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Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:

Aachener Todesreigen

Aachener Intrigen

Ingrid Davis (Jahrgang 1969) ist gebürtige Aachenerin und begann bereits im Alter von zehn Jahren mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, Novellen und Gedichten. Ihr Weg führte sie nach dem Studium Englischer Literatur und Geschichte jedoch zunächst nicht in die Schriftstellerei, sondern ins Marketing und Projektmanagement. Hauptberuflich ist sie auch heute noch als Marketingmanagerin tätig und lebt mit ihrem Partner in Aachen. Neben dem Krimischreiben verbringt sie ihre Freizeit gerne mit Reisen, Kino, Literatur und Strategiespielen.

Aachener Gangster ist der dritte Band der Reihe um die schlagfertige Privat-Ermittlerin Britta Sander, die ein verhängnisvolles Talent besitzt, in gefährliche Situationen zu geraten.

Ingrid Davis

AACHENER
GANGSTER

Britta Sanders dritter Fall

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Originalausgabe

Meinen Eltern

Inhalt

PROLOG: MITTWOCH, 8. MÄRZ

MONTAG, 6. MÄRZ

DIENSTAG, 7. MÄRZ

MITTWOCH, 8. MÄRZ

DONNERSTAG, 9. MÄRZ

FREITAG, 10. MÄRZ

SAMSTAG, 11. MÄRZ

SONNTAG, 12. MÄRZ

MONTAG, 13. MÄRZ

FREITAG, 17. MÄRZ

DANKE!

PROLOG

MITTWOCH, 8. MÄRZ

21:00 Uhr

Körber nahm mich in die Arme und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

»Du kratzt«, kicherte ich.

»Ich weiß«, brummte er und löste sich seufzend von mir. »Ich hab so viel Lust zum Arbeiten wie ’ne Sau zum Singen. Verdammte Nachteinsätze.«

»Ach was, wer wird denn gleich. Bring sie einfach zur Strecke, die bösen Unholde, und wenn du Glück hast, bin ich noch oder schon wieder wach, wenn du zurückkommst. Vielleicht gibt’s dann noch eine kleine Belohnung für tapfere Kriminalkommissare, die sich die Nächte um die Ohren schlagen.«

»Hmpfm«, knurrte er. »Na gut. Ich bring Hörnchen mit.«

»Gute Idee, hätte von mir sein können«, sagte ich und schob ihn sanft zur Tür.

Sammy wedelte hoffnungsvoll mit dem Schwanz und stemmte die Vorderpfoten gegen Körbers Hosenbeine. Körber beugte sich zu ihm hinunter und wuschelte ihm über den Kopf. »Du bleibst besser hier, Sammy. Einer muss ja aufpassen, dass Frauchen nicht wieder Dummheiten macht. Nicht, dass sie morgen schon wieder in der Zeitung steht. Aua!«

»Der war verdient«, grinste ich, rieb mir die schmerzende Hand und öffnete ihm die Tür. »Los, raus mit dir, und rette die Welt, wie es sich gehört.«

Brummelnd trottete er die Treppe runter, und ich schloss die Tür.

Ich hatte es mir mit Sammy und einer frischen Flasche Bier auf dem Sofa gemütlich gemacht, als es ungefähr zwanzig Minuten später laut gegen die Wohnungstür bollerte.

»Och Mensch, was hat er denn jetzt schon wieder vergessen?«, schimpfte ich, schob Sammy von meinem Schoß und ging zur Wohnungstür, die ich mit Schwung aufriss. »Was …?« Die Frage blieb mir im Halse stecken, als ich vier maskierte Typen vor meiner Tür stehen sah und sie instinktiv gleich wieder zuschlug. Mit wild hämmerndem Herzen guckte ich durch den Spion. Vier muskulöse Kleiderschränke in schwarzen Lederjacken, mit schwarzen Strumpfmasken über den Gesichtern. Definitiv nicht die Jungs vom Polizei-Spezialeinsatzkommando, die mich vor Weihnachten aus Versehen kurz in die Mangel genommen hatten, weil sie mich mit der wirklichen Geiselnehmerin verwechselt hatten.

Das werden doch nicht …

Als einer der vier plötzlich eine Axt hob und anfing, auf meine Wohnungstür einzuschlagen, verlor ich keine Zeit mehr, sondern schlitterte auf Socken durch den Flur zurück ins Wohnzimmer und suchte hektisch nach meinem Handy. Während meine Hände das Telefon entsperrten und auf Körbers Kontakteintrag tippten, überlegte ich fieberhaft, wo ich mein Pfefferspray das letzte Mal gesehen hatte.

Ich wartete ungeduldig, bis Körbers Anschluss anfing zu tuten. Mailbox – verfluchte Hasenkacke! »Körber, vier Irre schlagen meine Wohnungstür mit einer Axt ein. Komm SOFORT her!«

Ich versuchte, ruhig zu atmen, als ich auf Toms Kontakteintrag tippte. Tom ging sofort dran. Unter dem ohrenbetäubenden Krachen der zusammenbrechenden Wohnungstür konnte ich gerade noch brüllen: »Tom! Die sind hier! Vier Mann …«

Dann wurde ich schon vom ersten der vier Maskenmänner gepackt, während der hinter ihm verzweifelt versuchte, Sammys heroische Angriffe auf sein Hosenbein abzuwehren. Mein Handy fiel polternd auf den Boden.

MONTAG, 6. MÄRZ

10:35 Uhr

Britta, hast du schon gehört?« Meine Kollegin Silke betrat, ein bisschen blass um die Nase, unser gemeinsames Büro in der Detektei. Ich saß entspannt auf meinem Bürostuhl, die Füße gemütlich auf meinem Schreibtisch geparkt, und ließ den Stapel Abrechnungen, den ich gerade durchblätterte, erstaunt sinken. Sammy lag zusammengerollt in seinem Körbchen in der Ecke und schnuffelte vor sich hin. So wie seine Pfoten zuckten, jagte er im Traum wahrscheinlich Kaninchen durch den Wald.

Denk dran, ihm endlich ein größeres Körbchen zu kaufen, Sander. Aus dem hier ist er wirklich fast rausgewachsen.

»Was denn gehört?«, fragte ich neugierig. Vielleicht war endlich mal wieder was Interessantes passiert. Seit unserem letzten großen Fall, den wir vor Weihnachten gelöst hatten, war leider das alltägliche Einerlei eingekehrt. Entlaufene Haustiere, untreues Ehevolk und misstrauische Arbeitgeber. Draußen war es richtig kalt, und Aachen machte seinem Ruf als Regenloch seit Tagen mal wieder alle Ehre. Mir war gerade sehr nach ein bisschen Aufregung – oder einem Ausflug auf die Bahamas.

Silke spinkste noch einmal auf den Flur und machte dann die Bürotür zu. »Steffi hat mir eben unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, dass der kleine Fritz die Detektei verkaufen will.«

»Wirklich?«, fragte ich erfreut, warf die Abrechnungen auf meinen Schreibtisch und reckte beide Fäuste in die Luft. »YES! Endlich!«

»Meinst du wirklich?«, fragte Silke unsicher und setzte sich an ihren Schreibtisch, der meinem direkt gegenüberstand.

»Ja sicher, darauf …«

Es klopfte leise, und die Tür öffnete sich. Eric und Marc, unsere Kollegen von zwei Türen weiter. »Habt ihr schon gehört?«, flüsterte Eric.

Ich winkte ihnen hereinzukommen und die Tür zuzumachen. »Lass mich raten, ihr habt unter dem Siegel der Verschwiegenheit gehört, dass die Firma verkauft werden soll.« Detektei Schniedewitz & Schniedewitz, besonders bekannt für Diskretion.

»Woher weißt du?«, fragte Eric erstaunt, und ich wies wortlos auf Silke.

»Großartig, oder?«, strahlte Marc. »Ich kann’s noch gar nicht glauben. Endlich werden wir mal den Ballast da oben los und kriegen einen Profi als Chef.«

»Oder Chefin. Mein Reden«, grinste ich.

Eric blickte eher besorgt aus der Wäsche. »Ich will ja nicht unken, aber woher wollt ihr denn wissen, dass wir einen Profi als Chef bekommen? Vielleicht verkauft er die Firma an irgendwelche Investoren, die uns dann einen milchgesichtigen BWLer hier reinsetzen, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.«

»Genau«, sagte Silke. »Der kleine Fritz hat zwar keine Ahnung, aber wenigstens überlässt er Joanna die Leitung der Detektei und mischt sich nicht weiter ein. Na gut, abgesehen von seiner morgendlichen Zehn-Uhr-Runde.«

Bei Fritz Schniedewitzens morgendlichem Rundgang hieß es für alle Anwesenden, so schnell wie möglich auf den nächsten Baum zu kommen, um wohlgemeinten und von Fachwissen völlig unbehelligten Ratschlägen des Inhabers und Geschäftsführers zu entkommen.

»Hmpfm«, brummte ich. Das hatte ich tatsächlich noch nicht bedacht. Keine Ahnung war okay, aber wenn sich jemand ohne Ahnung anfing einzumischen, konnte das sehr schnell sehr unlustig werden. »Wissen wir denn, an wen verkauft werden soll?«

Die drei anderen schüttelten einhellig die Köpfe. »Nein, leider nicht. Wir müssen Augen und Ohren offen halten.«

»Das sollte ja in einem Stall voller Detektive nicht so schwer sein, Herr Lautenschläger«, spöttelte ich in Erics Richtung.

»Klugscheißerin«, grinste der, als es an der Tür klingelte.

»Jemand für euch?«, fragte ich, aber es schien, dass keiner von uns jemanden erwartete.

»Vielleicht ein Kaufinteressent!«, platzte Silke aufgeregt heraus.

Bevor wir reagieren konnten, hörten wir schon die schnellen Schritte von Steffi, Joannas Assistentin, im Flur. Eric öffnete die Tür einen Spalt. Steffi hatte den Türöffner offensichtlich bereits gedrückt und wartete, wer die Treppe heraufkommen würde.

Hinter dem Türspalt auf unserer Seite stapelten sich vier neugierige Detektive, jeder darauf erpicht, einen Blick auf die möglichen Kaufinteressenten zu erhaschen. Zwischen meinen Füßen tummelte sich auch noch Sammy, der natürlich dachte, es gehe um etwas Essbares. Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, sich zwischen Erics Füßen hindurch in den Flur zu mogeln.

»Aua«, jaulte Silke flüsternd, als Marc ihr versehentlich auf die Zehen trampelte.

»Pssssst«, zischten drei Stimmen, und Steffi drehte sich auf dem Flur irritiert um. Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder der Tür zu, und wir staunten nicht schlecht, als wir den Besucher die letzten Stufen heraufkommen sahen.

»Ich dachte immer, so was gibt’s nur im Fernsehen«, wisperte Eric.

»Der Hammer!«, flüsterte Silke. »Hat der auch ’ne Knarre im Schulterholster?«

»Kann ich nicht sehen«, gab Eric zurück. »Dafür müsste er das Jackett aufmachen.«

»Aaaauszieh’n, aaauszieh’n«, skandierte Marc sotto voce.

»Ruhig jetzt!«

Der Besucher sah wirklich aus wie aus dem Fernsehen. Er war von gedrungener Statur, komplett mit Stiernacken und Bürstenhaarschnitt. Er trug einen dunklen Anzug und hatte – wie passend für einen verregneten, dunklen Montag im März – eine schwarze Sonnenbrille auf. Er sah aus wie ein Bodyguard – im Fachjargon auch gerne Gorilla genannt – nicht wie ein Investor. Höflich schüttelte er Steffi die Hand und folgte ihr den Flur entlang – ich nahm an, in Richtung Besprechungsraum. Nachdem Joanna Parker den Besprechungsraum ebenfalls betreten hatte und die Tür zugegangen war, hörten wir erst mal eine Weile nichts mehr. Joanna war laut Fritz Schniedewitz seine rechte Hand. Tatsächlich war sie es, die das Unternehmen mit sicherer Hand führte. Fritz fungierte eher als Deko. Es konnte also gut sein, dass ein Kaufinteressent bei ihr vorsprach. Wenn der Stiernacken denn überhaupt einer war.

»Ich glaube, ihr trollt euch besser wieder in euer Büro. Erstens wollen wir nicht durch Rudelbildung auffallen, und zweitens grenzt euer Büro direkt an den Konferenzraum. Vielleicht könnt ihr was hören.«

»Körperschallmikro?«, schlug Marc grinsend vor.

»Hervorragende Idee, Herr Achten«, lobte Eric. »Die Damen, wir empfehlen uns.«

»Wir erwarten einen ausführlichen Bericht!«, rief ich ihnen noch flüsternd hinterher. Kaum waren Marc und Eric jedoch in ihrem Büro verschwunden, als die Tür des Besprechungsraums schon wieder aufging.

»Ja, selbstverständlich, gar kein Problem. Ja, Sie können dann gleich zu ihr durchgehen. Die erste Tür vorne neben dem Eingang.«

Silke und ich sahen uns verdutzt an. Was wollte der denn bei uns? Schnell setzten wir uns wieder hin. Ich scheuchte Sammy in sein Körbchen zurück, und wir nahmen möglichst unauffällig unsere üblichen Sitzpositionen ein, also Silke fleißig am PC tippernd, ich mit den Füßen auf dem Tisch. Man will ja nicht auffallen.

Statt aber vom Flur aus in unser Büro abzubiegen, marschierte der unerwartete Besucher schnurstracks wieder zur Eingangstür hinaus, und wir hörten, wie er im Laufschritt die Treppe absolvierte. Was zum Teufel …?

In diesem Moment klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Joanna.

»Ja?«

»Britta, ich weiß nicht, ob du den Herrn im Anzug gesehen hast, der gerade bei euch am Büro vorbeigegangen ist. Der kommt gleich mit seinem Chef wieder rauf. Die haben einen eiligen Fall und möchten, dass du ihn übernimmst.«

»Was denn für einen Fall?« Nicht, dass ich neugierig bin.

»Das wollte er mir nicht sagen, darüber möchte sein Chef mit dir persönlich sprechen. Mit dir und mit niemanden sonst.«

Ach du liebe Güte, das klingt ja dramatisch.

»Du hast doch gerade nichts Großes laufen, oder?«, fragte sie.

»Nee, hab ich nicht. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder um ein entlaufenes Edel-Chinchilla geht oder um eine entführte nordtibetische Nacktkatze.«

Joanna lachte und legte auf.

Seufzend nahm ich die Füße vom Tisch, zupfte mein T-Shirt und meine Kapuzenjacke zurecht und tippte auf die Tastatur, damit mein Laptop aus seinem Schönheitsschlaf erwachte. Als Steffi die Eingangstür nach einem kurzen, knackigen Klingeln erneut öffnete, machten wir große Augen, denn diesmal kam nicht ein Gorilla zur Tür herein, sondern gleich vier hintereinander. Alle gebaut wie Ochsen, alle die gleiche Frisur, alle den gleichen Anzug und alle die gleiche Sonnenbrille.

Potzblitz, was ist denn hier plötzlich los? Kommt der Papst zu Besuch?

Einer der Typen betrat mit einem knappen »Guten Morgen« unser Büro und stellte sich von innen neben die Tür. Zwei stellten sich außen rechts und links von unserer Bürotür auf, und der vierte hielt die Eingangstür auf. Sammy knurrte den Gorilla in unserem Büro leise an. Der ließ sich davon allerdings nicht im Geringsten beeindrucken. Silke und ich warfen uns einen ratlosen Blick zu.

Die machen’s aber spannend.

Schließlich hörten wir leise Schritte auf der Treppe, und als der Chef der vier Gorillas die Detektei betrat, klappte nicht nur Silke die Kinnlade herunter.

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Ich hatte schon mal davon gehört, es aber noch nie in natura gesehen. Der Mann, der auf leisen Sohlen in unser Büro kam, verströmte Kraft und Testosteron. Unter dem blütenweißen Hemd und dem maßgeschneiderten, dunkelgrauen Anzug bewegten sich massive Muskelpakete mit einer Eleganz, die mich sehr an einen Tiger erinnerte. Der arrogante Blick musterte mich kühl, und der Mund verzog sich zu einem sparsamen Lächeln, das die Augen nicht erreichte. Er bewegte sich nicht nur wie ein Raubtier, sondern hatte auch den gleichen hypnotischen Effekt. Es war unmöglich wegzugucken, während er mich ansah. Wenn ein Tiger direkt vor dir steht, guckst du ja auch nicht in die andere Richtung.

Ich nahm am Rande wahr, dass Silke, eine Entschuldigung murmelnd, den Raum verließ. Mein eigener Reflex war zurückzuweichen. Kommt ja überhaupt nicht in die Tüte. Das ist mein Büro. Ich stand auf und erwiderte vermeintlich ungerührt den hypnotisierenden Blick. Dabei nahm ich unauffällig Maß. Alter Verwalter!

Der Mann, der es noch nicht für nötig gehalten hatte, sich vorzustellen, war ein paar Zentimeter größer als ich, allerdings ziemlich genau doppelt so breit. Muskeln, kein Fett. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er hatte braune, extrem kurze Haare in einem Undercut und dunkelblaue Augen. Sein Gesicht mit den etwas zu vollen Lippen war definitiv nicht schön, aber sehr faszinierend.

Was mir bei aller Faszination allerdings nicht entging, war, wie sich die Atmosphäre verändert hatte, seit er zur Tür hereingekommen war. Die beiden Gorillas, die außen vor meiner Bürotür standen, waren einen halben Schritt zur Seite getreten, als er an ihnen vorbeiging, und der Kollege in meinem Büro stand fast militärisch stramm, seit sein Chef durch die Tür gekommen war. Ich hatte das Gefühl, die hatten alle Angst vor ihm.

Er neigte leicht den Kopf und streckte die rechte Hand aus. Als der Ärmel hochrutschte, sah ich ein Stück einer schwarzen Tätowierung auf seinem Arm. »Mein Name ist Tom Hartwig.« Sein Händedruck war fest, aber nicht der Schraubstock, den ich beim Anblick der Muskelpakete erwartet hatte.

»Britta Sander, angenehm. Vielleicht sollten wir in den Besprechungsraum gehen? Da haben wir etwas mehr Platz.« Unser kleines Büro platzte bei einer Präsenz wie seiner aus allen Nähten.

Er schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte: »Hier ist gut. Darf ich mich setzen?« Er deutete auf Silkes Bürostuhl.

Als ich nickte, machte er eine Kopfbewegung, die der Gorilla offenbar als Aufforderung verstand, sich zu trollen und die Tür hinter sich zuzumachen. Tom Hartwig zog den Stuhl nach hinten, öffnete mit einer Hand sein Jackett und setzte sich. Aus dem aufgeknöpften Hemdkragen schaute ebenfalls ein Stück einer schwarzen Tätowierung hervor. Er musterte mich eine Weile interessiert, fast so, als würde er im Zoo eine seltene Spezies betrachten.

Ich machte keine Anstalten, etwas zu sagen. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich gegen etwas gemessen wurde. Nur was?

Sammy hatte sich, als Tom Hartwig das Büro betreten hatte, kerzengerade in seinem Körbchen aufgesetzt und die Ohren gespitzt – soweit man Schlappohren eben spitzen kann. Anders als sonst stürzte er sich aber nicht auf Tom Hartwig, um zu sehen, ob er ihm etwas Fressbares aus dem Kreuz leiern konnte, sondern verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen. Sammy hatte einen guten Riecher, was Menschen betraf. Deshalb war ich überrascht, dass er die bedrohlich wirkende Präsenz im Stuhl mir gegenüber nicht anknurrte. Stattdessen stand er auf, tapste bis zu Silkes Schreibtisch, lugte um die Ecke und wedelte zweimal vorsichtig mit dem Schwanz.

Hm, so schlimm kann es nicht sein, wenn Sammy die Friedenspfeife anbietet.

Schließlich sagte Tom Hartwig: »Ich brauche Ihre Hilfe.«

»Das habe ich mir fast gedacht«, rutschte es mir heraus, und die blauen Augen funkelten für den Bruchteil einer Sekunde amüsiert. Fast als hätte ich es mir eingebildet. »Wobei?«

»Bei einem Mord.«

»Bei einem Mord? Ich glaub, da haben Sie sich in der Abteilung vertan.« Kriegen wir neuerdings bei Google Suchtreffer unter Auftragskiller?

»Nicht dabei, einen Mord zu begehen, sondern einen aufzuklären.« Diesmal blitzen seine Augen definitiv amüsiert.

Schöne Augen. Sander! Reiß dich am Riemen!

»Ich enttäusche Sie ungern, Herr Hartwig, aber ich glaube, da sind Sie bei der Polizei besser aufgehoben, meinen Sie nicht?« Körber wird sich freuen, der weiß ja jetzt schon vor lauter Arbeit nicht, wo ihm der Kopf steht.

Hartwig räusperte sich und rollte Kopf und Schultern, ganz so als wollte er sich vor einem Boxkampf noch etwas locker machen. »Das Ganze ist etwas delikat. Ich kann mich auf Ihre Diskretion verlassen?«

»Das kommt drauf an. Wenn Sie mir erzählen, dass Sie planen, die Kanzlerin zu meucheln, müsste ich das der Polizei melden. Diskretion ja, Beichtgeheimnis nein.«

Ein Mundwinkel hob sich in einem ironischen Lächeln. »Eine Beichte will ich Ihnen nicht gleich am ersten Tag zumuten. Das könnte etwas dauern.«

Dito. »Na dann. Ich bin ganz Ohr.«

Wieder musterte er mich eine Weile, bevor er weitersprach. »Einer meiner engsten Mitarbeiter wurde ermordet – und falls es Sie beruhigt: Ich war es nicht.«

Mein Blick fiel auf seine Pranken, die entspannt auf seinen muskulösen Oberschenkeln lagen, und wanderte langsam an seinen massigen Armen hoch. Der bricht dir mit einer Hand das Genick. »Das ist beruhigend«, sagte ich ironisch. »Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, warum Sie das nicht der Kripo erzählen.«

»Soweit ich weiß, gibt es aus strafrechtlichen Gesichtspunkten keine Anzeigepflicht für Straftaten, die bereits stattgefunden haben, die also nicht mehr vereitelt werden können.«

»Das ist richtig, aber ich habe Sie so verstanden, dass Sie gerne wissen möchten, wer Ihren Kollegen getötet hat. Ich muss leider neidlos zugestehen, dass die Polizei wesentlich besser ausgestattet ist, was das Fassen von Mördern angeht.«

Er atmete tief durch, so als würde er einen endgültigen Entschluss fassen. »Also schön. Sagen wir, in meinem Business schätzen es die beteiligten Personen und Unternehmen nicht, wenn die Polizei sich dort umschaut.«

Meine Gedanken gingen automatisch zu unserem letzten Fall in einem Aachener Technologieunternehmen, in dessen Verlauf die beiden Geschäftsführer versucht hatten, die Polizei und die damit öffentliche Aufmerksamkeit möglichst lange aus dem Haus zu halten. Hartwigs vier Gorillas vor der Tür passten allerdings nicht zum Bild des unbescholtenen Geschäftsmanns, der versucht, negative Schlagzeilen zu verhindern. »Und welche Branche wäre das?«

»Import-Export«, sagte er und zuckte dabei mit keiner Wimper.

Soso. »Was im- und exportieren Sie denn so, Herr Hartwig?«

»Ich bin darauf spezialisiert, seltene Kunst- und Wertgegenstände zu lokalisieren und einen Weg für Interessenten zu ebnen, diese Gegenstände käuflich zu erwerben, wenn sie das möchten.«

»Alles völlig legal, versteht sich.«

Tom Hartwig sagte nichts, wich aber meinem Blick nicht aus.

»Was sind das denn für Gegenstände?«

Er zuckte mit den massigen Schultern. »Gemälde, Teppiche, Vasen, Skulpturen – kurz: alles, was ein potenzieller Käufer als Wertgegenstand ansieht. Nur exklusiv muss es sein.«

»Das heißt teuer, damit Ihre Provision die angemessene Höhe erreicht«, übersetzte ich.

»Das ist korrekt.«

Wenn du so viele Bodyguards brauchst, bist du entweder steinreich, ein internationaler Hehler – oder beides. »Und Ihre Geschäftspartner, die ebenfalls mit legalen Kunst- und anderen Wertgegenständen handeln, scheuen warum genau die Präsenz der Polizei?«

Sein durchdringender Blick sagte mir, dass er genau wusste, dass ich ihm die Nummer mit dem legalen Handel nicht abkaufte. Jedenfalls nicht die mit einem ausschließlich legalen Handel. »Wie viele steinreiche Menschen kennen Sie, Frau Sander?«, fragte er.

»Außer meinem Vater? Keinen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Und wenn ich mir deinen Maßanzug und deine Armbanduhr angucke, jetzt vermutlich dich.

Er neigte leicht den Kopf. »Da haben wir im Übrigen eine … Bekanntschaft … gemeinsam.«

»Sie kennen meinen Vater?« Falls er es nicht an meinem Ton hörte, konnte er vermutlich an meinem Gesicht ablesen, dass das für mich das genaue Gegenteil einer Empfehlung war.

»Flüchtig, sehr flüchtig. Ich weiß, dass Ihr Vater sehr gut mit Geld umgehen kann und ein erstaunliches Geschick darin besitzt, es zu vermehren.«

»Anderes wäre ja auch schlecht für einen Investmentbanker«, sagte ich ironisch. »Ist er einer Ihrer Geschäftspartner?«

»So würde ich das nicht nennen. Er hat in der Vergangenheit ein- oder zweimal meine Dienste in Anspruch genommen. Das ist aber schon länger her.«

Gut, alleine das wäre nämlich sonst schon ein Grund, nicht für dich zu arbeiten.

Als ich nichts dazu sagte, legte Hartwig den Kopf ein wenig zur Seite. »Fragen Sie mich gar nicht, was Ihr Vater bei mir gekauft hat?«

»Mein Vater interessiert mich nicht, Herr Hartwig. Er kann mit seinem Geld tun und lassen, was er will.«

Mein unmissverständlicher Ton ließ ihn abwiegelnd die Hände heben. »Schon gut, schon gut, verstanden. No-Go-Bereich.« Er ließ die Hände wieder sinken. »Wir kamen drauf, weil ich Sie gefragt hatte, ob Sie sehr reiche Leute kennen. Wenn das der Fall gewesen wäre, müsste ich Sie nicht damit langweilen, wie lichtscheu und vorsichtig viele reiche Menschen sind, vor allem, wenn es darum geht, exorbitant teure Wertgegenstände zu erwerben – oder zu verkaufen. Viele dieser Leute wollen nicht, dass Außenstehende Einblicke in ihre Transaktionen erhalten oder zu viel über sie erfahren. Wer viel hat, hat meist viel Angst, es wieder zu verlieren.«

Mir kommen gleich die Tränen.

»Sie auch?«

Er lachte leise. »Nein.«

»Warum nicht?«

Er sah mich durchdringend an und knackte mit den Fingerknochen.

Verstehe. Das Muckikorsett ist also nicht rein dekorativ. Ich glaube, ich würde es mir auch zweimal überlegen, bevor ich dir was wegnehme.

»Auch ist die Polizei nicht überall so vertrauenswürdig wie bei uns. Und gebrannte Kinder scheuen das Feuer. Kurz und gut, Sie müssten eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterzeichnen, in der Sie sich verpflichten, über nichts, was Sie im Laufe dieser Ermittlungen sehen oder hören, auch nur ein Sterbenswörtchen verlieren.«

Im Zusammenhang mit einem Mord ist das »Sterbenswörtchen« aber ziemlich gewagt. »Diese Vereinbarung müsste ich mir natürlich zunächst anschauen, aber grundsätzlich sehe ich da kein Problem. Solange ich nicht Zeugin illegaler Handlungen oder Transaktionen werde …«

»Das sollte nicht passieren.«

Interessant. Nicht »das wird nicht passieren« oder »das ist ausgeschlossen«, sondern »das sollte nicht passieren«. Das heißt, ich kriege nicht die Nase dran.

»Ich arbeite gern mit einem Team von Kollegen.«

»Ich nehme an, Sie sprechen von Herrn Lautenschläger und Herrn Karim?«

Mein verdutztes Gesicht entlockte ihm ein Lächeln.

»Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.«

Warum passt nur das Bild des Musterschülers nicht so recht zum Rest des Gemäldes?

»Sollte bei einzelnen Arbeitsschritten die Expertise Ihrer Kollegen notwendig sein, können wir sie nach Absprache hinzuziehen«, fuhr er fort. »Aber ich würde es vorziehen, wenn Sie so weit wie möglich alleine arbeiten. Das ist besser für alle Beteiligten. Falls Ihre Kollegen mit an dem Fall arbeiten, müssten sie ebenfalls die gleiche Vereinbarung unterschreiben.«

»Hmpfm«, brummte ich. »Im Übrigen wird sich die Verschwiegenheitsvereinbarung sicher nicht auf die Identität des Täters oder der Täterin erstrecken? Sonst könnten wir die Person ja nicht der Polizei übergeben, sobald wir sie haben.«

»Ah«, sagte Hartwig.

»Ah?«

»Darüber müssten wir uns bei Gelegenheit noch mal unterhalten.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine bessere Gelegenheit geben wird als jetzt. Sie möchten also den Mörder nicht der Polizei übergeben, wenn wir ihn finden.«

»Nein«, sagte er geradeheraus.

»Sondern?« Mein Gott, jetzt lass dir doch nicht jeden Wurm aus der Nase ziehen.

»Ich glaube nicht, dass Sie das wissen möchten.«

Ich hob eine Augenbraue, und Hartwig räusperte sich, bevor er sagte: »Sagen wir, es gibt mehr als einen Weg, Justiz walten zu lassen.«

»Aber nur einen legalen«, sagte ich leise, und er neigte zustimmend den Kopf. »Ich fürchte, in dem Fall kann ich Ihnen nicht helfen, Herr Hartwig.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nichts von Selbstjustiz halte, so verlockend es auch manchmal sein mag.« Das kann sogar manchmal sehr verlockend sein.

Er musterte mich und zog dann ein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte kurz darauf herum. Dann stand er auf, kam um die beiden Schreibtische herum und reichte es mir wortlos.

»Ach du Scheiße!«, entfuhr es mir, als ich auf das Foto sah, das den Handybildschirm ausfüllte.

»Sie sagen es«, versetzte Hartwig trocken und setzte sich mit dem Hintern auf die Kante meines Schreibtischs.

Meine Güte, verströmt der eine Hitze. »Wer ist der Tote?«, fragte ich vermeintlich ungerührt.

»Jemand, der mir sehr nahestand«, sagte er leise.

Ich warf einen erneuten Blick auf das Foto, das die Leiche eines ungefähr sechzigjährigen Mannes zeigte, und sah dann wieder zu Hartwig hoch, der mich nicht aus den Augen ließ. »Ich will nicht sagen, dass ich nicht in manchen Fällen Verständnis dafür aufbringen könnte, wenn jemand Selbstjustiz übt.« Bei Marianne Bachmeier war ich da wohl auch nicht die Einzige. »Aber ich kann Ihnen nicht aktiv dabei helfen, indem ich das Opfer für Sie finde.«

»Sie können nicht, oder Sie wollen nicht?«

»Spielt das eine Rolle?«

Er verzog einen Mundwinkel zu einem Lächeln. »Nein, nicht wirklich.«

»Warum überhaupt ich?« Wenn deine Klamotten dein Bankkonto angemessen widerspiegeln, kannst du dir die besten und die teuersten Detektive leisten.

»Zwei Killer innerhalb von fünf Monaten?«

»Das war ich nicht alleine«, sagte ich wahrheitsgemäß.

»Ich habe wie gesagt nichts dagegen, wenn Sie Ihre Kollegen konsultieren, falls das nötig sein sollte. Aber irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass Sie das auch alleine können.«

Gut geschmeichelt ist halb gewonnen, wie? Ich lehnte mich seufzend in meinem Stuhl zurück. »Passen Sie auf, Herr Hartwig. Ich gebe gerne zu, dass Ihr Fall mich sehr interessiert.« So wie die Leiche aussieht, würde ich auf Jack the Ripper tippen, wenn der nicht schon was länger tot wäre. Und der hat nur Frauen ermordet. »Ich würde Ihnen also wirklich gerne helfen.« Vom desolaten Zustand meines Bankkontos mal ganz abgesehen. »Wäre es denn wirklich so ein Riesenproblem, den Täter den Behörden zu übergeben?«

Er kreuzte die muskulösen Arme vor der breiten Brust. »Es ist kompliziert.«

Was soll denn daran kompliziert sein? »Erklären Sie’s mir.«

Er schüttelte den Kopf, ich hatte fast das Gefühl, dass er bedauerte, es mir nicht erklären zu können.

Ich dachte eine Weile nach. »Wie wäre es denn mit einem Kompromiss?«

Er sah mich fragend an.

»Wenn Sie mir versprechen, dass Sie ihn lebend, mit allen Gliedmaßen und einigermaßen intakt wieder herausrücken, lasse ich Sie eine Stunde mit ihm allein, bevor wir die Polizei rufen«, grinste ich.

Er entfaltete seine Arme wieder und legte den Kopf schief, als er mich ansah. »Und wenn ich auf diesen Kompromiss nicht eingehe …«

»… müssen Sie sich jemand anderen suchen, der diesen Metzger für Sie findet. Täte mir zwar leid, aber …« Ich hob bedauernd die Hände. Sander, du beißt dir in den Hintern, wenn der jetzt abschiebt.

Hartwig sah mich noch eine Weile abschätzend an. Dann stand er auf.

Verdammte Hasenkacke, da geht es dahin, dein Ticket aus der Einöde.

»Also schön.« Hartwig streckte mir seine rechte Pranke hin. »Schauen wir erst mal, ob Sie ihn finden können. Den Rest können wir dann gegebenenfalls neu verhandeln.«

Ich blickte auf die Hand, die mir wahrscheinlich mühelos die Gurgel hätte zudrücken können, ohne dass ihr Besitzer ins Schwitzen geraten wäre. »Wollten Sie nicht, dass ich eine Verschwiegenheitserklärung unterschreibe? Und woher weiß ich, dass Sie sich an unsere kleine Abmachung halten?«

Er trat einen Schritt näher. »In meiner Branche sind mündliche Verträge bindend. Einhundertprozentig bindend, Frau Sander. Für beide Seiten.«

Wenn du nur in Antiquitäten- und Kunsthändlerkreisen verkehrst, heiß ich Elfriede. Bindende mündliche Verträge machen doch am meisten Sinn, wenn man keine Spuren hinterlassen will.

»Und Ihre Honorarsätze sind mir bekannt.«

Das will ich hoffen. Ich bin jung und brauche das Geld. Ich stand ebenfalls auf und erwiderte seinen bohrenden Blick, während ich ihm die Hand schüttelte. Wenn das mal gut geht, Sander. Wenn das mal gut geht.

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Es dauerte eine Weile, bis wir die Formalitäten mit der Verschwiegenheitsvereinbarung hinter uns gebracht hatten, denn obwohl ich beim Durchlesen nichts entdecken konnte, was mir Bauchschmerzen bereitet hätte, gab ich sie Joanna zum Gegenchecken, bevor ich meinen Kaiser Wilhelm daruntersetzte. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste und Joanna Juristin.

Silke hatte in der Zwischenzeit in Erics und Marcs Büro Asyl gefunden und arbeitete dort an dem kleinen Schreibtisch, den wir sonst für Praktikanten nutzten, also zogen Hartwig und ich uns nach unserer kurzen Unterredung mit Joanna mit frischem Kaffee bewaffnet wieder in unser Büro zurück. Die Gorillas rührten sich die ganze Zeit nicht von der Stelle und verzogen auch keine Miene. Ob die nicht mal zwischendurch aufs Klo müssen?

»Dann schießen Sie mal los.« Ich lehnte mich zurück, soweit meine Stuhllehne es zuließ, und sah Tom Hartwig erwartungsvoll an.

»Da wäre noch eine letzte Kleinigkeit.«

Mein Gott, was denn jetzt noch?

Er räusperte sich. »Es wäre mir sehr recht, wenn Sie für die Dauer der Ermittlungen mein Gast sind.«

»Wie? Ihr Gast?«

»Es wäre gut, wenn Sie für die Dauer der Ermittlungen bei mir wohnen.«

Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und röchelte: »Wie bitte?! Ich soll bei Ihnen einziehen

»So könnte man es auch nennen.«

»Aber warum, um Himmels willen?«

»Keine Sorge, ich plane keinen Anschlag auf Ihre Tugend«, sagte Hartwig, einen Hauch ironisch.

»Das will ich Ihnen auch nicht geraten haben«, rutschte es mir raus, und er schnaubte amüsiert durch die Nase. Okay, angesichts der Kraft- und Gewichtsverhältnisse war es wahrscheinlich keine sehr beeindruckende Drohung, aber man tut halt, was man kann. »Also?«

»Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich Sie sicher unter meinem Dach weiß.«

»Sicher vor wem oder was?«

»Sagen wir, dass wir es im Laufe der Ermittlungen mit ziemlicher Sicherheit mit einigen eher unangenehmen Leuten zu tun bekommen werden.«

»Nach dem, was ich auf dem Foto des Verstorbenen gesehen habe, überrascht mich das jetzt nicht wirklich, Herr Hartwig, aber ich darf Ihnen versichern, ich bin schon groß und kann gut auf mich aufpassen.« Sammy wuffte bestätigend, und Tom Hartwig rollte auf Silkes Bürostuhl überrascht ein Stück in Richtung Tür, damit er um die Ecke des Schreibtischs gucken konnte. Das kleine, schwarze Wollknäuel im Körbchen hatte er wohl nicht mehr auf dem Radar.

Dann wandte er sich wieder mir zu. »Das möchte ich keinesfalls infrage stellen, Frau Sander, aber ich bin nicht sicher, ob Sie eine Vorstellung davon haben, mit welchem Kaliber wir es unter Umständen zu tun bekommen.«

»Das heißt, Sie haben bereits einen Verdacht, wer hinter dem Mord stecken könnte?«

»Ein Verdacht wäre zu viel gesagt, aber der Verstorbene war in einem Bereich meines Business tätig, in dem man sich nicht nur Freunde macht.«

Es hilft nix, Stier, Hörner, packen. »Helfen Sie mir noch mal kurz aufs Fahrrad, Herr Hartwig, aber sagten Sie nicht, Sie seien im – ich nenne es mal exklusiven Kunst- und Antiquitätenhandel tätig?«

Tom Hartwig nickte.

»Ich bin in diesem Bereich nicht so wahnsinnig beschlagen, aber ich hätte diese Branche jetzt nicht mit Leuten in Verbindung gebracht, die so gefährlich sind, dass ich mich bei Ihnen unter dem Sofa verstecken müsste, weil ich einen Mörder suche.« Es sei denn, du bist in Dinge verstrickt, die nicht ganz koscher sind.

»Wenn es um sehr viel Geld geht, sind gefährliche Leute nie weit, Frau Sander. Und der Kontakt mit ihnen lässt sich nicht immer ganz vermeiden. Es lässt sich auch nicht immer vermeiden, solche Leute zu verärgern, indem man ihnen zum Beispiel ein Objekt vor der Nase wegschnappt, das sie selbst erwerben wollten.« Er sah mich unverwandt an, als er das sagte, aber ich ahnte, dass das vermutlich nicht die ganze Wahrheit war.

Holzauge, bleib wachsam. »Okay, das verstehe ich, aber bei Ihnen einzuziehen, kommt nicht infrage, fürchte ich.« So weit kommt das noch. »Und wo wir jetzt alle Formalitäten geklärt haben, können wir mit der Arbeit beginnen? Je schneller wir den Bösewicht gefunden haben, desto schneller müssen Sie sich um meine Sicherheit keine Sorgen mehr machen. Apropos, wo ist eigentlich die Leiche? Haben Sie die auch aus Sicherheitsgründen bei sich zu Hause?«, gluckste ich.

Hartwig schwieg und sah mich an. Außer seiner rechten Augenbraue bewegte sich nichts.

»Das ist ein Scherz!« Ich sah ihn entgeistert an.

»Sehe ich aus, als würde ich Scherze machen?«

»Jetzt, wo Sie’s sagen, eher nicht.«

»Irgendwo musste er hin.« Tom Hartwig zuckte mit den Schultern. »Und so, wie er zugerichtet ist, gäbe es keinen Bestatter auf dieser Welt, der nicht sofort die Polizei angerufen hätte – ob er nun dazu verpflichtet gewesen wäre oder nicht.«

»Man hätte es ihm kaum verdenken können.«

»Eben.« Nach einer kurzen Pause und einem Blick auf seine sündhaft teure Armbanduhr fuhr Tom Hartwig fort. »Ich schlage vor, wir fahren jetzt zu mir. Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß, und Sie können sich Raphaels sterbliche Überreste selbst ansehen und sich ein Bild machen. Dann können wir planen, wie wir vorgehen.«

»Wir?«

»Wir«, sagte er bestimmt.

Na toll, ein Auftraggeber, der will, dass ich bei ihm einziehe, und dann auch noch selbst Detektiv spielen will. Das kann ja heiter werden.

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13:15 Uhr

»Heilige Scheiße!«, entfuhr es mir, als wir unten vor der Detektei durch die Tür traten und einer der vorangeeilten Gorillas die Beifahrertür eines schwarzen Maserati für mich aufhielt. »Äh, ich meine, schönes Auto.«

»Danke«, sagte Tom Hartwig schlicht, nahm dem überrascht dreinblickenden Gorilla den Schlüssel aus der Hand und glitt geschmeidig auf den Fahrersitz.

Plötzlich störte es mich kein bisschen mehr, dass Hartwig mich freundlich, aber bestimmt gebeten hatte, mein Auto an der Detektei stehen zu lassen und mit ihm zu fahren. Ein Maserati gegen meine alte Rostlaube? Da musste man ja nicht lange überlegen.

Bevor ich einstieg, warf ich noch einen unauffälligen Blick nach oben, und wie nicht anders zu erwarten, klebten meine sämtlichen Kollegen plus Sammy »ganz dezent« im Fenster von Erics und Marcs Büro. Mein Handy pingte mit einer Nachricht von Eric: Jackpot, wie? Ich will heute Abend ALLE schmutzigen Details hören, ist das klar?

Ich reckte grinsend einen Daumen hoch, steckte mein Handy wieder in die Hosentasche und stieg ein.

Das leise Schmunzeln, das Hartwig während der kurzen Fahrt den Brüsseler Ring entlang und dann stadtauswärts die Lütticher Straße hoch auf dem Gesicht hatte, führte ich darauf zurück, dass er meine glühenden Bäckchen bemerkte. Ich hatte schon immer eine Schwäche für schnelle und schöne Autos, nur leider nie das nötige Kleingeld. Trotz meiner Maserati-Verzückung entging mir allerdings nicht, dass uns in diskretem Abstand ein weißer Range Rover folgte, in dem die vier Gorillas saßen, mit denen Hartwig in der Detektei aufgeschlagen war.

»Haben Sie eigentlich immer eine Leibgarde dabei?«, fragte ich.

»Ja«, antwortete er.

»Statussymbol oder weil Sie eine brauchen?«

Er nahm die Augen kurz von der Straße und sah mich an. »Beides.«

»Nur gut, dass ich nicht zur schreckhaften Sorte gehöre, sonst würde ich langsam anfangen, mir Sorgen zu machen.«

»Jemanden von der schreckhaften Sorte hätte ich auch nicht angeheuert«, erwiderte Hartwig ungerührt.

»Sie scheinen ja einiges über mich zu wissen.«

»Genug, um sicher zu sein, dass Sie die richtige Frau für den Job sind.«

Kurz bevor wir den Preuswald erreichten, blinkte er und bog nach rechts ab. Der schmale Weg, von dem ich nicht mal gewusst hatte, dass er existierte, geschweige denn, wie er hieß, war nicht asphaltiert und endete nach circa dreihundert Metern abrupt vor einer großen Hecke. Dachte ich.

Hartwig drückte auf einen Knopf am Lenkrad, und wie von Geisterhand fuhr das Gestrüpp nach links und gab den Blick auf den weiteren Verlauf des Wegs frei. Hartwig fuhr weiter, und im Schminkspiegel, den ich herunterklappte, sah ich, wie der weiße Range Rover uns folgte und das Tor mitsamt dem Gestrüpp sich lautlos wieder schloss.

Wir waren inzwischen mitten im Wald, in einem Gebiet, von dem ich geschworen hätte, dass hier niemand wohnte. Nach einer weiteren Kurve erschien ein riesiges, schwarzes Metalltor, über dem rechts und links Kameras installiert waren. Diesmal drückte Hartwig auf einen Knopf am Armaturenbrett. Eine Klappe ging auf und gab den Blick auf eine Art Pin-Pad frei. »Wenn Sie mal kurz nach rechts aus dem Fenster schauen würden?«

Ich tat ihm den Gefallen und hörte, wie er einen mindestens achtstelligen Sicherheitscode eintippte.

»Okay«, sagte er knapp, und als ich wieder nach vorne sah, glitt das Tor auf und gab den Blick frei auf eine breite, asphaltierte Auffahrt, deren Ende vom Tor aus nicht zu sehen war.

»Jetzt müssen Sie mir nur noch sagen, wie Sie hier an eine Baugenehmigung gekommen sind«, staunte ich.

Tom Hartwig lachte. »Das hat mich noch nie jemand gefragt.«

»Will ich denn die Antwort wissen?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Dachte ich mir.« Ob Hartwig sich durch seine kryptischen Bemerkungen interessanter machen wollte oder ob seine Geschäfte tatsächlich einen halbseidenen Hauch hatten, war mir nicht ganz klar, aber ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich das im Laufe der Ermittlungen herauskriegen würde. Und je nachdem, wie halbseiden sein Business war, hatte ich jederzeit die Option, wieder auszusteigen. Hoffte ich jedenfalls.

Als der Maserati auf dem Kiesbett vor Hartwigs riesigem Haus anhielt, wunderte mich schon nichts mehr. Hartwigs Augen funkelten mich spitzbübisch an. »Herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim.«

»Was Sie so bescheiden nennen«, brummelte ich und kletterte bedauernd aus dem Maserati. Mit dem Tornado hätte ich noch gut ein bisschen länger fahren können. Ich folgte Hartwig, der den Autoschlüssel einfach stecken ließ und über den Kies auf die Haustür zuging.

Attraktives Hinterteil, kann man nicht anders sagen. SANDER! Ist doch wahr!

Hartwig hielt mir höflich die Tür auf, sodass ich die Eingangshalle mit dem Marmorfußboden vor ihm betrat. Nach links zog sich eine breite, geschwungene Treppe in den ersten Stock, daneben hing eine imposante Garderobe, und nach rechts und geradeaus öffneten sich einige Türen in Räume, die ich nicht einsehen konnte. Auch hinter der Garderobe sah ich noch eine Tür.

Aus einer der Türen auf der rechten Seite kam eine elegante Dame Anfang fünfzig in einem schlichten, aber geschmackvollen, schwarzen Kleid. Ich dachte erst, es sei vielleicht seine Frau, aber dann sagte Hartwig: »Maria, das ist Britta Sander. Sie wird uns dabei helfen, Raphaels Mörder zu finden, und deshalb in nächster Zeit öfter hier zu Besuch sein. Frau Sander, darf ich vorstellen – Maria, die gute Seele des Hauses und die beste Köchin dieser Stadt.«

Eine Hausdame, ich fass es nicht! Das ist ja wie bei Edgar Wallace. Fehlen nur noch das Schürzchen und das Spitzenhäubchen.

Maria errötete sehr hübsch und ließ Hartwig mit einem leicht spanisch klingenden Zungenschlag wissen, dass alles vorbereitet sei, bevor sie sich ins obere Stockwerk verkrümelte. Hartwig winkte mir, ihm zu folgen, und nachdem ich die große, helle Küche betreten hatte, sah ich mich erst mal um, bevor ich mich an den gedeckten Tisch setzte. Dass alles, was an Schränken und Gerätschaften herumstand, teuer gewesen sein musste, war offensichtlich. Trotzdem war es nicht eine dieser Küchen, die aussehen, als kämen sie aus einem Katalog und wären noch nie benutzt worden. Es war alles blitzeblank, aber in dieser Küche wurde viel und gerne gekocht, wie man dem Gasherd und den zahlreichen Le-Creuset-Töpfen ansah. Der Küchentisch war groß und aus schlichtem, aber massivem Holz, und auch er zeigte heimelige Spuren fleißigen Gebrauchs.

Mein Magen knurrte vernehmlich, als ich mich seufzend auf einen der Küchenstühle sinken ließ. Hartwig goss uns Wasser ein und verteilte großzügige Portionen Quiche und Salat, die auf dem Küchentisch auf uns gewartet hatten.

Nachdem der gröbste Hunger gestillt war, lehnte ich mich mit einer zweiten Portion auf dem Teller zurück. »Dann erzählen Sie mal.«

Hartwig stand auf, zog sein Jackett aus und hängte es über seine Stuhllehne. Dann krempelte er seine Hemdsärmel hoch.

Heiliger Bimbam, was zum Teufel ist das für ein Tattoo?

Hartwig setzte sich wieder. »Der Name des Toten ist Raphael Weskott. Wir haben ihn Samstag vor einer Woche vormittags tot in seinem Haus aufgefunden.«

»Und warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie zu uns in die Detektei gekommen sind? Die ersten achtundvierzig Stunden in einem Mordfall sind extrem wichtig.«

Hartwig zuckte gelassen mit den Schultern. »Ich hatte in den letzten Monaten einiges in der Zeitung gelesen, musste aber zunächst ein paar Erkundigungen über Sie einziehen – und mir überlegen, ob es für unsere kleine Mission zu einem Problem werden könnte, dass Sie mit einem Kriminalkommissar liiert sind.«

»Deshalb die Verschwiegenheitsvereinbarung?«

»Unter anderem.«

»Wo haben Sie denn Ihre Erkundigungen eingezogen?«

»Hier und da.«

»Aber hier und da konnten Ihnen nicht dabei helfen, Raphael Weskotts Mörder zu finden.«

Hartwig schüttelte den Kopf. »Das ist ein anderes Kaliber.«

»Hmpfm.« Ich dachte kurz nach. »Als Sie Weskott gefunden haben, sah er schon so aus wie auf dem Foto, das Sie mir gezeigt haben?«

Hartwig nickte.

»Und Weskott hat für Sie gearbeitet?«

»Das auch. Er war aber sehr viel mehr für mich als ein Mitarbeiter. Ich muss ein bisschen ausholen …«

»Nur zu«, ich winkte mit meiner Gabel. »Je mehr Sie mir erzählen, desto besser kann ich arbeiten.«

»Als meine Eltern gestorben sind«, sagte Hartwig, »war ich noch sehr jung. Fünf, um genau zu sein. Meine Schwester war acht. Es war ein Autounfall. Mein Vater ist zu schnell gefahren und hat seinen neuen Ferrari um einen Brückenpfeiler gewickelt. Beide waren sofort tot.« Sein Ton war neutral. Es war keine große Trauer erkennbar; er schilderte einfach die Tatsachen. »Als Kinder wussten wir das nicht, aber mein Vater hat sein Geld mit allerlei schmutzigen Geschäften verdient. Drogen, Waffen, Prostituierte, Schutzgelderpressung, das volle Programm. Geld gab es also bei uns immer im Überfluss. Mein Vater war jemand, der nicht nur seine Geschäfte mit eiserner Hand steuerte, sondern der auch in dem festen Glauben lebte, ihm werde nie etwas passieren. Gott sei Dank war meine Mutter sehr viel umsichtiger und zwang ihn, seinen Nachlass zu regeln und damit uns Kinder vor den Hyänen zu schützen, sollte ihm mal etwas passieren.« Er trank einen Schluck Wasser. »Als sie dann plötzlich tot waren und es darum ging, wer uns aufnehmen würde, war die Schlange nicht sehr lang, denn die Regeln für den Nachlass waren sehr restriktiv, sodass niemand bis zu unserer Volljährigkeit an das Geld herankam. Abgesehen davon waren alle viel zu sehr damit beschäftigt, die Macht im Business an sich zu reißen, als dass sie sich mit zwei kleinen Rotzlöffeln wie uns abgegeben hätten.« Er schnaubte verächtlich durch die Nase. »Raphael Weskott war anders. Er ist mit meinem Vater aufgewachsen, und die beiden hat immer eine besondere Freundschaft verbunden, über all die Jahre, in denen sie zusammengearbeitet haben. Raphael wollte kein Geld, er hat uns einfach aufgenommen und großgezogen, als wären wir seine eigenen Kinder.«

Aha. Raphael war also in den gleichen schmutzigen Geschäftsfeldern tätig wie dein Vater. »Das war ja sehr nett von Raphael. Hintergedanken hatte er dabei keine?«

»Hintergedanken?«

»Na ja, den Thronfolger aufpäppeln, bis er groß genug ist, und dann neu ins Geschäft einsteigen?«

Hartwig lächelte. »Raphael ist aus den Geschäften nie ausgestiegen. Den Machtkampf, der nach dem Tod meiner Eltern entbrannte, konnte mein Onkel Josef für sich entscheiden, und weil Raphael ihm bei diesen … Auseinandersetzungen … treu zur Seite gestanden hatte, hatte er auch unter meinem Onkel eine Vertrauensposition inne. Diese Vertrauensposition nutzte er, um eine einzige Bedingung für seine weitere Zusammenarbeit mit Josef zu stellen – meine Schwester und mich so weit wie möglich von der Geschäftswelt fernzuhalten, in der sie ihr Geld verdienten. Dass das meinem Onkel Josef sehr recht war, können Sie sich vorstellen. Eben gerade kein heranwachsender Thronfolger, der ihm irgendwann gefährlich werden könnte.«

»Das heißt, Ihr leiblicher Vater war ein Gangster, und Sie wurden von einem anderen Gangster großgezogen.«

»Korrekt«, bestätigte Tom Hartwig.

»Aber Sie sind keiner?«

Hartwig stand auf. »Kaffee?«

Keine Antwort ist auch eine Antwort. »Gerne.«

Hartwig machte sich an der beeindruckenden Kaffeemaschine zu schaffen, die kurz darauf einen Höllenlärm veranstaltete.

»Also?«, sagte ich, als er sich wieder gesetzt hatte.

»Das ist eine lange Geschichte, von der wir noch nicht wissen, ob sie bei Raphaels Ermordung eine Rolle gespielt hat.«

»In einem Mordfall kann alles eine Rolle spielen.« Ich hör mich an wie eine Tatortkommissarin.

»Wahrscheinlich haben Sie recht«, räumte er ein, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Also ja, Raphael Weskott hat nicht nur meine Schwester Cassíma und mich bei sich aufgenommen, sondern als ich alt genug war, war er auch behilflich dabei, dass ich die Geschäfte meines Vaters wieder übernehmen konnte.«

»Das heißt, Sie handeln doch mit Waffen, Drogen und Frauen.« Ich stand auf. Wär ich mal bloß mit meinem eigenen Auto gefahren.

»Setzen Sie sich wieder«, sagte er leise. »Ich habe gesagt, ich habe damals die Geschäfte meines Vaters übernommen, nicht, dass ich sie heute noch führe.«

»Das heißt, Sie sind kein Drogenhändler?«

»Nicht mehr.«

»Sie handeln nicht mit Waffen?«

»Nein.«

»Und vor allem nicht mit Frauen?«

»Mit Frauen habe ich noch nie gehandelt.«

»Aber Sie haben doch eben gesagt …«

Hartwig seufzte. »Ich sagte ja, es ist kompliziert.«

Ich setzte mich langsam wieder. »Was heißt alt genug?«

»Alt genug, um seine Geschäfte zu übernehmen.«

»Und das heißt?«

»Fünfzehn.«

»Fünfzehn?« Ich traute meinen Ohren nicht.

»Es gab einige … Vorfälle, die es notwendig machten, mich zu diesem Zeitpunkt an die Spitze der Organisation zu setzen. Wäre das nicht gelungen, hätten Raphael und ich das mit dem Leben bezahlt.«

»Lecko Pfanni, ich dachte immer, ich hätte eine turbulente Kindheit gehabt.«