucke, Alfons Friedrichsberg wischte sich den Schaum aus dem Schnurrbart und lächelte die Dame am Tisch an.

»Nun, die Einladung ist eingelöst, Sie wissen, wer wir sind und warum wir hier sitzen. Jetzt: Was können wir, was kann ich, für Sie tun?«

»Ach, das hier und jetzt vor Ihnen auszubreiten, das würde zu lange dauern. Um es kurz zu machen: Ich brauche Ihre Hilfe. Ihre Unterstützung. Es geht um alles. Es geht um die Zukunft. Es geht ums Ganze. Um die Kultur. Um die Menschheit.«

»Och, wenn’s mehr nicht ist.« Alfons Friedrichsberg leerte sein Bier mit einem Schluck. »Um das alles zu klären, bräuchte ich aber noch mal Nachschub. Herr Ober …!« Mit einem Wink des leeren Bierglases bedeutete der Dicke dem Gastronomen, aufzufüllen. Dann beugte er sich vertrauensvoll und geheimniskrämerisch zu der einzigen Dame am Tisch. »Aber sagen Sie mal … Zukunft, Kultur, Menschheit … Geht’s nicht auch ’ne Spur kleiner?«

»Nein! Ganz und gar nicht! Wir müssen …«

Und hier brach es ab.

Es war nur noch Schwärze überall.

Ein tiefes, dunkles Loch.

Und mittendrin Alfons Friedrichsberg.

Ob alleine oder mit seinen beiden Freunden, das konnte er nicht sagen.

Auch, wie lange er in diesem Loch zugebracht haben musste, wusste er nicht.

Als es wieder heller wurde, war er nicht mehr in der Kneipe.

Vor dem Licht kam aber zunächst das Geräusch. Der Sturm pfiff immer noch und ließ den Regen gegen die Mauern prasseln.

Langsam öffnete Alfons Friedrichsberg seine Augen. Als Erstes sah er Willi Dahl, der ihm gegenüber verängstigt auf einem Sofa saß. Neben ihm Jupp Straaten, allem Anschein nach noch bewusstlos.

Vorsichtig und ohne sich zu rühren, schaute er sich in dem Raum um. Es war ein verhältnismäßig großer Raum. Laura Ashley hing an den Wänden, rechts von ihm dominierte eine imposante Bücherwand den Raum, dieser gegenüber führte eine schmale Türe wohl in ein weiteres Zimmer. Dicke Perser lagen auf dem Parkettfußboden, er selber auf einem Sofa.

Jetzt fing Straaten an, sich zu rühren; er wurde wach.

Friedrichsberg vernahm das Räuspern einer weiblichen Person hinter sich.

Mit einem Ruck setzte er sich auf, nickte kurz seinen beiden Freunden zu, und schon trat die rundliche, ältere Dame aus der Kneipe vor die drei.

»Ich möchte mich Ihnen noch einmal kurz vorstellen. Mein Name ist Agathe Bertha Coriander. Ich bin Literaturprofessorin. Emeritiert.«

»Fein«, brummte Friedrichsberg. »Uns müssen wir ja wohl nicht mehr vorstellen. Wir sind Ihnen ja hinlänglich bekannt. Und wo sind wir hier?«

»In meinem Haus.«

»Schön. Und wo ist das?«

»Irrelevant.«

»Geht’s noch ungenauer?«

»Nicht weit von Ihrer Stammkneipe entfernt. Aber was ist schon Weite?« Frau Coriander lächelte gefährlich.

Friedrichsberg lächelte ebenso zurück. »Was ist schon Nähe?«

»Hach, es ist herrlich, wenn man auf Gleichgesinnte trifft.«

»Nun ja, gleichgesinnt … Ich weiß nicht …« Friedrichsberg strich sich über den Schnurrbart. »Ich käme nicht auf die Idee, jemanden zu betäuben und durch Sturm und Regen zu mir nach Hause zu ziehen.«

Die rundliche Dame verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Haus ist auf dem Lande. Ziemlich abgelegen. Kein Netz. Direkte Nachbarn habe ich nicht. Das nächste Haus ist einen guten Kilometer entfernt. Da haust ein trunksüchtiger Bauer, der um diese Uhrzeit voll wie ein Loch zwischen seinen Kühen liegt.«

»Klingt nach Niederrhein, Eifel oder Sauerland. Da Sie uns aber in unserer Kneipe überrascht haben, läuft’s wohl auf den Niederrhein hinaus.«

Die ältere Dame lächelte.

»Wie sind wir denn nun hierhergekommen?«, wollte Straaten wissen.

»Mit dem Auto.«

»Ah ja.« Alfons Friedrichsberg schaute ungläubig. »Und Sie haben uns hier reingeschleppt.«

»Ich bin eine starke Frau.«

»Natürlich.«

Straaten nickte langsam »Und dass Sie dazu in der Lage waren …«

»… haben wir dem Umstand zu verdanken«, unterbrach ihn Frau Coriander, »dass ich Ihnen was ins Bier getan habe.«

»Die ausgegebene Runde …« Dahl schüttelte den Kopf.

Und Straaten hakte nach: »Ein Betäubungsmittel?«

»Ganz richtig.«

Die drei Gäste verstummten für einen kurzen Augenblick.

»Und wenn ihr der Wirt geholfen hat?«, fragte Dahl den Dicken.

»Glaube ich nicht.«

»Die muss ihm ja nur gesagt haben, dass es uns nicht gut gehe und ob er ihr helfen könne, uns da rauszuholen.«

Auch Straaten schüttelte den Kopf. »Der würde doch sofort Lunte riechen.«

»Und die Polizei verständigen?«

»Möglich.«

»Dann rückt hier gleich ein SEK an oder ein MEK?«

»Das wiederum halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.« Friedrichsberg kratzte sich am Kopf; dann wandte er sich an die ältere Dame. »Sie sind Professorin gewesen. Vielleicht ist es ein ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen, mit dem zusammen sie uns hierhin verfrachtet hat.«

Wieder lächelte Frau Coriander gefährlich.

Dann fragte Friedrichsberg: »Was haben wir hier denn nun verloren?«

Langsam durchschritt Agathe Bertha Coriander den Raum, schaute sich um, begutachtete, wippte dabei leicht mit ihrem rundlichen Oberkörper. »Wie Sie sehen, lese ich sehr gerne. Und sehr viel. Ich liebe unsere Sprache, ich liebe Literatur, ich habe es viele Jahrzehnte lang gelehrt. Ich liebe Buchstaben und schöne Wörter. Auch hier in meinem Hause ist fast alles alphabetisch geordnet.« Sie schien sichtlich stolz darauf zu sein; und setzte noch einen drauf: »Ich habe sogar einen eigenen Buchstaben kreiert, ich weiß nicht, ob der Ihnen etwas sagt, das ist eine Mischung aus Konsonant und Vokal, das Ogam, auch Konal genannt.«

»Es wird ja immer uninteressanter.« Friedrichsberg zog die Augenbrauen hoch. »Noch mal: Was sitzen wir hier?«

Die ältere Dame blieb stehen und schaute den Dicken an. »Wissen Sie, ich brauche Sie als Ideengeber.«

»Wofür?«

»Sie kommen hier nur lebend raus, wenn Ihnen abseitige Mordmethoden einfallen.«

Friedrichsberg verstand nichts; er schaute seine beiden Freunde an, die zuckten mit den Schultern. Er wandte sich wieder an die Gastgeberin. »Was denn für Mordmethoden? Ein Schuss, etwas Gift, ein Halstuch, ein Hammer …?«

»Nein, nein, nein.« Sie lachte leicht auf. »Bitte nicht so einfallslos. Sie sind doch kluge Geister! Sie haben Vorstellungsvermögen, Phantasie. Und die ist jetzt gefragt.«

»Wir sollen uns also Mordmethoden einfallen lassen?«, ergriff jetzt Straaten das Wort. »Was hätten Sie denn da gerne?«

Und auch Dahl meldete sich zu Wort. »Geschnitten oder am Stück? Darf’s auch gerne ein Viertelpfund mehr sein?«

Verständnisvoll schaute die Dame die beiden an. »Ich benötige mehrere Mordmethoden, die ungewöhnlich sind, auf die Ermittelnde und Deduzierende nicht sofort kommen.«

»Wofür brauchen Sie denn diese Mordmethoden?«, wollte Straaten wissen.

»Und sagen Sie mir bitte nicht, aus Jux und Dollerei«, warf Friedrichsberg ihr einen strengen Blick zu.

»Mitnichten. Für solche Kinkerlitzchen würde ich Sie doch nicht hierherbemühen.«

»Wir sind nicht bemüht worden. Sie haben sich be- und abgemüht, uns hierher zu verfrachten. Freiwillig sind wir hier nicht.«

»Also, ich will einige Leute umbringen und suche für jeden einzelnen eine hübsche, ungewöhnliche Mordart.«

Die drei stutzten, jeder für sich, und schauten die ältere Dame in der Mitte des Raumes an.

Friedrichsberg brummte: »Sie haben sie doch nicht mehr alle.«

»Mäßigen Sie Ihren Ton!«, fuhr Frau Coriander den Dicken an. »Mich nervt der Umgang der Leute mit unserer wunderschönen Sprache.«

»Na und?«

»Diese Missachtung der Sprache, diese unsinnigen und überflüssigen Reformen. Die vielen falschen Wörter, Unwörter, all das, was man Schlimmes und Schlechtes mit der Sprache anstellen kann … Es ist genug. Es reicht.«

»Nun …«

Aber Frau Coriander machte weiter: »Sie kennen doch auch diesen Nachrichtensprecher im Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen mit P, der die Sätze so seltsam verdreht. Für den beispielsweise suche ich eine nette Mordmethode mit P.«

»Ach.«

»Oder nehmen Sie diese Werbefuzzis, denen immer wieder blöde Wortneuschöpfungen einfallen. Und wir müssen die dann auf Plakaten und im Fernsehen sehen und im Radio hören.«

»Lassen Sie mich raten«, riet Friedrichsberg, »da brauchen Sie was mit W.«

»Jawohl. Oder Schlagersänger mit dämlichen Texten …«

»Da braucht’s das S«, sagte Straaten.

»Lyriker mit nicht dichtenden Reimen.«

»Das L«, kam von Dahl.

Die ältere Dame nickte begeistert. »Es gibt so viele unerträgliche Dinge, die mit der Sprache angestellt worden sind und werden … Diese dämlichen Reformen … Ich halte es einfach nicht mehr aus.«

»Mimen, die nuscheln …«

»Ganz genau. Sie haben es verstanden, Herr Friedrichsberg.«

»Das freut mich.«

»Wir müssen dem Einhalt gebieten.«

»Gerne. Aber doch nicht durch Morde.«

»Wie denn sonst?« Agathe Bertha Coriander schaute Friedrichsberg an, als hätte der sie nicht mehr alle beisammen. »Oder nehmen Sie diese unsäglichen Apostroph-Idioten.«

»Wer sind das?«

»Die finden Sie überall. Ich habe letztens an einem Bahnhofsimbiss in der Provinz gelesen: »Bei uns gibt’s Jacob’s’-Kaffee!« Das ist doch krank.«

Alfons Friedrichsberg spitzte die Lippen. »Wofür wird die Mordmethode hier benötigt? Für B wie Bahnhof, I wie Imbiss, P wie Provinz oder J wie Jacobs-Kaffee?«

»Fürs A wie Apostroph.«

»Ah ja. Und wenn wir das nicht machen?«

Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn der älteren Dame, ihr Ton wurde schärfer und gereizter: »Sie können sich gerne dagegen wehren. Aber dann werden Sie hier elendig verhungern. Ihre Mobiltelefone sind zwar noch in Ihrem Besitz, aber ohne Wirkung, weil wir hier kein Netz haben. Sie wissen nicht, wo Sie hier sind. Keiner weiß, dass Sie hier sind. Wenn Sie sich diese verschiedenen Mordmethoden nicht ausdenken, dann ist es das mit Ihnen gewesen, meine Herren.«

»Wir werden doch von Ihnen als Racheinstrument missbraucht«, ärgerte sich Straaten.

»Sehen Sie es, wie Sie wollen. Das ist ein freies Land.«

»Nun ja, für uns im Moment weniger.« Friedrichsberg verschränkte die Hände vor seinem runden Bauch und drehte Däumchen.

»Ich gebe Ihnen sechsundzwanzig Stunden Zeit.« Sie räusperte sich, tat ein paar Schritte auf die Türe zu und wies einladend mit der Hand zum Nebenraum. »Darf ich Sie drei jetzt hinüberbitten?«

»Um was zu tun?«, wollte Straaten wissen, dem sichtlich unwohler wurde.

»Um am mörderischen Alphabet zu arbeiten. Lassen Sie sich treiben, Ihre Phantasie fliegen, denken Sie sich etwas aus.«

Friedrichsberg erhob sich schwerfällig.

Die ältere Dame lächelte. »Im Nebenraum steht ein Kühlschrank, da sind kalte Getränke drin, drei Sitzmöglichkeiten und ein Tisch. Mehr braucht es ja nicht.«

»Wenn Sie das sagen …«

»Einen Aschenbecher habe ich Ihnen auch noch reingestellt. Sie wollen doch bestimmt zwischendurch mal rauchen.«

»Gehen die Fenster auf?«, wollte Straaten wissen.

»Selbstverständlich nicht. Sie sind ja eingeschlossen.«

Straaten warf seinem dicken Freund einen strengen Blick zu. »Dann möchte ich nicht, dass du rauchst.«

Der winkte matt ab. »Wir werden sehen.«

»Das kenne ich.«

Frau Coriander ergriff wieder das Wort. »Auf dem Tisch befindet sich ein Aufnahmegerät, das schneidet Ihre Gespräche mit.«

Friedrichsberg ging ein paar Schritte auf sie zu. »Wollen Sie es hinterher abtippen?«

»Wer weiß.« Frau Coriander sah jedoch so aus, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. »Benötigen Sie vielleicht etwas zu essen?«

»Was haben Sie denn im Angebot?«

Sie tat die Frage ab. »Nun, ich habe das für mich übliche im Haus: Buchstabensuppe oder russisch Brot.«

Alle drei verzogen das Gesicht, jeder für sich, jeder sein eigenes. »Vielen Dank, wir verzichten.«

»Gut.« Die ältere Dame seufzte. »Für alles andere ist gesorgt. Wenn ich Sie jetzt hinüberbitten darf?«

»Ungern.«

»Bedenken Sie, Herr Friedrichsberg: In meiner Jackentasche befindet sich ein Revolver. Und ich bin eine ausgezeichnete Schützin.«

»ABC-Schützin. Nichts anderes habe ich erwartet.« Friedrichsbergs Miene verfinsterte sich. »Wenn ich mal ganz ehrlich sein darf …«

»Bitte.«

»Ich habe auf Ihre selten dämlichen Spielchen überhaupt keine Lust. Ich glaube, ich weigere mich.«

»Lebendig werden Sie hier nicht mehr rauskommen!«

»Na und?!«, brummte Alfons Friedrichsberg gleichgültig, »Das denke ich mir seit dem Tag meiner Geburt.«

Wutentbrannt und mit einem langen, scharfen Küchenmesser (das sie irgendwo aus der K-Ecke gezogen hatte) bewaffnet, ging die ältere, rundliche Dame auf den schwergewichtigen Rentner und Amateurkriminologen los.

Der wich zurück und hielt seine Hände schützend zwischen sich, das Messer und die Dame. »Schon gut, schon gut, wir gehen ja.«

Agathe Bertha Coriander wies mit dem Küchenmesser auf die dem großen Bücherregal gegenüberliegende Türe. »Da rein.«

»Wenn man mich so lieb bittet …«

Friedrichsberg erhob sich schwerfällig, schaute seine beiden Freunde an, zuckte mit den Schultern und zog einen Flunsch. »Was bleibt uns übrig?«

Also standen Straaten und Dahl auch auf (schweigend) und gingen in den kleinen Raum hinter der Türe.

Links ein Fenster, vergittert, mit Fensterläden davor, vor Kopf ein winziger Kühlschrank auf dem Boden, an der rechten Wand ein bäuerlicher Kleiderschrank, in der Mitte des Raumes ein Holztisch, davor und daneben: ein Sessel und zwei Stühle; von der Decke hing eine zweckmäßige Lampe.

»Ach, Moment …«, unterbrach die rundliche Dame, als sie einen raschen Blick in den Raum warf. »Das Aufnahmegerät. Ich habe es doch noch nicht hier … Es müsste eigentlich auf dem Tisch … Warten Sie mal bitte …« Sie verließ den Raum wieder und ging zurück in die große Bibliothek.

Friedrichsberg schaute seine beiden Freunde an und zwinkerte ihnen zu, dann ging er der älteren Dame nach. »Kann ich Ihnen vielleicht …«

»Nein, nein, mein Aufnahmegerät …« Sie schaute sich in der großen Bibliothek um; schaute in Ecken, zog Schubladen auf, öffnete Schränke; nirgendwo fand sich dieses Gerät. »Das suche ich … Das müsste doch …«

»Soll ich mal hier am Bücherregal?« Mit wenigen Schritten war der Dicke ans Bücherregal getreten.

»Nein, nein«, tat die ältere Dame den Vorschlag fuchsig ab.

»Dass es vielleicht zwischen einem der Wälzer liegt?«

»Gehen Sie vom Regal zurück und zu Ihren Bekannten, bitte.«

Friedrichsberg tat wie ihm geheißen.

Die ältere Dame suchte weiter. »Wo ist es denn … Na … Oder vielleicht hier im Schrank …«

»Ich würde unter A wie Aufnahmegerät nachschauen.« Der Dicke gluckste auf. »Wo hier doch alles alphabetisch geordnet sein soll.«

»Sehr komisch, Herr Friedrichsberg, wirklich sehr komisch.« Sie ging zu einem kleinen Weichholzschrank und öffnete ihn. »Ach, da ist es ja.« Sie drückte die Schublade wieder zu und wandte sich den drei Herren zu. »So, darf ich bitten?!«

Jetzt war es Jupp Straaten, der – leicht gereizt – ärgerlich fragte: »Wozu wollen Sie uns bitten? Wir haben bereits Platz genommen.«

Frau Coriander betrat den kleinen Raum, stellte das Aufnahmegerät vor die drei auf den Tisch, schaltete es ein und lächelte ihre unfreiwilligen Gäste beinahe liebevoll an. »Ich begrüße es sehr, dass Sie sich bereiterklärt haben, mich hierbei zu unterstützen.«

»Nur fürs Protokoll«, Friedrichsberg hob den Zeigefinger. »Wir haben nichts. Wir sitzen hier gezwungenermaßen.«

Frau Coriander winkte ab. »Wie Sie wollen. Ich wünsche Ihnen eine gute und einfallsreiche Nacht. Meine Herren, habe die Ehre.«

Mit diesen Worten machte die Dame auf dem Absatz kehrt, verschloss mehrfach hinter sich die schmale Türe und entfernte sich hörbar.

Dann war es mucksmäuschenstill.

»Die ist weg«, sagte Dahl.

»Das Haus scheint hellhörig zu sein«, sagte Straaten.

Die drei lauschten in die Stille. Der Wind peitschte Regen ums Haus.

Straaten schaute sich um. »Jedenfalls diese beiden Räume. Also unserer und der daneben.«

»Dann kriegen wir wenigstens mit, wenn sie zurückkehrt«, grinste Friedrichsberg breit.

»Das kann doch nicht deren Ernst sein.« Dahl guckte verzweifelt aus der Wäsche.

»Ist es wohl aber.«

»Die hat uns hier eingesperrt, Fenster und Türen sind verrammelt, wir kommen hier nicht raus. Und nun? Friedrichsberg, sag was.«

Der zuckte nur mit den Schultern. »Was bleibt uns übrig? Irgendwas fällt uns schon noch ein.«

»Uns?!«

Straaten und Dahl schauten sich an.

»Nun gut, hast recht. Mir.« Der Dicke strich sich wohlig über seinen runden Bauch. »Und bis dahin denken wir uns ein paar nette Morde aus.«

Die drei überlegten.

Straaten schüttelte den Kopf. »Das ist doch eine absolute Unverschämtheit.«

»Stimmt, das ist es«, nickte der Dicke. »Aber ich habe bereits eine Idee, wie wir hier rauskommen.«

»Ja, dann mach doch was!«

»So einfach geht das nicht. Wir brauchen noch etwas Geduld. Und bis dahin …«, Friedrichsberg schürzte die Lippen und gluckste vor Vergnügen, »hecken wir was Hübsches aus.«

»Ich kann nicht ganz folgen.« Dahl guckte bedröppelt.

Alfons Friedrichsberg seufzte. »Es ist wie es ist: Wir sind hier eingesperrt. Frau C will, dass wir uns Morde für sie ausdenken. Ich bitte euch, wo kommen wir denn da hin. Aber ich habe Lust, aus dieser Not eine Tugend zu machen und das Rädchen ein bisschen weiterzustellen.«

»Was für eine Tugend und welches Rädchen?«

»Da uns eh nichts übrigbleibt, als hier zu hocken und zu sinnen, können wir auch was Sinnvolles sinnen. Nicht nur ein paar Morde, nein, lasst uns grundsätzlich morden.«

»Wie meinen?«

»Wir morden uns durchs ABC.«

Jetzt fand auch Straaten seine Sprache wieder. »Du schwafelst. Was sollen wir?«

»Wir denken uns für jeden Buchstaben abseitige, seltsame, kuriose Mordmethoden aus. Von A bis Z. Einmal durch. Für uns. Zum Spaß. Und das Ganze nehmen wir mit diesem kleinen Gerätchen hier auf.« Friedrichsberg tippte mit seinem dicken Wurstfinger auf das Aufnahmegerät vor ihnen auf dem Tisch. »Was sagt ihr?«

Schweigen.

Dann Straaten: »Hm …«, gefolgt von Dahl mit einem »Ich weiß nicht.«

Friedrichsberg zog die Augenbrauen hoch. »Ihr könnt gerne etwas anderes zum Zeitvertreib vorschlagen.«

»Tja …«

»Also …«

»Hm?«

Straaten und Dahl schauten sich an, nickten, und Straaten sagte: »Warum eigentlich nicht.«

»Einverstanden.«

»Prima.« Der Dicke klatschte in die Hände. »Denken wir uns das ABC des schönen Mordens aus.«

»Und da machen wir dann einen Leitfaden draus?«

»Wer weiß?!«

Die drei lachten.

Dann sagte Dahl: »Mir fällt grad was für O ein.«

»Sind wir doch noch gar nicht.«

»Oder K.«

»Kann jetzt hier jeder machen was er will?!«, wollte Straaten wissen. »Und wie?!«

»Im Prinzip ist es ja egal«, sagte Dahl.

Friedrichsberg nickte. »Stimmt. Aber lasst es uns doch ordentlich in der Reihenfolge machen.«

»Na gut.«

»Weil du es bist.«

Der Dicke gluckste vor Vergnügen und rieb sich die Hände.

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Alfons Friedrichsberg, schwergewichtiger Rentner und Amateurkriminologe, wollte als Erster das mörderische ABC beginnen. Er saß in einem recht bequemen Sessel, schaute seine Freunde an und begann mit einem: »Also A.«

Jupp Straaten und Willi Dahl schauten ihn an. In Erwartung, ob da noch etwas komme.

Sie munterten ihn auf: »A.«

Friedrichsberg schaute zackig zwischen seinen beiden Freunden hin und her. Dann zuckte er mit den Schultern. »Fällt mir nichts zu ein. Gibt’s hier eigentlich was zu trinken?«

»Das ist es«, freute sich Straaten, »Alkohol-Abusus.«

»Wie?«, kam von Willi Dahl.

Der höchst intelligente, verfressene und trinkfeste Amateurkriminologe schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Das ist es doch! Du trichterst einem so viel Fusel ein, dass er an der Menge verstirbt.«

»Grausam«, meinte Dahl. »Grad bei einem Trockenen.«

»Anaconda«, machte da aber Friedrichsberg schon weiter.

»Was?« Straaten hatte nicht ganz begriffen.

»Mordwerkzeug mit A: Anaconda.«

»Und wie willst du das machen?«

»Du legst sie dem Opfer ins Bett und dann schnappt die Schlange zu.« Der Dicke grübelte ein Momentchen nach. »Müsste dann aber ein Wasserbett sein.«

»Wieso?«

Friedrichsberg warf sich in die Brust. »Die Anaconda hält sich größtenteils in Gewässern auf. Aber vielleicht hat das Opfer ja auch eine feuchte Wohnung aufgrund eines Wasserschadens.«

»Und wird zum Mordopfer wegen eines Dachschadens«, sagte Straaten.

Der Dicke winkte ab. »Die Schlange umschlingt das Opfer und dann verschlingt sie es vom Kopfe an.«

»Ob man den Toten dann noch identifizieren kann?«, wollte Dahl wissen.

»Nur von den Füßen her.«

»Ich habe auch eine schöne Mordmethode«, sagte jetzt Jupp Straaten. »Ausdauersport. Aufs Laufband binden und so lange rennen lassen, bis nichts mehr geht.«

»Och«, winkte Friedrichsberg ab, »da sterben pro Jahr genug dran. Schön perfide fände ich als Methode Aussetzen.«

»Was soll das sein?«, wollte Dahl wissen.

»Du schnappst dir dein Opfer, betäubst es und setzt es irgendwo aus. Sagen wir mal … in der Taiga, Russland. Du kannst die Sprache nicht, triffst auf niemanden, hast keine Verständigung, bist plötzlich des Lebenssinns beraubt, man wird total ignoriert, ja, und dann wird’s eng. Man stirbt an eigener Einöde.«

Dahl tippte sich an die Stirn. »Das ist doch Unsinn.«

Alfons Friedrichsberg wiegte seinen mächtigen Schädel hin und her. »Die kältesten Monate liegen bei minus 10 Grad. Dann stirbt man eben an Erfrierung. Wenn du an eigener Einöde sterben und des Lebenssinnes beraubt sein möchtest, dann kannst du das aber auch einfacher haben: Manipulier doch einfach die Autofunktion des Wagens deines Tötungskandidaten. Du stellst dem alles aus, es geht die Klimaanlage nicht, kein Fenster geht auf, du kannst nicht wegfahren, das machst du im Hochsommer auf einer Lichtung, und dann sitzt der Kandidat bei 50 Grad in der Sonne fest. Kommt dich billiger als die Taiga.«

»Ist ja furchtbar«, sagte Straaten.

»Ein Albtraum«, befand auch Dahl.

Friedrichsberg aber grinste. »Auch ein schöner Mord: Du provozierst Albträume.«

»Wie machst du das?«

»Du inszenierst etwas. Vor den Augen deines Opfers. In seinem Alltag. Jeden Tag. Das wird ihn bis in seine Träume verfolgen. Wacht er auf, hält er alles für einen bösen Traum. Ist es aber nicht, denn er sieht diesen Albtraum wieder auf der Straße. Das hält er nicht aus und bringt sich um. Oder stirbt im Traum.«

Dahl dachte über etwas nach; dann sagte er: »Man könnte auch einen allergischen Schock provozieren.«

»Gute Idee«, strahlte der Dicke.

»Wenn jemand beispielsweise gegen Nüsse allergisch ist. Da rührst du einem morgens eine Unmenge rohe Nüsse ins Müsli, versteckst das Asthmaspray und dann ab die Post.« Von der eigenen Idee quasi überrumpelt, stellte Dahl nun fest: »Aber ist das nicht eher eine Mordmethode mit N wegen der Nüsse?«

»Es wird hier wohl noch viele Querverweise geben«, stellte Friedrichsberg fest. »Was ist denn mit Abbeizer?«

»Also du meinst jemanden auflösen in Beize?«, hakte Straaten nach.

»Nein, du beizt jemanden Schicht für Schicht ab.«

»Wie das denn?«

»Abbeizer auftragen, das Opfer schön in Klarsichtfolie einwickeln, damit der Abbeizer einwirken kann, und dann mit einem Spatel das Mordopfer abtragen.«

»Ist fast wie hobeln«, meinte Straaten.

Und Dahl korrigierte: »Das wäre ja wieder H.«

Jetzt rieb Friedrichsberg seine Hände aneinander und schmatzte laut auf. Das Folgende schien ihm überaus gut zu gefallen. »Was haltet ihr denn von Ameisenhaufen?«

»Wie meinst du das?«, fragte Straaten.

»Du betäubst dein Opfer, legst es mit dem Kopf voran in einen Ameisenhaufen und lässt es von den Tieren auffressen. Und wenn die Leiche nach zwei Wochen entdeckt wird, werden die Ameisen ganze Arbeit geleistet haben.«

Auch Dahl nickte. »Da bleibt nicht mehr viel übrig.«

»Wie in dem seltsamen Fall des Prälats Wundling.« Friedrichsberg grinste feist vor sich hin.

»Was für ein Prälat?«

»Erinnert ihr euch nicht mehr? Ist keine fünf Jahre her. Da hat man im Mayenwald, ungefähr zwanzig Kilometer von hier entfernt, die Reste einer Leiche in einem Ameisenhaufen gefunden.«

»Gibt’s doch gar nicht.«

»Gibt’s wohl, ich erzähl’s ja gerade. Die Leiche, besagter Prälat, ist da in, im wahrsten Sinne des Wortes, wochenlanger Kleinarbeit von den Ameisen aufgefressen worden. Man hat das als Wanderunfall abgetan.«

»Was?!«, empörte sich jetzt Straaten, »Das klerikal-tödliche Baden in Ameisen? Das ist allerhand. Sturz von Berggipfel, völlig einverstanden, aber Ameisen …?!«

Friedrichsberg beschwichtigte ihn. »Die Ermittlungen wären auch fast eingestellt worden.«

»Wären?! Wenn nicht …«

»Wenn nicht mir die Sache seltsam vorgekommen wäre.«

»Ein toter Prälat im Ameisenhaufen …« Auch Dahl schüttelte den Kopf. »Daran ist doch wohl alles seltsam.«

»Durchaus. Das Seltsamste daran jedoch war die Tatsache, dass es sich bei den Ameisen um rote Feuerameisen gehandelt hat.«

»Was heißt das?«

»Die sind äußerst selten hier in Europa. Ihr Gift ist sehr intensiv. Manche alternativen Medizinmänner benutzen es als Therapie bei Hautkrankheiten.«

»Und das alles heißt jetzt was?«

Alfons Friedrichsberg spitzte die Lippen. »Als einer der ersten am Tatort war Kaplan Kasimir, frisch gebackener Gottesmann, der auch den Beamten vor Ort seelsorgerisch zur Seite stand. Und der, der, bedauerlicherweise, gezeichnet ist mit einem unansehnlichen Hautausschlag, vornehmlich im Gesicht …«

»Selbstverständlich vornehmlich«, unterbrach Straaten den Dicken. »Hoffe ich jedenfalls. Wieso solltest du auch andere Körperteile des Geistlichen zu Gesicht bekommen?!«

»Geschenkt, geschenkt«, winkte der Angesprochene ab. »Also: Ein toter Prälat im roten Feuerameisenhaufen und Kaplan Kasimir mit Ausschlag.«

»Du meinst«, überlegte Dahl, »der Kaplan hat den Prälaten in dem Haufen entsorgt.«

»Und wie!«

»Warum hat sich dieser Wundling nicht gewehrt?«

»Der Kaplan wird ihn erschlagen haben. Oder erstochen, erschossen, vergiftet, derlei. Alles uninteressant. Viel interessanter ist doch die Tatsache, dass er auf die schöne Idee gekommen ist, die Leiche im Ameisenhaufen durch die Tiere des Waldes entsorgen zu lassen. Da nascht noch mal der Fuchs, da pickt die Krähe, an den Knochen haben die Wildschweine ihre helle Freude und so fort …«

»Und warum ausgerechnet dieser Kaplan Kasimir?«, wollte Straaten jetzt wissen.

»Weil der Prälat in genau diesem Haufen abgelegt worden ist. Der Mörder hätte jeden anderen Ameisenhaufen in irgendeinem Wald nehmen können. Aber er nimmt ausgerechnet den Haufen der roten Feuerameise. Und warum? Weil er ihn durch seine alternativ-medizinische Behandlung kennt. Und diese Kenntnis besaß Kaplan K.«

»Und das Motiv, bitteschön?« Jupp Straaten saß kerzengerade auf seinem Stuhl. »Wo ist der Zusammenhang zwischen den beiden?«

Friedrichsberg schnalzte mit der Zunge. »Das Internat Freudenthal.«

»Wieso?«

»Ratet mal, wer dort Lehrer war. Na? Für Latein und Religion.«

»Wundling?«

»Richtig. Und wer war Schüler dort zwanzig Jahre vorher? Und hatte Wundling als Relilehrer?«

»Kasimir?«

»Auch richtig. Und wenn man die drei Faktoren zusammenzählt: katholischer Pfaffe, zarter Knabe, Internat, da muss man nicht gut in Mathematik gewesen sein, um zu wissen, was unterm Strich dabei rauskommt.«

Die beiden verzogen angewidert ihre Gesichter.

»Schäbige Sache«, konstatierte Straaten. »Und das gleich bei A. Bah! Wie hast du den Kaplan denn überführt?«

»Ich habe ihn mit den bekannten Tatsachen konfrontiert. Die ganze Angelegenheit, und auch die Tatsache, dass er das alles nicht beichten konnte oder wollte, hat ihn so sehr beschäftigt, dass er sich freiwillig gestellt hat.«

»Kluger Mann. Und wieso hat er ihn erst vor fünf Jahren umgebracht?«

»Die beiden haben überraschenderweise gemeinsam eine Messe halten müssen. Sehen sich und dann brennen beim Kaplan die Sicherungen durch.« Alfons Friedrichsberg kratzte sich mit der linken Hand hinterm Ohr. »Den verschwindend geringen Rest der unschönen Geschichte konnte man im Ameisenhaufen finden.«

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Was ist denn mit B?« Dahl schaute in die Runde.

Alfons Friedrichsberg grinste über beide Ohren: »Brigitte Bardot.«

Die anderen beiden lachten.

»Doppel B«, schob der Dicke noch nach.

»Aber …«, sagte Dahl, »was soll das für eine Mordwaffe sein?«

Friedrichsberg spitzte die Lippen. »Die hat bestimmt so manchen Mann auf dem Gewissen. Und Gattin auch. Der eine Exitus beim Koitus, die andere hat’s an den Nerven dahingerafft.«

Straaten nickte. »Ich sag nur Gnadenhof.«

»Brigitte Bardot lebt auf einem Gnadenhof?«

Straaten warf Dahl einen kurzen Blick zu und winkte ab. »Ach …«

Der Dicke lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich such den Mord lieber im Kleinen. Was haltet ihr von einer simplen Bleivergiftung? Also dadurch, dass man am Bleistift leckt. Oder Blei im Wein.«

»Blei im Wein?«

»Ja, Straaten. Bei alten Weinen …«

»Bei jungen ist es wohl eher Pflanzenschutzmittel.«

»Seit wann schreibt man denn Pflanzenschutzmittel mit B?«, fragte Dahl.

»Mir fällt da die gute alte Blutspende ein.« Der Dicke strich sich über den Haarkranz.

»Wie stellst du das an?«

»Ich schließe mehrere Kanülen an, betäube mein Opfer und sauge dem das Blut bis auf den letzten Tropfen raus.«

»Die VV.« Straaten lächelte.

»Hm?«

»Vampirvariante.«